Gefährdete Betonmonster

Mit einer Online-Kampagne und einer großen Ausstellung will der Architekturtheoretiker und Kurator Oliver Elser auf die Qualität »brutalistischer« Bauten hinweisen. Ein Pionierarbeit, bei der mit Widerstand zu rechnen ist.

Vorbildhafte Visionen

Keineswegs billig, sondern aus heutiger Sicht geradezu vorbildhaft sind die Visionen, die hinter brutalistischen Bauten stehen. Viele davon sind im Hochschulbereich entstanden, ein Beispiel dafür ist die Ruhr-Universität in Bochum aus den frühen 60er Jahren, die mit ihren tausenden neuen Studienplätze den Zukunftsoptimismus der Bundesrepublik verkörpert. Bei aller Skepsis gegenüber den Dimensionen des Campus ortet Elser bei den heutigen Studenten so etwas wie ein historisches Verständnis für die »Geste, die nicht nur etwas Großes, sondern auch etwas Großartiges hat«. Neben Bildungsbauten und Verwaltungsgebäuden – Paradebeispiel in den USA sind dafür Städte wie Boston oder New Haven – finden sich auch unzählige Sakralbauten, bei denen einerseits die »Armut« des Materials Beton, andererseits der skulpturale und monumentale Charakter des Brutalismus punkten.

Nach brutalistischen Bauten in Österreich gefragt, fällt Elser etwa das Kirchenzentrum Oberwart von Günther Domenig und Eilfried Huth ein. Mindestens ebenso bekannt ist die Wotruba-Kirche in Wien-Mauer, die auf vielen Brutalismus-Listen aufscheint, von Elser jedoch als Ausnahme gesehen wird, »weil sie eher eine große Skulptur ist und wenig Architektonisches hat«. Einzigartig, optimistisch, experimentell: Es sind gebaute Architekturutopien, die Elser faszinieren und die er ins öffentliche Bewusstsein rücken will. Bei den Wohnbauten jener Zeit sieht er experimentelle, neue Zugänge, wohingegen »20 Jahre später die Grundrisse bereits viel konventioneller ausgefallen sind«. Dass manche dieser Experimente gescheitert seien, habe nicht immer mit den Bauten selbst, sondern mit dem Umfeld zu tun, in dem sie entstanden seien.

Authentisch gebaut

Um die Diskussion in Fahrt zu bringen, hat der Architekturspezialist einen Stufenplan entwickelt. Ab Oktober dieses Jahres soll über soziale Netzwerke, die Datenbank sosbrutalism.org und den Hashtag #SOSBrutalism die weltweite Suche nach noch existierenden, aber akut bedrohten Beispielen dieser Architekturrichtung starten. »Es gibt bis heute kein Buch, keinen Katalog, das den Brutalismus in all seiner Verzweigung global erfasst. Insofern ist unsere Kampagne ein Experiment, das allen Leuten, die sich für Architektur interessieren, mit dem Hashtag ein Werkzeug geben soll, um ihren Beitrag zur Dokumentation und zur Rettung zu leisten.«

Dabei gehe es nicht nur um nostalgische oder skurrile Fotos, sondern letztlich um die Möglichkeit, auch lokal Diskussionen über bestehende Gebäude – und ihren Wert oder ihre Gefährdung – zu entfachen. Akut bedrohte Bauten sollen auf die »Rote Liste« kommen, Denkmalbewusstsein geschärft werden. Auch dem Klischee, wonach die Betonriesen heute allesamt in einem schrecklichen Zustand seien, möchte Elser begegnen. »Betonbauten sehen gut aus, wenn sie vom Material her gut gebaut wurden. Viele von ihnen sind erstaunlich gut erhalten. Nicht zuletzt sind sie Zeugen einer Zeit, in der noch authentisch gebaut wurde – es ist, wonach es aussieht.«

Elsers Brutalismus-Projekt mündet im Herbst 2016 in eine große Ausstellung im Architekturmuseum in Frankfurt, in der nicht nur der aktuelle Forschungsstand sowie das zusammengetragene Material, sondern auch die Frage nach der Akzeptanz in der Bevölkerung eine Rolle spielen soll. Kooperationspartner ist die Wüstenrot-Stiftung, die sich u.a. im Bereich Denkmalpflege engagiert, mit Fokus auf die Architektur nach 1945.

Was die gefährdeten Bauten betrifft, so wird wohl viel Überzeugungsarbeit notwendig sein, um die ungeliebten »Betonriesen« zu retten. Einen Vorgeschmack findet man an beliebiger Stelle im Netz, zum Beispiel im Posting-Thread zu einem Standard-Artikel im Februar 2015 über aktuelle Sichtbeton-Bauten. Da heißt es unter anderem: »Architektur à la Flakbunker reloaded. Freuen können sich über diese hässlichen Gebilde allenfalls die Sprengstoffhersteller in der Zukunft. Denn diese Hässlichkeiten wieder wegsprengen wird viel Sprengstoff erfordern.« Der Nickname des Posters: »zu Hause«.

Im Rahmen der Vienna Design Week hält Oliver Elser den Vortrag: »Beton – Brutalismus – Ein Missverständnis?«28. September, 18.00 Uhr Ankersaal, Festivalzentrale

Mehr Brutalismus-Fotos des Fotografen auf: instagram.com/studiozwa

Bild(er) © 1: Wohnbau Rozzol Melara, Triest c Daniel Zwangsleitner / 2: "Interdesign" Gebäude, Beirut c Daniel Zwangsleitner / 3: Biblioteca Academia Romana c Daniel Zwangsleitner / 4: Kirche der unbefelckten Empfängnis, Longarone c Daniel Zwangsleitner / 5: Erlöserkriche, Turin c Daniel Zwangsleitner 
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