Gelatin, Gelitin, Gelochtin

Gelatin machen durchdringende Kunstaktionen. Bei »Loch« flogen fünf Tage lang Styroporblöcke zu Boden und Gips-Skulpturen wurden ausgehoben, abgeseilt und im Raum verteilt. Die vierköpfige Künstlergruppe unterstrich damit einmal mehr ihre Einzigartigkeit.

Gelochtine Skulpturen

Die Kunstzeitschrift Springerin meinte einmal, es handle sich bei Gelatin um die Feierlaune einer Bohème, die den Institutionen entpolitisiert den Rücken kehre. Spätesten jetzt muss diese Aussage abgeändert werden. Im 21er Haus geben sich Gelatin nun etwas braver. Keine beiläufigen und heimlichen Aktionen mehr. Kein Aufruhr der Politiker mehr, sondern integeres Arbeiten in der Institution. Im Inneren der gläsernen Ausstellungshalle befand sich zu Beginn ein haushoher Styroporkubus von ungefähr 8x8x8 Meter.

Zu E-Harfe und Bösendorfer-Klavier arbeiten Gelatin (Ali Janka, Wolfgang Gantner, Tobias Urban und Florian Reither) fünf Tage lang vor Publikum mit und auf dem monumentalen Werkstoff. Mittendrin, wo das weiße Styropor mal sanft runter rieselte oder ganze Blöcke in die Tiefe stürzten, gruben sie mit selbstgemachten Heißdrahtmaschinen, Schaufeln, Hämmern und Händen Löcher. Die Aushöhlungen wurden ausgegossen und verschiedene Sockel, etwa ein Besenstil oder ein alter Lampenschirm in den noch feuchten Gips gesteckt, um die Skulpturen anschließend wie riesige Lollipops herauszustülpen, unter dramatischer musikalischer Begleitung abzuseilen und im Raum zu verteilen. Was von der Aktion übrigblieb, das formt noch bis Ende September die Ausstellung »Loch«. Der Ausstellungsraum wurde zum Atelier und zur Bühne, deren Handlung man folgen konnte, aber nicht musste. »Wir produzieren eine Plattform. Du kannst dich in eine Ecke setzen und zuschauen, du kannst Mauerblümchen spielen, oder du kannst auf die Bühne springen; es ist alles da und möglich.«

Skulpturale Klassik

512 Kubikmeter Styropor, 16 Tonnen Gips standen bereit. »Wir haben noch nie mit Gips gearbeitet. Gips ist an und für sich ein sehr konservatives Material. Die ganzen griechischen Büsten in den Sammlungen der Pinakotheken und die Gipsabgüsse von David sind alle relativ schön und glatt.« Und obwohl Gelatin keine glatte Kunst machen, ist der Vergleich mit den Büsten in den Pinakotheken zulässig. Denn wie die Alten Meister, die damals in den Hallen der Kunst die berühmten Skulpturengruppen studierten, so saßen auch Studenten im 21er Haus und skizzierten zu den Klängen des Getöses die Skulpturen von Gelatin. Das Thema Skulptur wird ernsthaft, sowohl in der Nachfolge klassischer antiker Figurengruppen sowie des österreichischen Bildhauers Franz West, weiter bearbeitet. Gelatin selbst beruft sich im Gespräch auf eine der berühmtesten, ältesten Skulpturengruppen der Menschheit (»Ich denke immer an die Laokoon-Gruppe wenn ich an den Würfel denke.«). Laokoon und Aktionismus, Kindisches und Ungewisses beginnen zu schillern. »Wir haben keinen Druck dahinter … das Ergebnis ist eigentlich unwichtig auf eine Art und Weise.«

Gelatin wandern zwischen Laissez-Faire und komplexer skulpturaler und musikalischer Formsprache hin und her und genau diese Gratwanderung zeigt einmal mehr, weshalb sie zu den relevantesten Künstlern Österreichs gehören. Bedeutend, sympathisch und dazu auch noch zugänglich. Was bleibt, ist immer noch diese belebende und kribbelnde Laune hinterher und der Nachhall der Worte: »Man kann, man muss nicht!«

»Loch« von Gelatin ist noch bis 29. September im 21er Haus in Wien zu sehen.

Anmerkung: Inspiriert durch Tex Rubinowitz, Liam Gillick und Gelatin. Die Zitate stammen von Florian Reither und Tobias Urban.

Bild(er) © 1,5: Esel, 2,3,4,6: Natascha Unkart / 21er Haus
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