Die Fotoplattform Instagram ist fünf Jahre – mehr als 400 Millionen User, Mutter Facebook und das Internet feiern mit. Über die neue Ästhetik, die Vermarktung und soziale Kampagnen auf Instagram.
Instagram erblickt das Licht der Welt (© Kevin Systrom, Instagram: kevin)
Teil 1: Kurzer Abriss Ein Start-up, langsames Internet, Flip-Flops und ein Hund - Instagram entsteht. Eine Milliarde US-Dollar sind schon ziemlich viel Geld. Und es war 2012 ein stolzer Kaufpreis für ein Start-up, das zu diesem Zeitpunkt gerade einmal eineinhalb Jahre alt war, zwölf Mitarbeiter, kein Geschäftsmodell, dafür aber bereits 30 Millionen aktive Benutzer hatte. Gerade wurde die zum Facebook-Imperium gehörende App fünf Jahre alt. Die Milliarde Dollar wirkt heute wie ein Schnäppchen. Denn heute verwenden 400 Millionen Menschen Instagram. Das liegt unter anderem daran, dass die Gründer von Instagram – Kevin Systrom und Mike Krieger – sich zu Beginn auf drei wesentliche Faktoren konzentrierten: Vorhandene Foto-Apps und das Internet waren langsam, also musste das neue Ding schnell sein. Inhalte sollten möglichst schnell und einfach in andere Netzwerke teilbar sein. Die teils schlechte Qualität von Smartphone-Kameras sollte in den Griff gebracht werden. Diese Probleme wurden gelöst und machten den Erfolg aus. Die Geschwindigkeit zog man über die Reduktion auf kleine Bildquadrate massiv an, Share-Buttons waren von Anfang an am Start (Hashtags nicht) und das Internet bekam: Fotofilter. Damit werden seitdem die schlechten Bilder dieser Onlinewelt bearbeitet. Ein bisschen Schwarz-Weiß hier, etwas Überbelichtung oder ein Sepia-Filter da und vielleicht ein schöner Rahmen; all das immer im Quadrat und anfangs immer von unterwegs. Das saß. Bereits am ersten Tag konnte Instagram 25.000 Anmeldungen verbuchen, die Millionengrenze wurde drei Monate später übersprungen. Mobiles Internet hatte seine Bildsprache gefunden. HASHTAG HASHTAG Das erste Foto, das von Systrom auf die neue Plattform geladen wurde, zeigte den Fuß seiner Freundin und seinen Hund – den verwendeten X Pro II-Filter gibt es immer noch. Ganz so viel ur süßen Cat Content gäbe es ohne Instagram heute wohl nicht. Andererseits sind natürlich die Menschen selbst dran schuld, wenn sie mit ihren Phones so viele Katzen, Hunde, Pandas und Stachelschweine fotografieren. Oder Selfies. Ohne Hashtags wäre das #Selfie zumindest nicht so schnell auf den Displays erschienen um zu bleiben. Wir müssen uns bedanken. Dann kam Facebook. Mark Zuckerberg hatte schon Anfang der 00er-Jahre während seines Engagements bei Napster gelernt, wie schnell vermeintlich junge Industriegiganten – in dem Fall Tonträger – vom technischen Fortschritt und den Jüngeren, Schnelleren, Wilderen überholt wurden. Das sollte Facebook nicht passieren. Der Konzern wächst immer weiter. Twitter kann davon inzwischen nur träumen. Auch in Sachen Video wurde es schnell von Instagram abgehängt. YOUNG AND BEAUTIFUL Instagram ist noch dazu jung. Die niedrigen Like-Schwellen der Digital Natives, die einfache Handhabung und die Kraft der Bilder bilden den Nährboden für die höchsten Interaktionsraten aller sozialen Netzwerke. Und Interaktionen bedeuten bekanntlich ... Geld. Endlich. Dazu kommt eine eigene Instagram-Ästhetik und spätestens auch heuer ein paar handfeste gesellschaftliche Kontroversen. Weiter zu Ästhetik, Vermarktung und sozialen Themen auf Instagram.
