Zwischen wuchtigen Hieben bleibt in „For Honor“ auch Zeit zum Überlegen.
„For Honor“ ruft wieder einmal in Erinnerung: Seit „Bushido Blade“ auf der guten alten Einser-Playstation war da immer diese Ahnung, diese Hoffnung, dass Schwertkampf in Videospielen mehr sein kann, als das schlichte Aneinanderreihen von Button-Kombinationen. War nicht für alle offensichtlich, dass hier viel fruchtbarer Boden für realistischere, taktische Kämpfe seit Jahren fast unbeackert vor sich hin vegetiert? Scheinbar nicht. Bis zu den Ereignissen, die dazu geführt haben, dass im Februar 2017 – die Spielewelt noch im Freudentaumel über das großartige Kampfsystem von „Nioh“ – „For Honor“ über uns hereinbricht.
Der Legende nach trainierte Ubisofts Jason VandenBerghe gerade Paraden mit dem Langschwert, als ihn die Erkenntnis heimsuchte, dass das Parieren von Hieben rechts, links und oberhalb des Körpers sich wunderbar in einem Videospiel umsetzen ließe. Schon der Name verrät hier die Mythenbildung rund um einen Mann, der sich auf Twitter geheimnisvoll @the_darklorde nennt. „And so, I came down from the Mountains“, heißt es dann in „For Honor“s Singleplayer-Mission 2.1. und schon ist die Saga perfekt, von VandenBerghe als Heilsbringer des Schwertkampfspielgenres.
Dem Einstieg in die Einzelspieler-Kampagne folgt dann ein Hauch von Ernüchterung. Wer in einem Spiel Ritter gegen Samurai und Wikinger kämpfen lässt, täte gut daran, die Erklärung für diesen historischen Humbug schuldig zu bleiben. Aber die Kampagne ist im Grunde ein gestrecktes und in Zwischensequenzen gerahmtes Tutorial. Und als solches betrachtet, ist sie schon fast wieder amüsant. Für Einzelgänger ist „For Honor“ aber sicherlich das falsche Spiel. Denn all die harten Sprüche und Geschichtsverdrehungen ebnen nur den Weg für den in vielen Aspekten hervorragenden und unkonventionellen Online-Modus.
Kern der Sache ist selbstverständlich das Kampfsystem, das aufgrund recht schwerfälliger Hiebe weniger auf Geschwindigkeit, als auf taktisches Vorgehen und aufmerksames Beobachten setzt. Angriffe erfolgen aus drei Richtungen (rechts/links/oben) und können geblockt, gekontert und unterlaufen werden. Auf jede Aktion gibt es ein paar wenige passende Reaktionen und wer einfach nur den Controller massiert steht bald keuchend und verwundbar vor dem Feind. Das alles erinnert an eine vereinfachte Form klassischer Fighting-Games: Unterschiedliche Charaktere mit jeweils eigenen Angriffskombinationen und Schwerpunkten, Griffen, Würfen und einer schnell schrumpfenden Energie-Leiste.
Der Clou ist, dass eben nicht nur 1 gegen 1, sondern auch 2 gegen 2 und in 4er-Teams gegeneinander angetreten werden kann. Modi wie „Dominion“ – der Teamkampf um bestimmte Areale auf einer offenen Karte – sind Shooter-Klassiker, spielen sich mit Schwert und Streitaxt aber massiv entschleunigt und damit weit taktischer. Da kann sich ein Duell durchaus eine halbe Minute hinziehen. Manchmal eilt das Team zu Hilfe, dann wird wieder in Unterzahl gekämpft. Jeder sauber parierte Hieb ist ein kleiner Sieg und am Ende bleibt viel Genugtuung und der Drang, besser zu werden.
In Sachen Match-Making und Verbindungsfehler darf da schon noch nachgebessert werden. Für den frischen Wind im Online-Multiplayer-Genre hat sich Ubisoft aber viel Wohlwollen verdient. Und dafür, dass auch Shooter-Noobs sich wieder auf Online-Server trauen dürfen. Hab Dank, VandenBerghe!
„For Honor“ ist bereits für PS4, Xbox One und PC erschienen. Erhältlich unter anderem bei Amazon.