Wolfram, ehemals Marflow, ist Österreichs bekanntester Disco- und House-Produzent. Auf seinem Debütalbum gibt sich sein internationales Netzwerk die Ehre. Featuring Hercules & Love Affair, Holy Ghost oder Haddaway.
Wer auf Facebook selbst geknipste Fotos der Wohnung von Popstar Moby postet und auf Partys bei der New Yorker Fashion Week auflegt, wo auch Lady Gaga performt, hat mehr als nur einen linken Fuß in der Tür. Es sei ihm einfach so passiert, meint Wolfram (sprich: Wulfräm) im Interview via Skype in klassischer Understatement-Manier. So, als wäre es ihm auch nur passiert, dass er jetzt gerade für einige Wochen in New York sitzt, kurz vor dem Release seines Debüts, um dort Freunde und Bekannte zu besuchen. Stimmt so natürlich nicht, auch wenn man ihm das in seiner manchmal arglos wirkenden Art nur zu gern abkaufen würde. Ein Schaf, wer da ein Schaf im Wolfspelz vermutet. Er bespielt ein Netzwerk, das in der österreichischen Musikszene seinesgleichen sucht. Zum Glück hat Wolfram auch ein Gespür dafür, dass so viele Freunde und Bekannte kein Selbstzweck sind. Denn ein schlechtes Album bleibt auch mit 4.000 der besten Facebook-Bekanntschaften ein schlechtes Album. Wolframs Debüt »Wolfram« ist glücklicherweise das Gegenteil.
Lebenskünstler / Künstlerleben
»Eigentlich könnt ihr mich auch mit Diplom-Toningenieur anreden«, sagt Wolfram und lacht lauthals. In Wien hat er Tontechnik gelernt. Aufgewachsen ist er in St. Veit an der Glan, im schönen Kärnten, wo ihn sein Vater früh mit kosmischer und elektronischer Musik der späten 70er und frühen 80er anfixte. Musik, DJing und Musikproduzieren waren seit jeher wichtig. Wolframs Onkel zeigte dem begeisterten Buben alte Synthesizer. Das hat ihn hörbar geprägt.
In Wien machte er sich durch Partys im Keller einer abgefuckten Pizzeria, seiner Vorliebe für trashige Flyer und obskure Italo Disco-Platten einen Namen. Im Umfeld von bildender und angewandter Kunst kam das gut an, zählt doch in diesem Milieu seit dem Ober-Arthouse-Feierant Martin Kippenberger (1953-1997) eine denkwürdige Party gleich viel wie eine schludrig-geniale Medieninstallation. Die Klasse für Kunst und digitale Medien an der Kunstakademie nahm Wolfram dann auch gleich auf. Praktisch, wenn man dort sogar einen für Moby angefertigten Remix als Arbeit einreichen und benotet bekommen kann.
In diesem Umfeld hat es Wolfram sicher nie geschadet, groß gewachsen und sehr fesch zu sein. Für die jungen Wiener Designer Petar Petrov und Ute Ploier modelte er, über die Agentur Next Models kam er nach New York, wo ihn das Wiener Techno-Urgestein Patrick Pulsinger, den er kurz zuvor über Radio FM4 kennengelernt hatte, zum gemeinsamen Auflegen einlud. Die New Yorker waren derart begeistert von den wilden Designer-Hosen des Österreichers, und, ja ok, auch von seiner Musikauswahl, dass ein Clubbetreiber ihm umgehend einen regelmäßigen Wochenend-Termin anbot. Dort zählten sämtliche Musik-Hipster New Yorks zu seinen Stammgästen und klopften bereitwillig ihre Kontakt-Infos in Wolframs Handy.