Eine andere Ästhetik (© Links: Misterflopatrick; Rechts: The Gap)
Teil 2: Die Bild-Ästhetik Was ein gutes Foto auf Instagram ausmacht, ist nicht nur Gefühlssache. Und es unterscheidet sich auch von klassischer Fotografie. An gewisse ungeschriebene Instagram-Gesetze halten sich eigentlich alle – die Unternehmen, die Fotografen, Private, Celebrities. Die Ästhetik von Instagram hat sich genauso entwickelt, wie die Bedeutung der Plattform selbst. Dienten die hauseigenen Filter anfangs noch in erster Linie dem Kaschieren mangelnder Kameraqualitäten, wurden sie bald als die kreativen Werkzeuge angesehen beziehungsweise sind sie mittlerweile für viele Aufnahmen wieder obsolet geworden. Bewusste Natürlichkeit wird seitdem #nofilter genannt. WEITER IST BREITER Betrachtet man Accounts, die seit Anfang an aktiv sind, werden weitere Entwicklungen sichtbar. Als Instagram noch jung war, waren Fotos von mäßiger Bildqualität, oft (notwendigerweise) gefiltert und zeigten inhaltlich variable Motive. Kaum ein Account ging von Beginn an in eine gezielte Richtung. Mit der Zeit wollten sich aber immer weniger Leute an die quadratische Form halten. Anfang 2015 wurden bereits mehr als ein Viertel aller Posts über Dritt-Apps in nicht-quadratische-Form gebracht. Instagram tat also gut daran, seinen Usern zu folgen. HELLER, HINTERGRUND, MONOCHROM Darüber hinaus gibt es ein paar handfeste Zahlen, die darauf hindeuten, dass Instagram seinen eigenen Gesetzen folgt. Helle Bilder bekommen etwa durchschnittlich ein Viertel mehr Likes als dunkle Bilder. Viel freier Hintergrund ist ebenfalls von Vorteil – 29% mehr Likes. Vorwiegend blaue Bilder werden deutlich öfter geliket als vorwiegend rote Bilder. Und überhaupt sind Bilder mit einer dominierenden Farbe im Vorteil – 17%. Was manche vielleicht wundert: Eine geringe Sättigung kommt auf Instagram ebenfalls deutlich besser an – 18%. Und zu guter Letzt Textur. Hol dir Textur, wenn du Likes haben willst. Fotos ohne Textur bekommen beinahe 80% weniger Likes. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Andrerseits hat die Firma Curulate über acht Millionen Fotos für diese hübschen Tipps ausgewertet. Es gibt tausende Artikel da draußen die einem sagen, man solle für gute Bilder dies tun und das. Dir richtige App zum bearbeiten, der richtige Filter, die richtige Ausrichtung des Horizonts, die richtige Symmetrie, die richtigen Caspar David Friedrich-Silhouetten, die richtige Komposition, unbedingt stringent bleiben oder einfach auch mal einen Account nur für Shitpics anmelden. Viele Tipps gehen auch in die Richtung, wann und wie man posten soll – was für Profis sicher relevant ist. Klar dürfte aber sein, dass Instagram nach eigenen Regeln funktioniert. Das helle Display, schnelles Scrollen und die schiere Menge an Fotos führen dazu, dass Instagram eine neue Ästhetik entwickelt hat. Solange wir weiterhin Fotos unterwegs machen und sie auf relativ kleinen Displays durchzappen, wird das auch so bleiben. Weiter zu Vermarktung und sozialen Themen auf Instagram.
