Ein Schritt zurück ist oft auch einer nach vorne

Ein Urlaub in Griechenland fördert Wunderliches zu Tage. Nicht nur sind ehemalige Touristeninseln von der Krise gebeutelt, Urlaub wird über das Smartphone gelebt. Ist Manfred Kling in seinem Gastkommentar aufgefallen.

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Diversen Medienberichten zum Trotz, ob der aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung und der nach wie vor schlechten Wirtschaftslage, verschlug es mich dennoch oder vielmehr gerade deshalb, im Rahmen meines einwöchigen Kurzurlaubs erstmals seit Jahren wieder einmal auf eine Hellas-Insel, nämlich Ios. Das malerische, von vulkanem Gebrigsgestein geformte Eiland wird im Jargon gerne auch als „Partyinsel“ beschrieben, eine Bezeichnung, der ich bedingt zustimmen kann.

Bedingt deshalb, weil eine funktionierende Party neben anderen wichtigen Faktoren auch immer auch von gut gelaunten Menschen abhängig ist. Und von denen gibt es zwar einige auf Ios, aber nicht so viele wie es schon einmal vor der Wirtschaftskrise waren. Dieser Eindruck wird durch leere Restaurants und Supermärkte, aber auch mäßig gebuchte Hotelanlagen, in denen vor fünf Jahren in den Sommermonaten Juli und August nicht einmal an Restplätze zu denken war, augenscheinlich. Bankomatgeräte liefern nur bis zum frühen Nachmittag Geld und auch die sonst so fröhlichen, lebenslustigen Griechen haben zu kämpfen, das merkt man ihnen in ihrer Gestik und Mimik, aber auch an ihrem gesamten Verhalten an.

Lokalbetreiber Fortis, der an der Strandpromenade von Mylopotas ein traditionelles, auf Grillgerichte spezialisiertes Restaurant betreibt, bringt es auf den Punkt: „Vor fünf Jahren hatten wir um diese Zeit jeden Abend das Lokal bis auf den letzten Platz gefüllt und auf der Straße vor dem Restaurant haben 40 weitere Leute auf einen Tisch gewartet!“ während er stirnrunzelnd auf die nur zu einem Zehntel besetzten Tische zeigt. „Wir müssen das Beste aus der Situation machen, die kaufkräftigen Urlauber sind einfach momentan nicht da, aber wir müssen weiter das tun, was wir können und dann werden diese Leute auch wieder kommen, Griechenland ist wunderbar!“ ist sich Fortis sicher und verweist zum Abschluss noch darauf, dass alles viel schlimmer kommen hätte können: „Fahren Sie einmal nach Athen, da werden Sie sehen was eine wirkliche Krise ist. Das was wir hier spüren, ist eine Mini-Krise aber am Festland ist es wirklich ernst!“ Jene Urlauber, die da sind, versteht der urige, immer mit Kochhaube ausgestattete Fortis: „Sehen Sie, das sind sehr junge Leute, für die ist es wichtiger mit ihren Freunden zu feiern, als jeden Abend essen zu gehen!“

Vordergründig mag Fortis, der Tavernenbetreiber, Recht haben. Meine Beobachtungen dieser jungen Leute haben jedoch auch einiges für mich völlig Unerwartetes zu Tage gebracht: Und zwar eine übermäßige, quer durch alle Schichten und Nationalitäten gehende, sehr offensiv sichtbare Abhängigkeit von Smartphones und Tablets. 8 von 10 vor Ort anwesenden Jugendlichen hatten ihr Smartphone am Strand oder Pool immer griffbereit, viele von ihnen waren die Mehrheit ihres Urlaubes damit beschäftigt, ihren Status in diversen sozialen Netzwerken zu checken oder zu bearbeiten. Für Melissa, die zusammen mit 14 anderen Freunden aus Perth/Australien angereist ist, um „die griechische Sonne zu genießen“, ist ihr Smartphone zum Zentrum ihres Lebens geworden. Nach dem Erwachen in der Früh wird sofort der Status auf Facebook gecheckt, die Zeit während eines Flugs, wo ihr Handy ausgeschaltet sein muss, empfindet Melissa als „sehr nervig“. Das Handy bleibt auch über Nacht eingeschaltet auf dem Nachtkästchen, „falls etwas passiert!“ Von mir mit dem erheblichen Zeitaufwand, den ihr Verhalten im Urlaub mit sich bringt, konfrontiert, antwortet sie: „Das ist meine Welt, für mich ist das ganz normal!“ Die Frage, die sich mir an dieser Stelle stellte, war: „Muss ich dazu um den halben Globus auf Urlaub fahren?“ Als die 22-jährige Blondine zum Abkühlen für ein paar Minuten in den kühlen Pool springt, liegt ihr „heiliges“ Smartphone für einige Momente frei zugänglich auf ihrem Badetuch: „Was wäre gewesen, wenn ich Dir Dein Handy jetzt weggenommen hätte?“ frage ich. „Ich würde Dich anflehen, es mir wieder zu geben, ich würde alles dafür tun, da ist mein Leben drin!“