Gaylord
Das ist ein bisschen mehr als Zufall. Die Biografie von Wolfram ist voller Namen von interessanten Menschen. In einem früheren, nie erschienenen Interview sagte Wolfram über seine Anfangstage in Wien, dass er mit einer guten Freundin in der Wohnung saß und beide sich dachten, sie müssten jetzt die richtigen Leute kennenlernen, diesen Typ da von Radio FM4 oder den, der diese Partys organisiert. Angeblich! Einfach so fällt man auch jemandem wie Andrew Butler von Hercules & Love Affair nicht in die Arme. Wolfram hat dabei ein ganz gutes Gespür, wie er auf Leute wirkt: »Andrew Butler wurde mir in einem Club in NYC vorgestellt und ich glaube noch immer, dass er mich eigentlich für jemand anderen hielt weil er meinte, er schaue sich so oft meine YouTube-Videos an und mag meine Musik. Wir redeten auf jeden Fall sehr, sehr lang. Aber keine Ahnung, ob es ihm wirklich um Musik ging oder ob ich bloß sein Gaydar, sein Gay Radar, aktivierte.“
Schon früher, 2004, lief das erste Mal sein US-Touristen-Visum aus. In Wien buchte er sämtliche Acts, zu denen er in New York Kontakt geknüpft hatte, auf seine Partys. Das „E-Nix Gang Bang“ ist auch deshalb seit Jahren einer der am konstantesten funktionierenden Clubs in Wien. Außerdem startete er sein eigenes Label Diskokaine, um seine ersten Singles mit der Electro-Rapperin Princess Superstar zu veröffentlichen. Mit der schwedischen Slow-Motion-Disco-Chanteuse Sally Shapiro landete das Label sogar unter den Top-30-Tracks des Jahres 2006 bei den Musikpäpsten von Pitchfork.com.
Andere Labels klinkten sich ein und veröffentlichten ebenfalls Wolframs Singles. Internationale DJ-Bookings und ein Remix für Moby folgten. Der Rest ist Discogs-Geschichte. Wolframs Singles begeisterten, aber die Zeitfenster für ein echtes Artist-Album schlossen sich immer wieder. Das Cosmic-Revival verstrich, Wellen von Italo Disco zerstoben, das Remix-Projekt Re:Haydn brachte ihn zwischenzeitlich auf das Cover des Die Presse-Schaufensters und als dann letztes Jahr Acts wie Tensnake und Aeroplane die Temperatur von Disco wieder knapp auf den Siedepunkt trieben, aber Wolfram weiterhin stumm blieb, dachten wir uns schon, dass es Wolfram einfach nicht mehr auf die Reihe bringt. Oh, Gott sei Dank, wie hatten wir unrecht!
Spaß, Emotion & Know-how
Wolfram (aka Marflow aka Diskokaine aka Wolfram Eckert) ist eigentlich ein Musiknerd. Durch seine Liebe für greise Synthesizer und rare Disco- und House-Platten kennt er die einschlägigen Codes und Ästhetiken wie seine Designer-Westentasche. Aber glücklicherweise nimmt er diese nicht ganz so ernst wie andere Musikfreaks. Wolfram ist ein schlauer Fuchs, der sich im Naschtopf der Ironie bedient. Für ihn ist es ein Leichtes, auf dem schmalen Grad zwischen Trash und Seriosität zu balancieren, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Sein Debüt-Album schlägt zwar in eine ähnliche Bresche, ist aber ein Spur ernster. Das Werk eines erfahrenen Producers ist es geworden, und ziemlich großartig.
So wie in Wolframs Plattenkiste – und der seines Vaters – findet man auch auf seinem Debüt-Album Musikeinflüsse aus mehreren Jahrzehnten. Von Cosmic aus den Spät-70ern, viel Italo-Disco über 80er Kaugummi-Electropop, 90er Eurodance und Chicago House bis hin zu ganz aktuellen Disco-Produktionen geht die Reise. DJ-Futter wurde gegen richtige Songs mit ca. vier Minuten Länge getauscht. Vocals und klassische Songstrukturen stehen im Vordergrund. Unterstützung kommt dabei von Größen wie Hercules & Love Affair, Legowelt, Patrick Pulsinger, Holy Ghost, Paul Parker oder Haddaway. Ja, genau der Haddaway, der 1993 mit »What Is Love« eine Mega-Bombe von Dance-Über-Hit schrieb, den damals alle mit Verstand hassten, der aber in den letzten fünf Jahren eine notwendige Umdeutung erfuhr. So ähnlich funktionieren die Tracks auf »Wolfram«. Stile und Ästhetiken, die vor Jahren als hedonistischer Dreck galten, sind heute aus der Distanz auch ein Spiegel der eigenen Konsum-Melancholie. Die Nostalgie-Schrauben wurden dabei so oft angezogen, dass sie sich durch ihr Gewinde gedreht haben. Hurra, jetzt können wir ohne Kindersicherung feiern.