Die Leute abholen, wo sie sind (© Marion Vicenta Payr, Instagram: Ladyvenom)
Teil 3: Die Vermarktung Spät aber doch haben auch Unternehmen Instagram als Marketingtool für sich entdeckt. Für Fotografen und Marken ergeben sich dadurch einige Chancen. Wer was verkaufen will, weiß, dass die werberelevante Zielgruppe schon lange nicht mehr vor dem Fernseher oder gar dem Radio sitzt. Und Social Media ist billig. Und spät aber doch haben Unternehmen – heimische noch später – Instagram für sich entdeckt und nehmen es in ihren Medienmix auf, um Leute zu erreichen. Die Fotografin Marion Vicenta Payr alias @LadyVenom, einer der größten Accounts in Österreich, sieht das eher zweischneidig: »Ich sehe die Wertschätzung für den Kanal bei Unternehmen grundsätzlich positiv, es fehlt oft noch an der professionellen Einstellung und Umsetzung der Kommunikation und der Fotografie. Schlecht gemachter Content fällt negativ auf, das ist gefährlich, weil User kritisch sind und den Kanal verlassen, wenn er ihren Ansprüchen nicht genügt.« »DON'T PUT ALL YOUR EGGS IN ONE BASKET« Raffaele Vas, Social Media-Experte einer großen Wiener Werbeagentur, die auf Instagram vor allem im Lebensmittel-Bereich tätig ist, erklärt den Grund, warum viele Marken verstärkt auf Instagram aktiv sind: »Instagram ist eine Riesenchance, in einem neuen Social Network Fuß zu fassen. Man agiert nach dem Motto ‘Don’t put all your eggs in one basket’, betreibt Risikosteuerung und hat ein potenziell höheres Wachstum und Engagement als auf Facebook«. Außerdem ist Instagram deutlich jünger, ganze Dreiviertel der österreichischen User sind derzeit unter 29, auf Facebook sind es rund 30% weniger. Vas weiter: »Jetzt, mit den gesponserten Beiträgen, kann ich aber eine genau auswählbare Zielgruppe erreichen, die für die Marke im Tagesgeschäft eine gewisse Relevanz hat.« Firmen lassen sich das einiges kosten, für ein österreichweit tätiges Unternehmen ist ein mittlerer vierstelliger Jahresbetrag ein guter Einstieg, Agentur und die neuen – explizit gekennzeichneten – gesponserten Beiträge inklusive. Follower sind über nicht sonderlich legale Wege auch käuflich, 10.000 kosten nur rund 55 Euro. Die Frage, wie viel regionalen Firmen ein paar tausend Follower aus Indien oder Vietnam nutzen, ist eine andere. Was Marken, die sich auf Instagram probieren wollen, dabei beachten müssen, ist auch klar. Red Bull – ausnahmsweise gibt es für ein Internet Best Practice Beispiel ein heimisches Unternehmen – macht es vor. Man braucht Konsistenz, auch über die verschiedenen Kampagnen hinweg, einen bestimmten fotografischen Stil, der irgendwann für das Unternehmen selbst stehen kann. Vas sagt: »Es ist wichtig, echte Fotos zu verwenden, keine Sujets. Es geht um dieses ‘Insta’, um Natürlichkeit trotz aller Gestelltheit.« Dafür sollen dann auch Fotografen sorgen, die »laufend von Unternehmen angesprochen werden«, wie Payr erzählt, denn »es scheint, als würden viele Firmen erkennen, dass sie die Produktion des Contents auslagern müssen, damit sie den nächsten Schritt der Professionalisierung gehen können.« Für die wirklich guten Instagramer und Fotografen ist das ein gutes Zeichen und bietet finanziell neben den bisherigen Möglichkeiten wie Account Takeovers und Content anzuliefern mehr Chancen. Manche Unternehmen zahlen noch in Naturalien, Insta-Stars mit mehreren Millionen Followern bekommen da schon gerne mal mehrere Tausend Euro für ein Foto. Der normale User wird einfach mehr Werbung sehen. Und die Firmen holen die Leute da ab, wo sie sind. Weiter zu sozialen Themen auf Instagram.
