Florian Rainer begleitet Menschen auf ihrer Flucht durch Österreich und dokumentiert diese Wege in Bildern. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen, die Logik von Pressebildern und sein Buchprojekt "Fluchtwege".
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Eine junge Frau schläft inmitten ihrer Familie unter dem Dach in Nickelsdorf. Die meisten Flüchtlinge sind todmüde und erschöpft und nutzen jede Gelegenheit um zu schlafen.
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Private und Firmenspenden im Lager der Caritas am Westbahnhof.
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In der Polizeistation am Westbahnhof. Junge Flüchtlinge müssen davor warten weil die Station voll ausgelastet ist.
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Jeder verfügbare Stecker wird verwendet, um das Handy aufzuladen.
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Eine einsame Matratze im Ferry Dusika Stadion.
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Der alte Löwe vom Südbahnhof, ein Reisender.
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Das Präsent einer Volksschulklasse an den Kids Corner im Westbahnhof
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Eine junge Freiwillige am Linzer Bahnhof verteilt Proviant an Flüchtlinge im Zug nach Passau.
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Die Saalachbrücke in Salzburg. Während Deutsche und Österreicher mehr oder weniger ungehindert passieren könne warten die Flüchtlinge stundenlang. Man hat nicht das Gefühl dass sich viel bewegt.
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Eine spontane Demonstration der Identitären in Spielfeld, am Nationalfeiertag. Es ist eine eigenartige Mischung aus Regionalchauvinisten, Konsumopfern und Rechten.
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Ein Kind steht oben am Zaun, und hat den besseren Platz gewählt. Warum man in diesem Areal mit Raumverknappung arbeitet haben wohl auch nur die Zuständigen verstanden.
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Ein junger Flüchtling bringt Feuerholz für das kleine Feuer seiner Familie. Nachdem die Behörden mit der Abfertigung der Menschen nicht nachkommen beginnen die Menschen zu frieren.
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Ein einsamer Flüchtling am Feuer. Spielfeld, Oktober 2015.
Dass uns gerade im Zeitalter von Instagram, Snapchat und Co die Bilddokumente der wichtigen Ereignisse vor unserer Haustür abhanden kommen, klingt erstmal paradox. Florian Rainer ist daher seit Mitte September unterwegs um die Situation der Flüchtlinge in Österreich fotografisch zu dokumentieren. Das Ergebnis soll zu Weihnachten als Fotobuch unter dem Titel „Fluchtwege“ erscheinen. Seit Anfang der Woche läuft das Crowdfunding für die Druckkosten. Der Reingewinn des Projekts kommt dem Verein Ute Bock und Train Of Hope zu Gute.
Dein Mittagessen, Fitness-Selfies, Strandfotos, Catcontent – die Bilderflut scheint vor allem dazu zu führen, dass wir mehr von den ewig gleichen Motiven sehen. Selbst etablierte Medien greifen zur Bebilderung eines Themas meist auf ein einzelnes, einfach zu lesendes Foto zurück. Da diese in der Regel von den großen Nachrichtenagenturen stammen, nicht selten alle auf das Gleiche. Damit geht nicht nur die Vielfalt an Perspektiven verloren – denn wenn ein Bild mehr als tausend Worte sagt, dann ist der Verlust an Diversität wirklich enorm, bei einem so kontroversen und vielschichtigem Thema wie Migration regelrecht fatal.
Der Informationsgehalt der Bilder ist aber häufig so gering, dass man sie problemlos mit Symbolfotos ersetzen könnte. Umfassende Foto-Reportagen sind, vor allem in Österreich, mittlerweile Mangelware. Der visuellen Gleichförmigkeit und Einsilbigkeit der Presse-Berichterstattung will Florian Rainer eine umfassende Dokumentation der Situation der Flüchtlinge entgegen setzen. Im Interview erklärt er, warum er das macht, wie es um die Dokumentar-Fotografie bestellt ist und was es bedeutet Menschen zu fotografieren, die gerade ihre alte Existenz aufgegeben haben.
Was hat dich auf die Idee gebracht?
Es passiert ja nicht oft, dass in Österreich, um es etwas pathetisch zu sagen, Ereignisse von historischer Bedeutung stattfinden. Im Moment ist das aber definitiv der Fall. Das ist sicher etwas, an das man sich in 50 oder 100 Jahren erinnern wird. Bilder helfen dabei natürlich. Die Fotografinnen und Fotografen, die unterwegs sind, arbeiten oft als Zulieferer einzelner Bilder für internationale Agenturen. Im Moment ist es daher so, dass eine umfassende österreichische – aber auch deutsche, glaube ich – Perspektive fehlt. Die Balkanroute ist dagegen sehr gut dokumentiert.