Die breite Palette an Einflüssen ist für das Debüt ausgesprochen wichtig – und es ist beeindruckend, wie wandelbar Wolfram damit umgeht. Mit allen Sound-Schattierungen seiner einzelnen Kollaborateure kann er etwas anfangen und schafft es, ein homogenes Album zu zimmern … offenbar mit einer Vorliebe für Synthesizer-Modulationen, vollmundig schnalzende Beats und möglichst einprägsame Melodien. »Auf meinen Modular-Synthesizer bin ich stolz, den habe ich mit viel Glück von Amerika nach Österreich geschmuggelt und den Roland Alpha Juno-Synth habe ich mir auf unbestimmte Zeit von meinen Onkel geliehen«, sagt er schmunzelnd, als wir auf die Albumproduktion zu sprechen kommen. Diese Geräte sind mehr als nur einmal auf der doch sehr poppig geratenen Platte zu hören.
Pop
Diese Poppigkeit stellt Wolfram allerdings kein Bein. Er schafft den Spagat zwischen Kommerz und Credibility, denn er weiß genau, wie er Songs anlegen muss, um sich nicht zu weit in den Sphären des schlechten Geschmacks zu verrennen. Die Songs auf »Wolfram« klingen absichtlich nicht glatt und atmen den Charme von alten Disco- und House-Produktionen. Die Synthesizer hatschen teilweise hinterher als müsste die Technik der letzten 50 Jahre erst noch erfunden werden, Spuren sind charmant angezerrt, das analoge Equipment röhrt mit. Auf Songs wie »Fireworks«, »Roshi« oder »Thing Called Love« beweist Wolfram, dass er die feinen Zwischentöne ebenfalls locker beherrscht. »Out Of Control« ist wieder ärgster Glam-Italo-Trash, »Hold My Breath« sowieso so sehr der große Hit des Albums, dass ihn auch DFA’s very own Holy Ghost in einem leicht veränderten Mix für ihr eigenes, kommendes Album wollten. Wolframs Mix von »Hold My Breath« ist käsiger – und besser.
»Mir geht es grundlegend um Spaß und Emotionen«, sagt Wolfram. Ein Satz, wie er auch aus dem Mund von Pop-Schweinen wie Dieter Bohlen kommen könnte. Bei Wolfram weiß man allerdings, was er damit sagen will – sofern man seine Musik kennt –, ohne auch nur irgendwie an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln.
Früher, als er noch Marflow hieß, da hatte Wolfram zwei MySpace-Profile: eines, um mit seinen engen und den wichtigen Freunden Kontakt zu halten, das andere, um mit einer beeindruckenden Masse an Party-Spam kräftig am Untergang von MySpace mitzuarbeiten. Mit dem neuen Namen Wolfram scheint nun auch der Rest der Welt in Reichweite. Sich in der hoch dotierten Quersumme von Mode und Clubmusik einzunisten, dürfte für Wolfram als Notfallplan ohnehin kein Problem sein. Aber wenn gemeinsame Festivalauftritte mit Haddaway zumindest nicht unmöglich sind, rückt der Horizont für Wolfram tatsächlich näher. Nach allem was man hört, wird Wolfram ab Albumrelease noch wesentlich häufiger unterwegs sein als bisher. Er ist, wir sagen es gerade raus, die Uschi Obermaier des österreichischen House.
»Wolfram« von Wolfram erscheint am 1. April via Permanent Vacation.