Mehr als verdutzt schaue ich in die Runde der australischen Studenten, von denen 2/3 ebenfalls gerade ihr Smartphone benutzen, nebenbei läuft aktuelle Musik aus den Charts, abgespielt von einem I-Pad. Dabei fällt mir eine Aussage eines ehemaligen Lehrers von mir, den ich im Rahmen eines „Tages der offenen Tür“ vor drei Jahren in meiner Ex-Schule besucht habe, ein: „Manfred, es ist alarmierend! Die Schülerinnen und Schüler reden nichts mehr miteinander, in der großen Pause, auf die ihr Euch damals immer schon seit Beginn des Unterrichts gefreut habt, muss ich die Schüler heutzutage richtig aus der Klasse scheuchen, weil sie sonst von gelangweiltem Schweigen begleitet, an ihren Laptops sitzen würden, bis der Unterricht wieder fortgesetzt wird! Das macht mir Sorge!“ Damals verwunderte mich dieses Statement eines Mannes, den ich als Pädagogen, aber auch als Menschenkenner immer geschätzt hatte, heute-und insbesondere nach meinem Ios-Ausflug verstehe ich ihn gut.

Leicht schockiert, aber immer noch an das Gute im Menschen glaubend, mache ich mich auf den Weg in das Zentrum der Partymeile von Ios, „Far Out“, einer riesigen Clublandschaft, wo in einem großzügig angelegten Poolareal bereits ab 16 Uhr hunderte Jugendliche zu lauter Clubmusik tanzen. Die Stimmung ist gut, aber ob des Alkoholisierungsgrades so Mancher erstaunlicherweise nicht elektrisierend. Dies ändert sich schlagartig, als jemand mit seinem Handy ein cooles Partyfoto machen möchte. Plötzlich drängen sich Leute, die noch Minuten zuvor gelangweilt an Begrenzungsmasten gelehnt sind, in den Vordergrund. Nachdem das Foto, das eine Vielzahl von bestens gelaunten, partyhungrigen Jugendlichen zeigt, gemacht ist, stellen sich reihenweise Abgelichtete beim Hobbyfotografen, den sie zum Großteil weder kennen, noch zuvor etwas mit ihm zu tun hatten, an, um ihn zu bitten das Foto auf ihren Facebook-Account zu verlinken. Dutzende Partygäste gehen von der Tanzfläche, um das eben gerade gepostete Foto sofort zu kommentieren oder mit Freunden virtuell zu teilen. „I’m havin‘ the time of my life!“ postet etwa der aus Liverpool angereiste Kevin, der noch wenige Minuten vor der lautstarken Aufforderung zum Fotomachen teilnahmslos in einem Liegestuhl gesessen war.

Was ist die Conclusio aus diesen Eindrücken? Neben einer in diesem Spezialfall (Urlaub im Ausland) durchaus zu führende Kostendiskussion (siehe Roaminggebühren), auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, scheint folgendes außer Frage zu stehen: Daß Smartphones und ihre Einsatzgebiete auf dem Vormarsch sind, ist ebenso nichts Neues wie die Tatsache, daß die Bedeutung dieser Geräte immer mehr zuzunehmen scheint. Um diese These zu untermauern, ist lediglich eine Fahrt in der Wiener U-Bahn notwendig.

Für viele Berufsgruppen sind diese Utensilien jedoch unumgänglich und stellen einen wichtigen Aspekt und auch eine Vereinfachung der täglichen Arbeit dar, wobei die noch unnötigere Replik auf eine ohnehin schon fragwürdige OTS-Aussendung der Organisation oder Partei X betreffend des feierlich neu eröffneten Kanaldeckels Y und die Verbreitung dieses gewaltigen Informationsgehalts in sozialen Netzwerken, auch einmal zu hinterfragen wäre. Für Leute im mittleren oder fortgeschrittenen Alter, die zuvor Einzelgänger waren und sich mit sozialen Kontakten schwer taten, mögen die virtuelle Welt und ihre weitreichenden Facetten auch durchaus positiv wirken. Viele junge Menschen sind jedoch mit diesen Medien, dem Hype um die sozialen Netzwerke und der ständigen Erreichbarkeit aufgewachsen. Diese Faktoren in Kombination führen bei Anwendern zu einem ausgeprägten Suchtverhalten, dem viele Jugendliche nicht mehr entfliehen können und wollen. Anstatt sich mit Freunden zu treffen und die direkte Kommunikation zu fördern, ziehen sich viele oft in eine Welt zurück, in der jedes Foto Schönheit und Stärke suggeriert – eine Welt, in der Fehler die Ausnahme sind. Die Folge ist eine steigende Unzuverlässigkeit (man sagt einmal wo zu, kommt dann aber nicht, weil es ohnehin nichts ausmacht) und was noch viel schwerer wiegt, die Isolation von Menschen. „Melissa, es ist Zeit, einen Schritt zurück zu gehen. Leg Dein Handy einmal beiseite und unternimm etwas mit Deinen Freunden, du bist schließlich im Urlaub“, sage ich zur 22-jährigen Australierin. „Das tu ich ja, wir sind hier in Griechenland und es gefällt uns allen hier!“ sagt sie verschmitzt lächelnd während sie eine SMS an eine Freundin in Australien verschickt.

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