Sie definieren konzertanten Techno und Bass Music, bevor das so hieß. Die Dokumentation »We Are Modeselektor« fasst das Phänomen zusammen, Berlin, Bodenständigkeit und Jetset – und das fast ohne Mythenbildung.
Als Techno zur neuen Idylle wurde
Aufgewachsen sind Szary und Bronsert in der Idylle im Osten Berlins, Naherholungsgebiet für gestresste Berliner, inklusive weitläufigen Wäldern, See- und Flusslandschaft. Dort verbrachten die beiden auch ihre Freizeit, »bis dann der Techno kam.« Das stellte den ersten großen Umbruch im Leben der zwei dar. Die ersten Partys wurden in einem Schuppen in Szarys Elternhaus gefeiert, renoviert und umgebaut wurde selbst. Beeinflusst vom Fall der Mauer, der Wende, der daraus folgenden Stimmung und durchtanzten Nächten im Berliner Tresor. Gehüllt in Stroboskop und Nebel wurde in alten Fabrikhallen geravt. Und so wurde sehr bald »aus sehr wenig sehr viel«, fasst Bronsert diese Zeit an der Titte von Techno zusammen.
Danach kam die große, auf zwei Stöcke ausgedehnte Berliner WG, gemeinsam mit den Visual Artists der Pfandfinderei-Crew. Sie war die Keimzelle, die Ersatzfamilie, die endlose Partyzone und kreative Ursuppe für das, was danach kam. Wegen Geschichten wie diesen möchte man am liebsten selbst fünf gute Freunde einpacken und eine urbane Kommune gründen. Schon Ende der 90er war bei ihren Labstyle-Partys im Berliner Kurvenstar musikalisch alles erlaubt, die Pfandfinderei machte dazu schräge VHS-Visuals. Modeselektor waren nicht mehr nur befreundete DJs, sondern ließen eigene Tracks auf Vinyl pressen – damals übrigens schon mit Moritz Friedrich aka Siriusmo. Aus diesem Netzwerk ergab sich der Kontakt zu Ellen Allien, mit ihrem Label Bpitch Control starteten Modeselektor so richtig durch. Neben dem ersten Longplayer »Hello Mom« – ja, tatsächlich ein Statement an die Mütter der beiden, dass sie es jetzt endlich geschafft haben – stand die erste kleine Welttournee an und das Monster Modeselektor kam ins Rollen. Maxis, Alben, ein eigenes Label und ein eigenes Sublabel folgten.
Das alles erzählt die Doku ziemlich unaufgeregt, fast ohne Stimme aus dem Off. Agel und Wick wollten dezidiert keine Rock’n’Roll-Story vom Format „A Cross The Universe“ von Justice machen oder einen schlecht frisierten Abschiedsfilm wie den von LCD Soundsystem. Sie wollten vielmehr die Geschichte des Duos erzählen. Das ist ihnen zweifelsohne gelungen. Er greift fast nur auf die Beteiligten selbst zurück. Dadurch werden keinen Mythen gebaut, Leute mit Hirn und solche ohne müssen sich selbst ein Bild machen.
Auf dem richtigen Pfad mit der Pfadfinderei
Enormen Anteil, dass Modeselektor zu dem wurde, was sie heute sind, hatte auch der von den Pfandfinderei-Jungs kreierte Affe, der eher zufällig zum Aushängeschild von Modeselektor wurde. Dutzende Variationen gibt es mittlerweile von ihm, passend zu jeder Maxi und zu jedem Album. Bei Fans sind die Affen beliebtes Tattoo-Motiv, sie bauen das Erkennungsmerkmal der Monkeytown-Jünger in Beton nach, backen Kuchen mit Affe drauf oder sprühen es meterhoch an Häuserwände. Es mag zuerst banal scheinen, wie wichtig dieses sofort wieder erkennbare Tier für Modeselektor war. Warum aber fehlt so ein Banner bei elektronischen Acts sonst fast immer.
Manches wurde auch ausgeklammert. Es stehen die Personen Szary und Bronsert im Mittelpunkt. Kollaborationen und Ausflüge in die Rap-Welt, unter anderem mit TTC, werden nur angeschnitten, jene mit Thom Yorke und die Nähe zu Radiohead sogar ganz weggelassen. Gegen Ende der Doku fasst Bronsert das Projekt Modeselektor treffend aus seiner Sicht zusammen: »Auf der Autobahn, auf der wir fahren, mit unserem total lustigen Auto, gibt es zwar eine Menge Baustellen, trotzdem sind wir immer zu schnell unterwegs und das, ohne oft geblitzt worden zu sein.« Nuff said.
Modeselektor spielen am 9. Mai live im Rahmen des DVD-Screenings zu »We Are Modeselektor« in der Ottakringer Brauerei und von 24.–.26. Mai treten sie am Lighthouse Festival in Porec, Kroatien auf.