Wie aus einem Facebook Kommentar eine Erkenntnis wurde.
Doch dann – schleichend, während mir Facebook in immer kürzeren Abständen Mails schickt, ob ich denn nicht zurückkommen will, der Vater vermisst seinen verlorenen Sohn – passiert etwas ganz anderes. Mir wird bewusst, dass ich mehr lese. Denn ich beziehe meine Nachrichten wieder von den üblich-verdächtigen News-Outlets, den Online-Tageszeitungen, News-Organisationen und Nachrichten-Blogs.
Und während ich weiß, dass das auch oftmals parteiisch und voreingenommen ist, von Big Money und Graue-Herren-Interessen oft bis zur Unkenntlichkeit verschwommen, so ist es dennoch nicht das immer wiederkehrende inhaltlich idente Willy-Wonka-Meme oder die künstliche Aufregung der immer selben Handvoll politisch aktiven Facebookfreunde, die die Quelle meiner Nachrichten darstellen, sondern die erste Seite mindestens dreier Tageszeitungen. Und weil deren politische Windrichtung deutlich greifbarer ist, als die eines anonymen Infografikerzeugers auf Facebook, wird mir bewusst, dass der eine oder andere angelobte Kasperlminister oder die selbstverständlich himmelschreiende Ungerechtigkeit in Sotschi zwar natürlich ein Thema, aber in seinen Auswüchsen, wie es auf Facebook oftmals breitgetreten wird, keine Relation zu mindestens ebenso wichtigen, diskussionswerten Nachrichten hat. TTIP anyone? Syrien?
Die selbsternannten Tierschutz-Richter und -Henker, die Armee an neuen amerikanischen Sozialgewissensträgern, die Anti-Fracking-Fraktion und die Obama-Enttäuschten, die Fahnenschwenker, Drohnenzähler, die Hilfe-ich-bin-von-Idioten-umgeben-Besserwisser, die Essensfotos (oh mein Gott! die Essensfotos!!), die Frauen-und-Rotwein-Witze (interessanterweise meist von Frauen gepostet), die Wissenschaftler-Katzen-Memes – all das ist Ablenkung, und nur weil wir die Ablenkung selber schaffen, heißt das nicht dass es deswegen gut ist. Ich bin selbst natürlich absolut schuldig im Sinne der Anklage.
Leere
Nein, es ist nicht gut. Zumindest nicht per se. Mir ist natürlich klar, dass ohne Facebook, Twitter & Co der Arabische Frühling anders ausgesehen hätte. Aber heute habe ich zum ersten Mal nach nur einem Monat Facebook wieder aufgedreht und war … nun, fassungslos. Wir lassen uns freiwillig ablenken, mit Hingabe und Genuss. Arbeitskollegen berichten davon, wie sie Facebook für ihren Job brauchen und sie es gleichzeitig davon abhält. Der Algorithmus spült die wichtigen News in der Peer Group genau so nach oben, wie ihre vielen Listen, die Top-Places und die Fake-News .
Etwas anderes ist auch passiert. Einige Freunde haben angemerkt, dass ich tatsächlich vermisst werde. Denn so sehr sich die Menschen bewusst sind, dass es nur die Simulation eines anderen ist, wenn sie auf mein Profil gehen, oder eine Notification bekommen, dass ich mal wieder ein xkcd-Comic gepostet habe und dann denken, sie wären mit mir verbunden, so sehr mögen sie diese Simulation, so sehr funktioniert sie, so sehr hätten sie diese gerne wieder. Blaue Pille, Neo.
Und so werde ich zurückkehren. Mit Sicherheit, und das ist mehr als nur ein Vorsatz, nicht in der Dichte und Frequenz wie zuvor, aber die Bequemlichkeit, eine relativ große Masse an Menschen auf einem Schlag das Gefühl geben zu können, ich wäre tatsächlich mit ihnen verbunden, werde ich nicht ausschlagen. Wie sonst kann man einer nahestehenden Personen vermitteln, den lieben Menschen, die ich viel zu selten sehe, dass sie sehen, was ich sehe. Und dann werde ich main Handy hervorkramen, ein Foto von der Gangway machen, es posten und eine erkleckliche Anzahl an Personen darin taggen.
Die Selbstexperiment von Christopher Hassfurther wurde inspiriert von Thomas Weber, Herausgeber von The Gap, der einen Monat von Facebook offline ging. Seine Erfahrungen waren durchaus anders (hier).
Wir veröffentlichen hier gern weitere Experimente in dieser Richtung. Am besten über unsere Facebook-Seite melden (oh, the irony!)
