Mensch ohne Maschine

Elektro Guzzi begeistern auf ihrem ersten Longplayer mit einer noch nie dagewesenen Form von Akustik-Techno.

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„In dieser Form hat man das noch nie gehört!“ So lautet eine bekannte Behauptung aus Pressetexten, meist überstrapaziert, selten der Wahrheit entsprechend. Im Fall der Wiener Akustik-Minimal-Techno-Band Elektro Guzzi trifft das aber zur Abwechslung ins Schwarze. Vergleichbare Acts gibt es schlichtweg keine. Nur mit Gitarre, Bass und Schlagzeug bewaffnet, fabriziert das Trio organischsten Techno. Sie zaubern Echtzeit-Clubsound, der schon jetzt international große Wellen schlägt – Berghain, Fabric und Sónar-Festival sind die nächsten Stationen des Tourplans.

Probieren & Studieren

Die studierten Musiker Bernhard Hammer, Jakob Schneidewind und Bernhard Breuer (nebenher Tumido, Metalycée, etc.) gründeten Elektro Guzzi 2004 in Wien. Die grundlegende Idee war, als Band mit Minimal-, Detroit- und Dubtechno live umzusetzen, wie Bernhard Breuer im Interview erzählt. Dabei wollten Elektro Guzzi nie das abgegriffene „Live trifft auf Elektronik-Schema“ wiederholen, sondern sich mit Techno und seinen spezifischen Strukturen, Ebenen und Ästhetiken beschäftigen. Am Anfang stand das Experimentieren. Man versuchte einzelne Tracks nachzuspielen, um zu begreifen, wie sich gewisse Sounds mit konventionellem Band-Instrumentarium reproduzieren lassen und wie diese Art von Musik funktioniert. Strukturell betrachtet geht es bei Techno um Ebenen und Schichtungen der Sounds, während Rockmusik tendenziell linear aufgebaut ist. Für akademisch geschulte Musiker – wie Elektro Guzzi das sind – war dies klarerweise eine spannende Herausforderung. Denn Techno lebt von Direktheit. Er wirkt nicht, wenn der Sound abgehoben und verkopft klingt.

„Das Ganze soll funktionieren wie ein DJ-Set!“

Man probte also sehr viel, fertigte eigene Tracks und spielte noch mehr. Der nächste Schritt war ganz klassisch. Demos verschicken. Einer, der Elektro Guzzi umgehend einen Plattenvertrag anbot, war Stefan Goldmann. Selbst bekannt als Soundforscher im Techno-Zirkus, sucht er als Produzent wie auch mit seinem Label „Marco“ nach neuartigen Soundentwürfen und ästhetischen Wegen. Die Begegnung mit Elektro Guzzi: eine absolut passende Paarung.

Digital ist nicht immer besser

Das selbstbetitelte Debüt-Album von Elektro Guzzi nahm die Band mit Techno-Urgestein Patrick Pulsinger auf. Ein Glücksgriff, denn wie schon zuvor bei „#6“ von BulBul schaffte es Pulsinger, einen rohen, aber dennoch sehr kompakten Groove zu bewahren und die Stärken des Guzzi-Sounds herauszuarbeiten. Die Tracks leben von der Experimentierfreudigkeit ihrer Macher und der Dichte des Klangs. Dubbiger, stark loop-basierter Minimal Techno wird hier geboten. Viele kleinteilige Sounds ergänzen die Tracks und werden zu einem stimmigen Ganzen verwoben. Auf elektronischen Instrumente oder Overdubs wurde komplett verzichtet.

Effekthascherei und pushende Hooklines sucht man vergeblich. Stattdessen konzentrieren sich die drei darauf, das Klang-Spektrum zu erweitern und mit raffinierten Dynamiken und Grooves zu punkten. Und vermutlich nur durch dieses strikte Grundkonzept konnte eine derart autonome Form von Techno heranwachsen. Das selbstverständlich hohe Vermarktungspotenzial ihres Akustik-Techno war dabei nie ausschlaggebend, wie Breuer im Gespräch betont. Den Musikern ging es rein um das schöpferische Moment ihres Ansatzes. Dennoch kickt das live wie Mike Tysons Linke, passt sich mühelos in die Atmosphäre von Clubs ein und funktioniert vor Publikum fast wie ein DJ-Set. Nur mit komplett eigenen Tracks eben.

Und die entfalten auf dem Debüt nach einer kurzen Eingewöhnungsphase eine gewaltige Sogwirkung. Im Kraftwerk’schen Sinn wollte der Mensch in den letzten Jahrzehnten gerne eine Maschine werden. Durch Elektro Guzzi wird diese Maschine wieder zum Menschen.

„Elektro Guzzi“ erscheint Ende Mai bei Macro im Vertrieb von Word and Sound. www.elektroguzzi.net

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