Ein Film über das Dazwischen – Lilith Kraxner und Milena Czernovsky im Interview zu »Bluish«

Nach »Beatrix« präsentieren die beiden Filmemacherinnen Lilith Kraxner und Milena Czernovsky mit »Bluish« ein neues Werk über zwei Figuren, die sich in der Schwebe befinden. Ein Film im Winter und im Wasser, zwischen Annäherung und Alleinsein.

© Lisa Edi

Errol (Leonie Bramberger) und Sasha (Natasha Goncharova) kämpfen sich durch den Alltag, durch die kalte Jahreszeit und durch das Leben als junge Menschen in der großen Stadt. Sie schwimmen, tanzen und besuchen Vernissagen. Sie gehen auf Dates oder zur Hautkrebsvorsorge. Es gilt, Fingernägel zu lackieren, Zimmerpflanzen zu putzen und irgendwie den Weg ins eigene Leben zu finden.

Lilith Kraxner und Milena Czernovsky rückten bereits in ihrem Debütfilm »Beatrix« Szenen aus dem Leben einer jungen Frau in den Mittelpunkt – daran schließen sie mit »Bluish« quasi an. Ihnen ist dabei ein präziser Film gelungen, mit einer eigenen Bildsprache und voller Zärtlichkeit. Im Interview mit The Gap sprechen die beiden über den Entstehungsprozess von »Bluish«, offenen Raum für Interpretation und warum gemeinsames Essen am Filmset wichtig ist.

»Bluish« ist nach »Beatrix« euer zweiter gemeinsamer Spielfilm. Wie sieht euer Arbeits- beziehungsweise Schreibprozess aus?

Milena Czernovsky: Wir verbringen grundsätzlich viel Zeit miteinander, weil wir gute Freundinnen sind, und wir tauschen uns über viele Themen aus. Der Schreibprozess startet meistens damit, dass wir anfangen, über Ideen zu reden und über Situationen, die wir beobachten beziehungsweise erleben. Bei »Bluish« ging es uns darum, eine Stimmung, die wir spüren, einzufangen. Wir beginnen damit, Listen zu schreiben, und anhand dieser Listen versuchen wir, eine Figur zu entwickeln, und anhand dieser Figur versuchen wir wiederum, eine Dramaturgie zu finden. Beim aktuellen Film schrieben und entwickelten wir zuerst die Figur Errol. Die zweite Protagonistin, Sasha, schrieben wir später für Natasha Goncharova, nachdem wir sie bei einem Filmfestival kennengelernt hatten und unbedingt auch mit ihr arbeiten wollten.

Euer neuer Film kommt den beiden Protagonist*innen sehr nahe, ohne dabei auf viele klassische Dialoge zu setzen. Warum habt ihr euch dafür entscheiden?

Lilith Kraxner: Uns ist es wichtig, dem Publikum Raum für Interpretation zu lassen und den Blick nicht zu sehr zu lenken. Daher verzichten wir auf das klassische System von Schnitt und Gegenschnitt, um den Zuseher*innen die Möglichkeiten zu geben, den Blick im Bild wandern zu lassen. Es macht uns Spaß, mit dem Konzept des Frames zu spielen, mit den Bildrändern und dem, was man vielleicht nicht sieht oder hört, was außerhalb des Bildausschnittes passiert. Wir wollen Freiräume lassen, um Bedeutungen offen zu halten. So kann sich der Film mitunter unterschiedlich anfühlen, wenn man ihn mehrmals sieht.

Czernovsky: Wir arbeiten auch nicht mit vorgegebenen Dialogen. Also wir haben schon Dialoge im Drehbuch, aber diese setzen wir nicht eins zu eins um. Wir versuchen eher, einen Rahmen für die Spielenden zu schaffen, in dem sie sich bewegen können. Wir stehen daher viel mit ihnen im Austausch und sprechen ausgiebig über die Rollen und die Idee des Films. Zudem wollen wir, dass sie die Szenen mitformen.

»Bluish« (Bild: Panama Film / Filmgarten)

Wie habt ihr eure beiden Hauptdarsteller*innen gefunden?