#ChallengeChallenge (© Rechts: Rupi Kaur, Instagram: rupikaur_)
Teil 4: Soziale Themen auf Instagram Die Welt von Instagram ist nicht verlogener als die Welt da draußen. Die ist halt leider wirklich verlogen – wie zirka alle Instagram-Kontroversen zeigen. Warum Instagram auf die Idee kam, den Hashtag #curvy zu verbieten, ist nur ganz schwer nachvollziehbar. Andere Hashtags wie skinny, fatty, thin oder vagina konnten immerhin parallel dazu weiter verwendet werden. Instagram deshalb Doppelmoral vorzuwerfen, lag einfach überdeutlich auf der Hand. Hausregeln hin oder her. Die Diskussionen und die Aufregung um die Sperrung eines einzigen Hashtags waren richtig. Wenig später war #curvy wieder erlaubt. Sonst aber wurde ausgerechnet jene Plattform, die aufgrund von Katzen-, Essens- und Egofotos mehr als die anderen als oberflächlich und belanglos gilt, gerade heuer zu einem ganz relevanten Träger von sozialen Themen. Sehr oft ging es bei diversen Challenges um das falsche und das richtige Körperbild. Und hier fing es an, problematisch, und ja, auch verlogen zu werden. Denn egal, ob es nun um Nippel, Schamhaare, den Bauchnabel, Kurven, Schlüsselbeine oder auch Menstruationsblut ging, es drehte sich dabei doch immer nur Frauen. #BODYIMAGE Immer stimmt natürlich nicht ganz. Da machte heuer etwa auch der »Dad Bod« die Runde. Warum Männer mit Bauch jetzt sexy sind, schrieb die FAZ. Irgendwas mit Normcore blablabla. Familienväter und ihre Bäuche sollten jetzt also nicht nur etwas sein, das einfach hingenommen wird, sondern auch noch ein schönes Ziel. Menschen werden älter, verlieren ihre straffe Haut, bekommen Falten, Flecken, dünnes Haar, das ist die natürlichste Sache der Welt. Wenn das einmal um den ganzen Globus für alle Menschen so wäre und gelten würde – toll. Auf der anderen Seite haben vor allem Frauen versucht, Münzen auf ihrem Schlüsselbein zu balancieren oder mit einem Arm hinter dem Rücken ihren Bauchnabel zu erreichen um zu zeigen, wie dünn sie sind. Das Internet ist nicht dumm und kontert. Mit #BoobsOverBellyButtons sollte dem ein positives, natürliches Körperbild entgegen gehalten und auch das Bewusstsein für Brustkrebs gesteigert werden. Mit #curvy wurden Rundungen gefeiert. Wenn auf diese Art realistischere Fotos und Schönheitsideale lautstark gefordert werden, zeigt das eben, dass es diese Normalität für weibliche Körper auf Instagram noch nicht gibt. Besonders hässlich waren die Reaktionen auf Fotos von Regelblut. Todesdrohungen und Beschimpfungen als Feminazi gehörten dazu. Andere Fotos wie das von Rupi Kaur und einer unscheinbaren, dunklen Färbung im Schritt wurden von Instagram ohne jede sinnvolle Begründung gelöscht, zogen aber immerhin viel Aufmerksamkeit auf sich. #NEVERJUDGE Noch einen Schritt weiter ging die #dontjudgechallenge. Große Brillen, fette Lippen, schlechtes Make-up, Pickel, ungezupfte Augenbrauen – alles kein Problem, wir feiern das jetzt. Blöd nur, dass es schnell grotesk wurde. Denn wenn man nur so tut als wäre Akne kein Problem, sagt man natürlich, dass es in Wirklichkeit ein Problem ist. Auch Kontroversen über Achselhaare und Nippel durften heuer nicht fehlen. Im engeren Sinn politische Kampagnen fanden erstaunlicherweise aber kaum auf Instagram, sondern viel häufiger auf Facebook und Twitter statt. Was schön ist und was nicht, darüber wurde unterm Strich aber fast nur diskutiert, wenn es weibliche Körper betraf. Bleibt zu hoffen, dass die Welt zumindest im Jahr 2016 dadurch ein kleines bisschen weniger verlogen sein wird.