Und mit dokumentieren meinst du Bilder, die über das hinausgehen, was man dann in der Presse findet?
Es immer die Frage für wen man produziert. Anhand der Bilder, die im Kontext der Situation der Flüchtlinge publiziert bzw. nicht publiziert wurden, lassen sich schon gewisse Mechanismen erkennen: Wenn man als Presse-Fotograf einen frierenden Mann und ein frierendes Kind fotografiert und man weiß, dass nur ein Bild genommen werden wird, dann wird die Wahl sicher auf das Kind fallen. Das wird eher von den großen, internationalen Medien gekauft. Natürlich gibt es Leute, die gute, komplexe Bilder machen. Deren Fotos kann man dann auch auf der Seite der APA finden, gedruckt werden sie aber nicht. Von den ganzen Geschehnissen gibt es daher im Grunde nur drei Fotos: das erste ist ein Massenbild, das zweite Menschen mit „Refugees Welcome!“-Schildern – insbesondere in Österreich – und das dritte ist das Bild eines Kindes.
Wie unterscheiden sich dokumentarische von Presse-Fotos?
In der Pressefotografie greift man öfter zum Teleobjektiv. Die Bilder bestehen meistens aus wenigen Bildinhalten. Wenn Fotos einen sozialen Aufschrei verursachen, dann folgen sie in der Regel diesem Muster. Gerade in dem Kontext liegt das Bild des toten Buben am Strand nahe: Das ist sicherlich ein ikonisches Bild dieser Tragödie, vielschichtig ist es aber nicht. Es ist effektiv um die Message zu verbreiten. Es gibt aber komplett andere Bilder dieser Szene, die ich noch berührender fand – der Polizist, der den Buben wegträgt zum Beispiel. Die wurden aber nicht gebracht.
Ich finde dieses Bild, wo einfach von vorne auf das tote Kind gezoomt wird äußerst sensationalistisch und auch ethisch zweifelhaft. In der dokumentarischen Fotografie entstehen seltener Bilder, die nur auf eine Aussage abstellen. Diese Bilder zielen nicht auf einen so reflexartigen Effekt – eben häufig Betroffenheit – und brauchen generell etwas länger um sich zu erschließen und zu wirken.
Wie kann man ethisch korrekte Bilder von Flucht und Flüchtlingen machen?
Ich glaube die Frage muss von Fall zu Fall beantwortet werden. Generell sehe ich diese Bilder als Zeitdokumente und nicht als sensationalistische Aufreger. Die hier lebenden Menschen haben ein Recht zu erfahren was geschieht und wie das aussieht. Wenn ich mir bei einem Bild nicht sicher bin, überlege ich immer ob ich das Bild machen würde, wenn es Österreicherinnen oder Österreicher wären, die ich fotografiere. Wenn ich das mit ja beantworten kann, dann mach ich das Bild machen.
Verstehst du diese Form der dokumentarischen Fotografie auch als gesellschafts- oder medienkritische Intervention?
Das kann sie jedenfalls sein. Man muss sich schon fragen, was man aussagt. Es ist jedenfalls gesellschaftspolitisch, wenn man vor allem Bilder von Frauen und Kindern zeigt. Ich habe die These, dass Kinder auch deshalb als Bildmotiv so gut funktionieren, weil sie die schutzbedürftigsten einer schutzbedürftigen Gruppe sind – als pars pro toto könnte man sagen – und wir uns in einem Diskurs bewegen, der Flüchtlinge vor allem als schutzbedürftig darstellt und inszeniert.
Welches deiner Bilder hat dich selber besonders bewegt?
Gleich das erste in der Auswahl. Die Menschen, die kreuz und quer übereinander schlafen. Das entstand in meiner ersten Nacht in Nickelsdorf. Die gesamte Situation vor Ort fand ich sehr berührend. Ich hätte nicht erwartet, einmal so etwas in Österreich zu fotografieren.
Wann sind die ersten Fotos für das Buch entstanden?
Erst relativ spät. Mitte September. Wenn du davon nicht leben kannst, hast du normalerweise keine Zeit um einfach drei Tage lang weg zu fahren und solche Jobs zu machen. Wenn man als Fotograf arbeitet, hat man normalerweise Termine, die man nicht einfach ausfallen lassen kann. Viele haben auch Familie und Betreuungspflichten.
