Game-Blog #30: Spec-Ops The Line

Wenn Töten (k)ein Spiel ist. Ganze vier Jahre nach »Haze« erscheint mit »Spec Ops: The Line« nun der weltweit erst zweite nennenswerte Shooter, der sich Gedanken zu seinem Spielinhalt macht: Nicht perfekt, aber absolut notwendig.

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»Spec Ops: The Line« schickt den Spieler als Delta Operative Martin Walker in die nahe Zukunft und nach Dubai. Die Stadt wurde von apokalyptischen Sandstürmen zerstört, ihr absurder, alter Glanz schimmert noch durch. Die Evakuierung der Stadt hat nur teilweise funktioniert. Walker und seine beiden Kollegen sind auf der Suche nach Colonal Konrad und werden schon bald in Kampfhandlungen verstrickt – wobei unklar bleibt, gegen wen sie überhaupt kämpfen müssen. Schnell sehen sie sich zum Einsatz extremer Mittel (weißer Phosphor, …) gezwungen. »The Line« setzt hier nicht auf wohlbekannte Hau-Drauf-Stimmung, sondern verweigert dem Spieler moralische Rückendeckung und macht mitunter nachdenklich. Auch wenn nie verheimlicht wird, dass Joseph Conrads »Heart Of Darkness« bzw. damit Coppolas »Apocalypse Now« mehr als Vorbilder sind: Das ist in der Spielgeschichte weitgehend einzigartig. Von der internationalen Fachpresse gibt es viel Zustimmung, aber auch berechtigte Kritik, etwa an der zu wenig zusammenhängenden Story im letzten Drittel und ein paar nicht gelungenen Designentscheidungen, die für zwischenzeitlichen Spielfrust sorgen. Es ist aber erfreulich und höchste Zeit, dass Entwickler diesen Schritt gehen und ein Actionspiel entwickeln, dass sich Gedanken über seinen militärischen Inhalt macht. »Spec Ops: The Line« zeigt, dass sich Action und Inhalt nicht ausschließen und ist im besten Fall Vorbild für andere Entwickler.

Wie kam es zu der Entscheidung mit "The Line" innerhalb der "Spec Ops"-Reihe diese sehr ungewöhnliche Geschichte zu erzählen, die sich ihres Story-Settings so bewusst ist?

Der Name ist das einzige, was »Spec Ops: The Line« mit den vorherigen Titeln gemeinsam hat. Es gibt viele Militär-Shooter, aber keinen, der eine wirklich anspruchsvolle Geschichte erzählt. Genau das wollten wir ändern. Nachdem die Marke »Spec Ops« bereits besteht und sofort erkennen lässt, dass es sich bei dem Spiel um einen Militär-Shooter handelt, haben YAGER und 2K entschlossen sie wiederzubeleben.

Habt ihr damals "Haze" gespielt? Was waren für euch damals die Stärken und Schwächen?

Während der Entwicklung haben wir ständig zahlreiche Games gespielt, das gehört einfach dazu. »Haze« war seinerzeit auch mit dabei, was in unseren Augen damals die Stärken oder Schwächen des Spiels waren, kann ich nicht sagen, das ist einfach schon zu lange her.

Storytechnisch ist offensichtlich Joseph Conrad bzw. "Apocalypse Now" eine Inspiration. Wie seid ihr mit dieser Quelle umgegangen?

»Spec Ops: The Line« setzt sich ganz gezielt und aktiv mit der Schattenseite von Krieg und Konflikten auseinander. Das ist ein recht anspruchsvoller Ansatz, und wurde vor allem schon in Filmen mehrfach sehr gut aufbereitet. Unter anderem eben auch in »Apokalypse Now«. Francis Ford Coppola hat sich für sein Meisterwerk ebenfalls von dem Klassiker inspirieren lassen. Wir sind einfach einen Schritt zurück gegangen, zum Ursprung, dem Roman von Joseph Conrad. »Herz der Finsternis« von Conrad bildet das Inspirationsfundament. Auf der grundlegenden Idee des Buches – eine Reise ins Herz der Dunkelheit – haben wir dann unsere eigene Geschichte entworfen. Genau wie Francis Ford Coppolas »Apokalypse Now« interpretieren wird Conrads Roman neu, und zwar auf eine interaktive Art- und Weise.

