Dubstep wurde bereits kurz nach seiner Entstehung der baldige Untergang prophezeit. Dass der Verkünder dieser Botschaft auf einem schlechten Trip war und keine ernst zu nehmenden Visionen hatte, beweisen die Musikexporte aus England. Einer davon, nämlich das Wunderkind der britischen Dubstep-Szene Joy Orbison, gab Julia Melcher eines seiner raren Interviews.
Joy Orbison hat schon früh seine Nase in die Welt der elektronischen Musik gesteckt. Peter O’Grady, so heißt der 23-jährige Londoner hinter dem Künstlernamen, ist ja auch erblich schwer vorbelastet, denn sein Onkel ist niemand anderer als Drum’n’Bass-Legende Ray »Terrorist« Keith. Damals begann er fasziniert an dessen Plattenspielern zu experimentieren. Heute revolutioniert O’Grady mit seinen Releases mal so ganz nebenbei den Sound der Londoner Dancefloors. Seine erste Single »Hyph Mngo« landete prompt in der Liste der besten Dancetracks 2009 des Fact Mag. Von null auf hundert quasi. Der Guardian nennt ihn einen Künstler, der innerhalb der Dubstep-Szene mit fast religiöser Ehrfurcht begrüßt wurde und verrät, dass seine Musik bei der BBC Radio1-Moderatorin Mary Anne Hobbs »Anfälle orgastischer Ekstase« auslöse. Viel nüchterner und mit Bodenhaftung betrachtet der junge Künstler selbst seine Karriere. Er war auf seiner Tour im Oktober am Elevate Festival in Graz zu Gast, wo er sich Zeit nahm, über seine Musik und die Person dahinter zu plaudern.
Angeblich hast du schon mit 13 als DJ angefangen. Irgendjemand hat auch geschrieben, du wärst erst zwölf gewesen … Wie alt warst du wirklich, als du zum ersten Mal in Clubs aufgelegt hast?
Mit 13 habe ich angefangen, mir von meinem Onkel das Handwerk an den Turntables abzuschauen, mit 15 spielte ich dann auf den ersten Partys. In den Clubs erst später, so mit 17.
Je spektakulärer die Story, desto größer die Aufmerksamkeit. Wie gehst du damit um, plötzlich im Rampenlicht zu stehen?
Gar nicht gut. Ich glaube das war eines der schwierigsten Dinge, mit denen ich lernen musste umzugehen. Ich habe gerne die Kontrolle über das, was ich tue. Anfangs habe ich ein paar Interviews gegeben, aber ich war nicht glücklich darüber. Es ist mir wichtig, nicht falsch dargestellt zu werden, man muss sich aber damit abfinden, dass das nicht immer möglich ist.
Lebst du mittlerweile davon, dass du Musik machst, oder hast du auch noch einen ganz normalen Brotberuf nebenbei?
Ich habe bis vor drei Monaten in einem Musikverlag als Bote gearbeitet. Also bin ich viel herumgelaufen, hab den Leuten Kaffee gemacht … ein furchtbarer Job. Viele meiner Ideen habe ich während der Arbeit skizziert und zu Hause umgesetzt. Jetzt musste ich kündigen, es ging sich zeitlich nicht mehr aus. Momentan bin ich ja ständig unterwegs. Da ist es schwierig, wieder zur Ruhe zu kommen und an der Musik weiterzuarbeiten. Ich mag es aber trotzdem sehr, in verschiedene Länder zu reisen, denn als Kind bin ich kaum gereist. Schade, dass ich meistens nur die Clubs sehe.
Welche Clubs oder Veranstaltungen bespielst du denn am liebsten, hast du irgendwelche Präferenzen?
Ich mag die kleinen Clubs lieber: wenig Glitter, wenig Licht. Meine Freunde und ich sind nicht die Sorte DJs, die gerne auf einer großen Bühne herumposen. Es eher klein und gemütlich zu halten, keinen großen Aufwand mit Licht und Bühnenshow zu betreiben, ist Teil der Dubstep-Kultur. So wie im Plastic People in London, diesen Club mag ich sehr. Ich gewöhne mich aber langsam daran, auch die großen Locations und Festivals zu bespielen.
