Wiener Friedhof der Namenlosen: Von Donauleichen und Selbstmördern
Seit bald 100 Jahren kümmert sich die Familie Fuchs um den Friedhof der Namenlosen: ein verwunschener Ort am Donauufer im Süden Wiens. Hier liegen unbekannte Wasserleichen und Selbstmörder aus der Zwischenkriegszeit.
von Cornelia Breuß, Mathias ZojerSeit bald 100 Jahren kümmert sich die Familie Fuchs um den Friedhof der Namenlosen: ein verwunschener Ort am Donauufer im Süden Wiens. Hier liegen unbekannte Wasserleichen und Selbstmörder aus der Zwischenkriegszeit. Wie der Friedhof in die Verantwortung der Familie Fuchs kam und warum die Engel ständig in Bewegung sind, erzählt Josef Fuchs im Gespräch.
Wenn die Kollegen nach der Arbeit auf ein Bier gehen, winkt Josef Fuchs ab: Er will noch schnell auf den Friedhof. Auf seinen Friedhof. Also fährt er der Donau entlang nach Süden bis zum Alberner Hafen. Früher sorgte ein Strudel in der Donau dafür, dass hier Wasserleichen angeschwemmt wurden.
Dort, wo Josef Fuchs als Kind am Donauufer im dichten Auwald gespielt hat, stehen heute Industriebauten. Er parkt sein Auto zwischen Betonmischmaschinen und hohen Bäumen. Das Hämmern der Arbeiter, die Tanks reinigen, übertönt das Rauschen der Blätter. Dahinter eine alte Mauer: Hier liegt der Friedhof der Namenlosen. Fuchs, hauptberuflich Technischer Ingenieur, arbeitet in seiner Freizeit als Friedhofspfleger.
Nicht willkommen
Ursprünglich war der Friedhof der Namenlosen im Jahr 1840 für Wasserleichen errichtet worden, die meisten von ihnen blieben unbekannt. Nur in manchen Fällen konnten Name und Herkunft der Toten festgestellt werden. Später diente dieser Ort auch der Beerdigung von Toten, die auf dem herkömmlichen Friedhof der Pfarrgemeinde nicht willkommen waren: Selbstmörder. „Davon gab es in der Zwischenkriegszeit viele. „Jeder hat jeden vernadert“, erzählt Fuchs.
Er kennt die Schicksale seiner Leichen: eine ledige Dienstmagd, die sich umbrachte, weil sie schwanger war. Ein junger Mann, der sich hier am Grab seiner Mutter das Leben nahm. Ein Säugling, der in einer kleinen Kiste in der Donau trieb: „Sepperl“ nannte der Großvater das namenlose Baby. Drei Arbeiter aus Deutschland, die beim Hafenausbau in den 1930er-Jahren zu Tode kamen. Nur einer liegt freiwillig hier: ein Gastwirt, der zu Lebzeiten darauf bestand, am Friedhof der Namenlosen beerdigt zu werden.
Man kann sie nicht vergessen
Fuchs kennt jeden Grabstein, jedes Kreuz und jeden Engel. Schon sein Großvater, vor 110 Jahren geboren, war für diesen Friedhof zuständig: „Das sind auch Menschen, man kann sie nicht vergessen“, habe der Alte über die Wasserleichen und Selbstmörder gesagt, nachdem der Friedhof im Jahr 1940 geschlossen wurde.
Zuerst der Großvater, dann die Eltern von Josef Fuchs, und eines Tages vielleicht sein Sohn: Zur Friedhofspflege gehört, die Grabsteine und Kreuze sauber zu halten, Inschriften auszubessern, den Pflanzenwuchs einzudämmen, Laub zu rechen, Blumenspenden zu arrangieren, die Engel und Teddybären zu platzieren. Denn die Besucher bringen nicht nur Blumen als Grabschmuck mit: Porzellanengel und kleine Stofftiere, Muscheln und besonders Steine liegen auf den Gräbern. Jedoch nie an derselben Stelle. „Einmal sitzt dieser Engel hier, und beim nächsten Mal finde ich ihn ganz wo anders. Heute waren alle Stofftiere gemeinsam bei einem Grab, dann wieder verteilt sie jemand“, lacht Fuchs. Ihn stört das nicht, solange niemand etwas beschädigt.
„Einmal hat eine Band hier Aufnahmen gemacht. Ich denke mir: Denen hier hätte das eh gefallen“, sagt Fuchs und deutet auf die Gräber. Die Toten hier starben voller Kummer, durch Gewalt, oder sie mussten qualvoll ertrinken. Doch jetzt sind sie bei Fuchs in guten Händen.
Mehr Informationen über den Friedhof der Namenlosen findet ihr hier. Der Friedhof selbst ist immer zugänglich, die Kapelle und die Totenkammer können nach Vereinbarung besichtigt werden.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Multimedia-Ateliers am Institut für Journalismus & Medienmanagement der FH Wien der WKW entstanden.