Vieles bleibt storytechisch trotzdem im Dunkeln, so wie etwa manche Motivationen warum Konrad oder Walker bestimmte Entscheidungen treffen, – eine bewusste Entscheidung?

Durchaus. »Spec Ops: The Line« bewertet ganz bewusst keinerlei der verschiedenen Entscheidung, die ein Spieler trifft in irgendeiner Form. Es ist uns wichtig, dass er die Konsequenzen seines Handelns sieht und selbst entscheidet, ob das, was er getan hat okay war. Jeder Mensch ist verschieden, hat andere Erfahrungen gemacht und vertritt andere Ansichten. Daher interpretiert jeder das, was er gesehen, gehört oder getan hat anders. Damit der Spieler das kann und quasi seine ganz persönliche Reise ins Herz der Dunkelheit erlebt, muss man, etwa in der Story, bewusst einiges offen lassen, damit er die Lücken selbst füllen kann.

In eurem Folder schreibt ihr, Spieler seien heute bereit ein Spiel zu spielen, dass sie schlecht fühlen lässt. Großartig. Was musste passieren, damit dies nun möglich ist?

Die kulturelle und gesellschaftliche Relevanz von Videospielen wird von den Medien als auch der Politik inzwischen akzeptiert. Das Medium wie auch die Spieler sind erwachsen und damit auch anspruchsvoller geworden. Daher ist es ein logischer und wichtiger Schritt, dass auch Spiele mehr Tiefgang bieten. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass sich der Spieler schlecht fühlen muss, aber er kann bzw. sollte auf einer anderen Ebene als der reinen Spaßebene angesprochen werden. In Filmen und Büchern ist das die Normalität, und jetzt, dank einiger mutiger Entwickler, hoffentlich auch in Videospielen.


Ihr wollt mit "The Line" aber auch unterhalten – wie geht man diesen Balance-Akt an?

Eine erwachsene und anspruchsvolle Story mit intuitiven und unterhaltsamen Gameplay unter einen Hut zu bringen war die größte Herausforderung. Die richtige Balance zu finden ist entscheidend. Auch wenn die Geschichte von »Spec Ops: The Line« anspruchsvoll ist, so ist es noch immer ein Spiel (und kein Film) und soll genau aus diesem Grund auch unterhalten. Bis alle Komponenten, und dazu gehören nicht nur die Story und das Gameplay, sondern auch Art, Sound oder Animation, wirklich ineinander greifen und sich ergänzen, muss man viel ausprobieren. Man hat eine Idee, setzt sie um, und wenn es nicht so funktioniert, wie es funktionieren soll, dann muss man es eben ändern. Das kann dauern, unter Umständen sogar sehr lange.

Es hat mich etwas irritiert, dass Brutalität im Spiel trotzdem belohnt wird, man etwa durch Exekutionen mehr Munition bekommt. Warum ist das so?

Das ist eine bewusst gewählte Spielmechanik. In Dubai ist nicht nur Wasser, sondern auch Munition knapp. Der Spieler soll sich fragen, ob er den verwundeten, um sein Leben bettelnden Soldaten brutal exekutieren will, nur um ein paar extra Schuss zu erhalten, oder ihn verschont und damit riskiert, bald keine Munition mehr zu haben. Das ist eine der vielen, weniger prominent präsentierten, aber durchaus wichtigen Entscheidungen, die man während seiner Mission treffen muss.

Es ist in der gesamten Spielgeschichte ein Problem, dass man einen Spieler in Games nichts tun lassen kann, von dem er weiß, dass ihm dies im Spiel zum Nachteil wird. Während eine Hauptfigur im Film Fehler machen kann. Gilt dieser Grundsatz noch?