Hast du vor, auch einmal Live-Sets zu spielen?
Sag niemals nie, aber … nein, ich bin DJ. Ich liebe Vinyl, die 12-Inches und ich mache Musik für den Dancefloor. Live-Sets zu spielen habe ich definitiv nicht vor.
Wie ist deine Herangehensweise, wenn du Musik produzierst? Arbeitest du lange an deinen Tracks?
Ich verbringe oft tagelang auf der Suche nach einer Grundidee, diesem einen ganz speziellen Ding. Früher hatte ich die Tendenz, alles etwas zu übereilen und die Tracks sind zu hastig entstanden. Obwohl ich jetzt auch noch, sobald die Idee ausgereift ist, schnell daran arbeite, auch weil vieles wie von selbst geht. Ich bin nicht jemand, der stundenlang an Details schraubt.
Ist das anders, wenn du die Tracks von anderen Künstlern remixt?
Ja, auf jeden Fall. Mit dem Remixen ist das so eine Sache. Viele der großen Labels wissen einfach nicht, was sie mit Leuten anfangen sollen, die elektronische Musik machen und das erste was ihnen einfällt ist: »Geben wir ihm einen Remix!« Weil das auch das ist, was sich am Besten verkauft. Remixe zu produzieren wird dann zum Promotion-Instrument für die Labels. Das entspricht mir aber gar nicht. Ich mag es, Remixe zu machen, wenn mich das Original inspiriert, so wie zum Beispiel bei »Love Cry« von Four Tet. Das sollte meiner Meinung nach auch die Motivation beim Remixen sein: die Liebe zum Original.
Du hast deine letzte EP »The Shrew Would Have Cushioned The Blow« auf deinem eigenen Label Doldrums herausgegeben. Wann hast du beschlossen, dein eigenes Plattenlabel zu gründen?
Ich habe das Label gemeinsam mit einem Freund gegründet, lange bevor ich anfing, als Joy Orbison zu produzieren. Es war anfangs gar nicht einfach, den Ball ins Rollen zu bringen. Jetzt läuft es zum Glück ganz gut und im November wird es zwei neue Releases geben.
Arbeitet ihr auf Doldrums mit anderen Künstlern gemeinsam?
Klar! Eine der Releases im November wird »The Alps« von Braiden sein. Ich hatte eigentlich nie vor, mein eigenes Zeug auf Doldrums zu releasen, das habe ich gemacht, um das Label zu pushen.
Alle warten gespannt darauf, dass du endlich ein Album herausbringst. Darf man damit in nächster Zeit rechnen?
Nein. Es ist schwierig, wenn plötzlich so viel Hype um dich gemacht wird, da erwarten die Leute, dass du schnell mal eben ein Album produzierst. Aber ich mache die Dinge lieber in meinem eigenen Tempo. Ich möchte kein Album voller Singles machen. Mir schwebt so etwas wie ein Konzeptalbum vor, etwas klanglich Homogenes, das Sinn macht. Ich arbeite daran, aber es braucht definitiv noch Zeit.
Und wie bist eigentlich zu dem Namen Joy Orbison gekommen?
Ich hatte mehrere Aliases, aber es blieb bei Joy Orbison, da mich meine Freunde nur noch so nannten. Und seien wir uns ehrlich: es gibt zu viele DJs, die sich selbst zu wichtig nehmen. Sich einen dämlichen Namen auszudenken, verleiht der Sache die richtige Portion Humor, finde ich.
Joy Orbison spielte im Rahmen des Elevate Festivals am 22. Oktober eines seiner DJ Sets und vertrat dort gemeinsam mit Jamie XX und Mount Kimbie in einer berauschenden Nacht die britische Dubstep-Szene. Braiden war am 5. November ebenfalls bei Disko404 in Graz zu Gast. Am 20. November findet in London die erste Doldrums Labelnight statt.