Czernovsky: Die Rollen im Film besetzten wir ganz unterschiedlich: Manche Personen hatten wir von Beginn an im Kopf, andere wiederum fanden wir durch ein Casting, wie etwa Leonie Bramberger. Unser Castingaufruf damals lief so ab, dass wir die Bewerber*innen baten, ein Video von sich aufzunehmen. Sie sollten sich kurz vorstellen, auf- und abgehen und ihre Lieblingsspeise essen. Danach gab es noch eine weitere Castingrunde, bei der wir bereits viel ausprobierten und besprachen. Natasha Goncharova entdeckten wir – wie bereits erwähnt – bei einem Filmfestival und bereits dort imponierte sie uns sehr.

Manche Stimme im Netz attestiert den Figuren eine gewisse Einsamkeit. War das für euch ein bewusst gewähltes Thema?

Kraxner: Ich glaube, die Mood ist nicht nur Einsamkeit. Als wir nach einigen Lockdowns den Schreibprozess begannen, war ein Gefühl der Isolation vorhanden und zugleich eine Sehnsucht danach, Menschen nah zu sein, Sehnsucht nach Berührung und Begegnung. Alltägliche Interaktionen waren plötzlich aufregend und überwältigend. Wir wollten von der Ambivalenz zwischen dem Suchen nach Nähe und einer gleichzeitigen Überforderung damit erzählen.

Zeigt sich Einsamkeit bei Frauen anders?

Wir denken nicht in binären Geschlechterkonstruktionen, uns war es daher nicht wichtig, ob unsere Figuren sich als Frauen identifizieren oder nicht.

Die Farbe Blau zeigt sich mehrmals im Film. Was war zuerst da, der Filmtitel oder die Farbgestaltung? Was repräsentiert dieses Blau für euch?

Czernovsky: Der Titel beschreibt für uns ein Dazwischen und die Stimmung des Films. Er hat schon etwas mit »feeling blue« zu tun, aber nicht nur. Dabei ist uns der Titel relativ spät eingefallen, erst im Schnitt merkten wir nämlich, dass die Farbe Blau unseren Film sehr dominiert. Das war eigentlich nicht geplant. Dann begannen wir, über die Farbe zu reden, auch weil Lilith damals das Buch »Bluets« von Maggie Nelson las und mir davon erzählte. Mir fiel der Titel dann im Traum ein – und wir wussten, dass wir den Film »Bluish« nennen wollen.

»Bluish« (Bild: Panama Film / Filmgarten)

Ein anderes prägendes Element für den Film ist Wasser. Welche Bedeutung hat dieses für euch?

Kraxner: Wir wollten ein gewisses Gefühl von Körperlichkeit in unserem Film transportieren und das Bedürfnis danach, sich zu spüren. Wasser sowie Wasser auf der Haut und auf verschiedenen Oberflächen schien uns dafür passend. Wir wussten auch von Anfang an, dass der Film im Winter spielen soll. In diesen vielen Kleidungsschichten, die man in dieser Jahreszeit trägt, ist man so unbeweglich – und dazu kommt dann der Kontrast, im Wasser zu liegen und sich treiben zu lassen. Das fanden wir interessant, daher spielt Wasser eine tragende Rolle.

Körperlichkeit hat grundsätzlich eine große Bedeutung in »Bluish«.

Czernovsky: Statt gesprochener Sprache wollten wir Mimik und Gestik viel Raum geben.

Kraxner: Zusätzlich fanden wir es spannend, digitale Ebenen miteinzubeziehen, und wir sprachen viel darüber, wie sich Körper in digitale Welten einschreiben. Die Vielschichtigkeit des Alltags in einer Stadt und wie sich Körper virtuell sowie real durch öffentlichen Raum bewegen, ist im Film ebenso bedeutend.

»Bluish« verhandelt auch andere Kunstformen wie etwa Musik oder bildende Kunst.

Czernovsky: Wir waren daran interessiert, andere Kunstformen im Film zu zeigen. Werke und Künstler*innen, die uns beeindrucken zu vereinen. Wir wollten unterschiedliche Layers kreieren und von Geschichten in Geschichten erzählen. Einerseits vom Alltag unserer Figuren und dessen Hindernissen. Andererseits von Welten, die sich auftun, wenn sie zum Beispiel einen bestimmten Song hören oder zu einer Performance gehen. Andere Möglichkeiten werden hier sichtbar und es zeigt sich eine gewisse Erleichterung. Wir wollten auch damit spielen, die Leinwand anders zu nutzen und das Publikum zu involvieren, wie etwa bei der Meditation im Film.

