Manches muss man zurücklassen, wenn man in die Stadt zieht. Um einiges ist ziemlich schade – um anderes eher weniger. Wir haben typische Landerfahrungen aufgezeichnet und mit einem ziemlich subjektiven "Will-Zurück-Faktor" bewertet.
Compilations (© Iris Adelt & Nadine Obermüller)
Kuschelrock, Just the Best und wie sie alle heißen – wer diese Compilations nicht hatte, ist entweder jung oder sah sich schon früh in seinem eigenen Musikgeschmack gefestigt. Wir anderen sind hirnlos zu den Bravo Hits abgegangen und haben fragwürdige Tänze aus damals angesagten Musikvideos nachgetanzt. Wer die Choreographie von Coco Jamboo, Bailando, Mambo Number 5 auch noch ungefähr drauf hat, weiß genau, wovon hier die Rede ist: Nostalgie. Alte zerkratze CDs hervorkramen und schauen, ob man den „Men in Black“-Tanz noch drauf hat – Kann man schon ab und zu machen. Unter dem Deckmantel der Ironie, aber auch ohne.
Will-Zurück-Faktor zum Charts-Diktat auf 2 CDs : 5 von 10
Kuscheltierarmee (© Iris Adelt & Nadine Obermüller)
Wenn der Kater Petzi Flöhe ins Haus schmuggelt und die Kuscheltiere highjacked, ist die Party erstmal vorbei. Dann müssen alle runter vom Kinderzimmer-Verbau und direkt in die Waschmaschine. Rehabilitiert kehren sie zurück und alles ist wieder gut – bis zu dem Moment, wo sich schlagartig die Einstellung zu den flauschigen Freunden ändert. Von einem Tag auf den anderen wird ihr Besitz verleugnet und die alten Lieblinge müssen auf den Dachboden oder in den Keller umziehen. Und wenn man dann ganz weggeht, denkt man auch nicht im Traum daran, sie in die neue WG mitzunehmen. Würde eher schräg wirken – so eine flauschige Armee am Billy-Regal arrangiert – oder noch massenmördermäßiger: gleich auf’s Doppelbett setzen. Und trotzdem ist es nett, die Stofftiere von früher noch am Leben zu wissen. Irgendwo halt. Dieser Gedanke reicht aber auch an Kontakt.
Will-Zurück-Faktor zwischen Teddy und Co.: 1 von 10
Ärzte (© Iris Adelt & Nadine Obermüller)
Dr. Stefan Franks Wartezimmer – der fiktive Arzt mit dem weiblichen Vertrauensvorschuss – ist nichts gegen die Praxis, die man schon als Kind mit blutigem Kinn gestürmt hat, weil man die frisch gewischten Fließen daheim unabsichtlich küsste. Nicht nur, dass man schon beim Anmelden mit Vornamen begrüßt wird – auch dass man immer noch lebt, spricht für die bisherige Behandlung. In der Stadtarztpraxis ist dagegen alles viel schlechter. Die Sprechstundenhilfe versucht einem am Telefon auszureden, überhaupt zu kommen – und wenn man's dennoch tut, ist man nur unbekannten Gesichtern in der Ordination ausgesetzt. Diese unpersönliche Umgebung kann einen nur kränker machen. Es ist zwar schräg, wenn einen ein- und dieselbe Person fast zwei Jahrzehnte lang gedutzt hat und auf einmal die Forderung nach der E-Card mit einem „Haben Sie…“ einleitet, aber trotzdem: Die Ärzte am Land behalten, zahlt sich aus. Dieser eingebildete Bonus, dass es ihnen einfach weniger wurscht ist, ob man abkratzt oder nicht – unbezahlbar.
Will-Zurück-Faktor in die ländliche Arztpraxis: 10 von 10
Sportgeräte (© Nadine Obermüller)
Sport ist Mord? Nicht am Land. Wenn man in ländlicher Atmosphäre, vor allem in den Bergen aufgewachsen ist, gehört (Winter-) Sport dazu. Dementsprechend fällt dann auch die Ausstattung aus. Die guten, alten Ski, mit denen man jahrelang versucht hat die schwarze Piste zu bewältigen (Betonung auf "versuchen") zum Beispiel. Oder das große, dunkelblaue Snowboard, dass man nur gekauft hat, weil Snowboarden plötzlich cooler war. Aber auch an Indoor-Sportgeräten kommt man nicht vorbei. Den Hometrainer, der unten im Keller steht, hat man vielleicht sogar vier Mal verwendet.
Da die Sportausstattung in der Stadt eher sperrig wäre, hat man fast keine andere Wahl, als sie zurückzulassen. Und mit ihnen genauso die regelmäßigen Sporteinheiten. Was aber okay ist, denn die werden jetzt auf städtisch in Barhoppings eingetauscht.