Scheitern Foto-Reportagen an der Finanzierung?
Ich glaub prinzipiell sind sie schon finanzierbar, wenn auch nicht unbedingt von österreichischen Medien. Es ist aber vielleicht auch einfach eine verlorene Kunst, die etwas vor sich hin siecht. Neben der Finanzierung gibt es auch kulturelle Aspekte: Ich habe den Eindruck, dass in den meisten österreichischen Medien ein Primat des geschrieben Wortes herrscht und man die Macht der Bildermacherinnen und Bildermacher eher gering halten will. Das Bild wird darum etwas stiefmütterlich behandelt. Eine wohltuende Ausnahme war der Artikel der im letzten Datum erschienen ist.
Wo warst du bisher unterwegs?
Vor allem in Südösterreich, Salzburg, Linz und Wien. Ich würde natürlich noch gern öfter in den Bundesländern unterwegs sein, aber das ist eben eine Zeit- bzw. Ressourcenfrage. Und auch eine Frage des Zugangs.
Wie sehen deine Arbeitsbedingungen aus?
Ohne institutionelle Partner ist es schwierig Zugang zu bekommen, vor allem wenn man in den Lagern selbst fotografieren möchte. Wenn man die Rückendeckung von Caritas oder UNHCR hat, geht das schon viel einfacher. Es variiert aber allgemein von Ort zu Ort: In Nickelsdorf waren die Behörden hilfreich und entspannt. Da war es aber noch warm und da ist es dann auch leichter entspannt zu sein. In Spielfeld war das anders: Es war kalt, schlecht organisiert und schwierig überhaupt zur Grenze durchgelassen zu werden.
Wie wird das Buch aufgebaut sein?
Das Buch ist geografisch und zeitlich strukturiert. Ganz am Anfang des Buches stehen die Bilder, die die Refugees selbst auf der Flucht gemacht haben. Ich hab jetzt vor allem Selfies ausgewählt, die einzelne Personen an unterschiedlichen Stationen zeigen. Den Hauptteil bilden meine Fotos: Der beginnt mit der Einreise nach Österreich im Südosten und endet mit der Ausreise im Osten.
Der Anhang widmet sich den Flüchtlingen, die in Österreich geblieben sind. Diese Menschen sind mit ganz unterschiedlichen Situationen konfrontiert, je nachdem ob Sie weiterreisen oder hierbleiben wollen und wo sie eben gerade untergebracht sind. Zusätzlich zu den Fotos gibt es auch Textbeiträge von vielen tollen Autorinnen und Autoren und Freiwilligen. Da bin ich noch am Sammeln. Dann gibt es noch Beiträge von den Refugees selber und ein paar Found-Footage-Texte.
Wieviel soll das Crowdfunding einbringen?
Die Druckkosten belaufen sich auf 7000 Euro. Wenn es gelingt die Auflage komplett zu verkaufen, dann würde davon ein Reingewinn von 25.000 Euro bleiben. Wenn wir überfundet sein sollten, wär das natürlich noch besser. Dann ließen sich mehr Bücher produzieren und die Produktionskosten pro Stück drücken. Von den 35 Euro Kaufpreis gehen jedenfalls 27 Euro an Ute Bock und Train of Hope. Bist jetzt ist es ganz gut angelaufen. Wir hatten nach zwei Tagen bereits 2000 Euro.
Was kann man sonst noch tun, um das Projekt zu unterstützen?
Also ein Buch vorbestellen ist schon mal ganz gut. Und wir haben am Buchrücken Platz für Sponsorenlogos – es wäre also schön, würde sich die eine oder andere Marketingverantwortliche angesprochen fühlen.
Ist es schwierig Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden?
Teils, teils. Es arbeiten wirklich viele Leute und alle unentgeltlich an dem Buch mit: Leute die Texte, beisteuern, Michael Fetz, der das Layout macht, das Lektorat und ich natürlich auch. Das ist vielleicht überhaupt das, was diese Situation auszeichnet. Es sind wirklich viele, die an den Grenzen, Bahnhöfen oder sonst wo mithelfen ohne irgendwas dafür zu bekommen. Das finde ich schon ziemlich geil.
„Fluchtwege“ wird über 180 Fotos von Florian Rainer und 25 Texte unterschiedlicher AutorInnen enthalten. Für 37€ kann man ein Buch erwerben und das Projekt unterstützen. Alle Infos finden sich auf der Crowdfundingplattform Wemakeit.