Kraxner: Es ist schön zu sehen, wie sich unsere Perspektiven dadurch erweitern lassen.

Ihr habt »Bluish« auf analogem Film gedreht. Das erfordert ein bewusstes, höchst präzises Arbeiten. Warum habt ihr euch dafür entschieden?

Kraxner: Die Arbeitsweise interessiert uns hier mehr als die Ästhetik. Unseren ersten Film »Beatrix« haben wir auch auf Film gedreht. Es hilft uns, am Set einen Fokus zu haben. Wir bereiten die Szenen sehr präzise vor und wiederholen sie nur bedingt, so entsteht das Gefühl von kleinen Liveperformances. Wir arbeiten auch ohne Filmlicht, also nur mit vorhandenen Lichtquellen wie Glühbirnen oder Tageslicht. Das spart Zeit und Geld, weil wir uns nicht ewig mit einzelnen Szenen aufhalten.

Czernovsky: Ich habe das Gefühl, dass wir durch die geringe Wiederholungsmöglichkeit einzelner Szenen, mehr Spannung gewinnen.

Kraxner: Man kann außerdem nicht direkt im Anschluss sehen, was man gedreht hat, dadurch bleiben wir viel mehr im Augenblick. Wir wollen eine möglichst authentische Alltagsdarstellung einfangen.

»Bluish« (Bild: Panama Film / Filmgarten)

Kritiker*innen vergleichen euer Schaffen unter anderem mit jenem von Künstlerinnen wie Chantal Akerman und Angela Schanelec. Würdet ihr dem zustimmen? Habt ihr Vorbilder – und falls ja, welche?

Kraxner: Wir sind auf jeden Fall große Fans von Chantal Akerman, aber wir haben keine direkten Vorbilder. Sie arbeitet auch sehr langsam und zeigt den Alltag der Figuren. Den Vergleich mit Angela Schanelec verstehe ich, wenn ich an einen Film wie »Nachmittag« denke. An sich sind wir aber keine Filmnerds. Wir freuen uns immer, auf Festivals viel zu sehen, aber wir analysieren nicht täglich Filme. Es ergibt sich viel über unseren Zugang, unsere Freund*innenschaft und die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen.

Czernovsky: Ich habe das Gefühl, dass wir vielleicht eher Details aufgreifen, aber nicht das große Konzept von anderen Filmemacher*innen.

Wollt ihr auch in anderen medialen Darstellungsformen arbeiten?

Kraxner: Milena macht viel Bühnen- und Szenenbild für Film und Theater und ich arbeite auch gerne in Textform – wir haben sicher Lust, auch anderes auszuprobieren. Für »Bluish« haben wir etwa gemeinsam mit unserem Tonmeister und Sounddesigner Benedikt Palier sowie mit Performancekünstler*in Lau Lukkarila einen Song erarbeitet, der im Film vorkommt. Das hat uns sehr viel Spaß gemacht und war ganz neu für uns. Ich glaube, wir wollen noch einiges ausprobieren.

Was ist euch bei eurer gemeinsamen Arbeit wichtig – bei den kreativen Entscheidungen aber auch beim Umgang mit der Crew am Set?

Czernovsky: Unsere Freund*innenschaften sind uns wichtig. Wir arbeiten in einem sehr kleinen Team und schätzen und unterstützen uns gegenseitig. Alle sollen sich so sicher wie möglich fühlen. Essen ist uns auch sehr wichtig. Wir essen immer zusammen und besprechen, was noch so anfällt. Ich finde, wenn man gut gegessen hat, ist man zufriedener und das Arbeiten funktioniert viel besser.

Kraxner: Außerdem versuchen wir, die Drehzeiten moderat zu halten und keine Zwölf- sondern nur Zehn-Stunden-Drehtage zu planen.

Habt ihr bereits Pläne für einen neuen Film oder für andere Projekte?

Czernovsky: Aktuell arbeiten wir noch nicht an etwas Neuem, aber es fängt bereits an, uns wieder zu interessieren. Ich denke, bei einem weiteren Projekt werden wir abermals ein Thema verhandeln, das uns nahe ist. Das ist wohl die Art, wie wir gemeinsam arbeiten. Wir versuchen, unsere Erfahrungen und Beobachtungen filmisch festzuhalten.

Der Film »Bluish« von Lilith Kraxner und Milena Czernovsky ist ab 17. Jänner 2025 in den österreichischen Kinos zu sehen.

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