Will-Zurück-Faktor für einen Trinkausgleich: 7/10
Grüßen (© Iris Adelt & Nadine Obermüller)
Servas, Griazi und Grüß Gott. Was im Musikantenstadl auf den Städter übertrieben wirken muss, ist am Land schlicht und einfach Standard. Meist ist man vor ländlicher Kulisse mit der eigentlichen Unterhaltung nur kurz beschäftigt: Der Schwerpunkt liegt beim Verabschieden. Zirka 100 Mal in verschiedenen Varianten muss das geschehen, sonst darf man nicht gehen. Eigentlich muss man sich auf seine ländliche Intuition verlassen, um einzuschätzen, wann der echte und finale Abschied gekommen ist. Er ist zirka nach Baba, Griass di, Bis boid, Moch’s guat, Hau di über d’Heisa, Servas und Schleich di. Dieses übertriebene Grußverhalten ist manchmal ganz lustig, in der Stadt geht's dahingehend allerdings schon gemütlicher zu. Dort kann man sich auf fünf Buchstaben verlassen, die einen überall durchbringen: Hallo.
Will-Zurück-Faktor zum Grüßen im großen Stil: 3 von 10
Vergangenheit bei den Pfadfindern, Ministranten oder der Jungschar (© Nadine Obermüller)
Als Kind ist alles spannend und aufregend – Da kann ein Buch aus dem Regal fallen und man hat sein Highlight des Tages erlebt. Naheliegend also, dass Vereinigungen wie Pfadfinder oder Jungschar ein Bombenzeitvertreib sind. Zumindest bis man ein gewisses Alter erreicht hat, ab dann wird der meist wöchentliche Treff schnell zum Tiefpunkt der pubertierenden Existenz. Einfach aussteigen und verdrängen, dass man ein paar Jahre seiner Kindheit dort verschwendet hat? Tja, nicht ganz so einfach. "Aber das kannst doch der Gruppenleiterin nicht antun, ihr kennt’s euch schon so lang. Ist doch so eine Liebe, die Gerti". Danke für nichts, Mama. Also geht man immer wieder hin, weil man schließlich weder der Mama noch der Gerti das Herz brechen will. Wenn man jedoch in die Stadt zieht, dann löst sich das Problem wie von selbst. Gegen die große Entfernung kann selbst die liebe Gerti nichts tun. Wie schade.
Will-Zurück-Faktor zum Gemeinschaftserlebnis der unbesonderen Art: 1/10. 1 wegen Gerti.
Haustier (© Iris Adelt & Nadine Obermüller)
Auch wenn es einem das Herz zerfetzt, die Katze, den Hund oder sein anderes Lieblingsfelltier aus der jahrzehntelangen Umgebung zu reißen und in eine 5er-WG zu stecken, geht gar nicht. Sicher fehlt es einem zunächst, wenn man nicht mehr aus dem eigenen Bett gedrängt oder um sechs in der Früh mit eindringlichen Tierlauten in den neuen Tag gerissen wird. Dennoch überwiegen objektiv die Vorteile. Zum Beispiel die Freiheit zu haben, jederzeit zu verreisen oder bei einem Feierabendbier ohne schlechtes Gewissen versumpfen zu können. Gefühlsmäßig sieht das natürlich anders aus. Aber passt schon. Der nächste Wiedersehen am Land kommt bestimmt. Will-Zurück-Faktor zum Haustier: 8 von 10
Happenings: Ö3-Parties, Feuerwehrfeste und Dorfdiskotheken (© Nadine Obermüller & Iris Adelt)
Wenn man in der Stadt aufgewachsen ist, dann hält man "Saturday Night Fever - So feiert Österreichs Jugend" für einen schlechten Witz, über den man trotzdem lachen muss, weil es so absurd wirkt. Ist man jedoch am Land aufgewachsen, dann weiß man, dass dahinter mehr als schlechtes Schauspiel steckt: Ein "Bam, Oida" gibt’s auf jedem Dorffest gratis dazu. Nur mit dem Unterschied, dass im Vergleich zur Stadt am Tag danach jeder im Umkreis von 2 Kilometer Bescheid weiß, wie man sich gestern aufgeführt hat. Da kann es schon mal passieren, dass man vollkommen vom Alkohol berauscht in das nächste Bierzelt stolpert und der eigene Vater vor einem steht. Was eigentlich eh egal ist, weil er höchstwahrscheinlich selbst das ein oder andere Bier bereits intus hat. Das Problem sind eher die anderen 30 Anwesenden –Nachbarn, Verwandte, Kirchengänger – die wochenlang davon jedem, der es hören will, berichten werden. Das Schöne ist, wenn man vom Land in die anonyme Hauptstadt zieht, lässt man nicht nur all seine betrunkenen Geschichten zurück, sondern praktischerweise auch gleiche alle Leute, die es überhaupt interessiert, ob man abstürzt oder nicht.
Will-Zurück-Faktor zur Dorfversammlung unter Alkoholeinfluss: 0/10
Selber lenken (© Nadine Obermüller & Iris Adelt)
Am Land wartet jeder bis er endlich den Führerschein machen kann, um ein bisschen mehr Unabhängigkeit zu haben. Das erste Ziel ist meistens keine Lenkberechtigung für das Auto, sondern eher für das sogenannte Moped. (Ur geil) Wenn man dem Landleben endgültig Goodbye sagt, dann muss auch das Moped dran glauben. Jetzt heißt's nämlich: Hallo, öffentliche Verkehrsmittel. Direkt von A nach B fahren geht jetzt nicht mehr und daran muss man sich nach dem Umzug erstmal gewöhnen. Die neuen besten Freunde heißen jetzt Bim und Ubahn. Ja klar, es schmerzt schon, aber andererseits: Nichtfahrer dürfen Trinken.
Will-Zurück-Faktor der Freiheit auf Rädern: 5/10