Dies ist ein wichtiger Grundsatz und er gilt noch immer. Fühlt sich ein Spieler benachteiligt, vergeht ihm schnell die Lust und er legt das Joypad aus der Hand. Daher gilt es den Spieler zu motivieren, etwa durch ein Belohnungssystem. »Spec Ops: The Line« konfrontiert den Spieler mit den Konsequenzen seines Tun und Handelns. Wenn er sich danach schlecht fühlen sollte, dann liegt das nicht daran, dass er von dem Spiel unfair behandelt wurde, sondern daran, was er getan hat. Den Spieler durch gutes Gameplay und eine spannende Story zum weiterspielen zu motivieren, den Grundsatz also zu befolgen, ihn aber trotzdem die Möglichkeit zu bieten zu hinterfragen, was er getan hat war ein kniffliger Balance-Akt.

Die Kritiken sind ein bisschen gespalten, wobei ich das Gefühl habe, dass die Medien die ich ernst nehme, euren Versuch etwas anders zu machen, sehr zu schätzen wissen, aber mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden sind. Wie auch ich. Wie geht ihr damit um?

Tut mir leid, aber der Ausgangspunkt der Frage ist ein wenig zu allgemein. Ich weiß nicht, warum „die Medien“ als Ganzes mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind (ich schätze, jedes Medium bzw. Journalist hat andere Gründe hierfür). Daher ist die Antwort auch etwas allgemeiner.

Uns war von Anfang an klar, dass es sehr schwer sein wird mit diesem Thema in einem interaktiven Medium jedermann anzusprechen bzw. zufrieden zu stellen. Es gibt kein universelles Werteverständnis und Aktionen bzw. Reaktionen von Spielern sind nicht vorhersehbar; da haben passive Medien wie Filme oder Bücher, die man nur konsumiert, nicht aber interagiert einfacher. Wir haben uns immer gefragt »wie weit können bzw. müssen wir gehen?«. In unseren Fokustests gab es Spieler, die nach besonders heftigen Szenen den Controller weggelegt haben, weil es ihnen zu viel war, anderen dagegen waren abgebrühter und haben ohne mit der Wimper zu zucken weitergespielt. Den richtigen Mittelweg zu finden war nicht einfach.

Sicher hätte wir tiefer gehen und Elemente expliziter oder subversiver darstellen können, aber wir wollen und müssen auch aus Produktionssicht in erster Linie die breite Masse ansprechen und nicht die intellektuelle Kulturelite. Aber dass eben die breite Masse sieht und schätzt, dass »Spec Ops: The Line« kein plattes Actionspektakel ist, sondern neue Weg geht und damit erwachsene und anspruchsvolle Unterhaltung bietet zeigt, dass sie dafür bereit ist und wir unser Ziel erfüllt haben.

Könnt ihr über einzelne Parts sprechen die ihr für "The Line" geplant hattet, die es dann aber doch nicht ins finale Spiel geschafft haben?

Elemente, die nicht verwirklicht werden konnten gibt es zahlreiche. Manche Features waren interessant, hätten aber nicht zum Spiel gepasst, andere waren für das, was sie an Spielspaß gebracht hätten zu aufwendig in der Umsetzung gewesen, … ein ganz spezielles Element dem wir nachtrauern, gibt es nicht, da alles, was wir als wichtig und richtig empfunden haben, seinen Weg ins Spiel gefunden hat.

Gibt es Feedback aus der Branche oder von anderen Entwicklern? Wie kommt euer Spiel dort an?

Die Resonanz ist insgesamt sehr positiv. Und wenn beispielsweise Mark Rain von Epic Games uns zu »Spec Ops: The Line« und dem allgemeinen Feedback der Presse und Spieler gratuliert, dann freut das uns ungemein.

»Spec Ops: The Line« erschien Ende Juni bei Yager / 2K für Xbox 360, PS3 und PC.

Bild(er) © 2K Games
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