»Der Aufsteiger« inszeniert die stille Macht des französischen Regierungsapparats als rasanten Thriller, der seinen Akteur instrumentalisiert. Regisseur Pierre Schoeller schafft ein cleveres europäisches Politkino, das sich selbstbewusst von der Dominanz Hollywoods freispielt.
Die Wirkungsmacht der US-Politik reicht einerseits in die Parlamente Europas hinein, andererseits bespielt sie die Kinos und Wohnzimmer auf dem alten Kontinent. Was in Washington an der Tagesordnung steht, wird auch in Brüssel abgearbeitet und landet im europäischen Film – sowohl was Inhalt als auch Form betrifft. Pierre Schoeller nutzt diese Prägung nun für sich, um mit seinem beispielhaften Film »L’exercise de l’état« (»Der Aufsteiger«) ein eigenständiges europäisches Politkino voranzutreiben.
Saint-Jean Bertrand ist seit Kurzem Verkehrsminister einer fiktiven sozialdemokratischen Regierung Frankreichs. Die Karriere eilt seinem Image voraus, an seinem Profil arbeitet sein Beraterstab. Privatisierungen, gegen die er sich noch stellt, soll er bald umsetzen. Er wird benutzt: vom politischen System, das er atmet, und von Regisseur Schoeller, der ihn dahinter verschwinden lässt.
Fraktionszwang als Thriller
Auf den ersten Blick erinnern Schoellers drängelnde Montagen an gängiges (Polit-)Thriller-Kino. Dynamik und Wortgefechte orientieren sich eindeutig an US-Serien wie »The West Wing«; jener viel zitierten NBC-Serie, die eine ganze demokratische Präsidentschaft abbildet. Gleichzeitig gebraucht Schoeller aber diese Formsprache nicht, um ikonische Personenporträts zu schaffen. Genauso verzichtet er weitgehend auf eindeutig gute oder böse Figuren, wenngleich er wirtschaftliche Zwänge eine omnipräsente Bedrohung sein lässt. Schoeller reduziert diese Formalia auf ihre Zweckmäßigkeit und stellt sie dadurch aus. Entgegen stereotyper Hollywood-Schablonen, weg vom Personenkult, fokussiert er auf den Politapparat und dessen Medienordnung. Seine Figuren werden zu Steigbügelhaltern ihrer Agenden und seiner Regiearbeit. Die Politik wird zur schnellen Action, für Emotionen bleibt keine Zeit. Alles ist fremdbestimmt, auch den Sex mit seiner Frau initiiert der Minister nicht selbst.
Konsequent entmachtet er seinen aufsteigenden Minister. Das System bestimmt das Bewusstsein von Saint-Jean, seine Entscheidungen, seine Emotionen, seine Handlungen und deren Routine – nicht umgekehrt. So verwickelt er den Verkehrsminister in zwei fatale Verkehrsunfälle. Beide wirken auf ihn ein, nicht aber auf das Ton angebende elitäre Milieu. Intrigen, Lügen und Manipulation sind die Tagesordnung, soziale Ambitionen zum Scheitern verurteilt. Doch keiner dieser Politiker ist Herr der Lage, weder der an der Spitze stehende Präsident, noch der Premierminister. Sobald Saint-Jean selbstbestimmt handelt, bleibt er entweder lächerlich oder allein zurück. Die Sehnsucht der Hauptfigur nach Menschlichkeit kann in diesem Getriebe nicht erwidert werden; sie wird in bitterer Situationskomik aufgelöst oder in surrealen Traumszenen überspitzt. Hier erinnert Schoeller auch an Nanni Moretti, der mit »Il caimano« (2006) die Politik von Silvio Berlusconi als Groteske fürs Kino adaptierte.
Ein Protagonist wird zum Prozess
So wie der Franzose Genre-Methoden für sich gebraucht, so instrumentalisiert er auch seinen Saint-Jean: um ein System zu veranschaulichen, das keine Personalisierung zulässt. Doch das zu vermitteln ist eine Herausforderung, wie auch die verschiedenen Filmtitel zeigen. Im deutschsprachigen Raum erreicht der Film als »Der Aufsteiger« die Kinos, im englischsprachigen als »The Minister«. Beide Titel suggerieren eine tragende Hauptfigur, die diesen tragisch-komischen Thriller bestimmt. Doch hier spielt die kurzatmige Handlung den großartigen Olivier Gourmet pausenlos vor sich her. Rasant überschlagen sich die Ereignisse. Das umrissene politische System lässt weder den Figuren, noch dem Publikum Möglichkeit zur langfristigen Identifikation. »L’exercise de l’état« stilisiert den Wahn einer repräsentativen Demokratie, die ihre Repräsentanz verliert, sich verselbstständigt und ihrer Menschen entledigt. Das lässt keine eindeutigen Rückschlüsse darauf zu, wie Realpolitik im EU-Raum (im Gegensatz zu den USA) funktioniert. Thematisiert wird französische Regierungspolitik als elitäre und absurde systemische Entfremdung. »Politik ist eine Wunde, die nie verheilt«, sagt Saint-Jean einmal im Film. Die Heldengeschichten erliegen dem Apparat. Schoeller schafft damit eine pathologische und europäisch-pluralistische Annäherung an ein Politkino. Dessen Systemkritik patzt hier zwar noch, emanzipiert sich aber selbstbewusst von einer Deutungshoheit Hollywoods.
»Der Aufsteiger – L’exercice de l’état« kommt am 8. Februar in die österreichischen Kinos (via Filmladen).