Gelatin, Gelitin, Gelochtin

Gelatin machen durchdringende Kunstaktionen. Bei »Loch« flogen fünf Tage lang Styroporblöcke zu Boden und Gips-Skulpturen wurden ausgehoben, abgeseilt und im Raum verteilt. Die vierköpfige Künstlergruppe unterstrich damit einmal mehr ihre Einzigartigkeit.

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Für Fabelhaftes wie bei Michel Gondry und Unheimliches wie bei David Lynch brauchen wir keine Hasenhöhle wie Alice im Wunderland. Wir brauchen Gelatin. Mit ihnen verbindet man bunte, laute, chaotische und absurde Fantasieproduktionen, Grenzverletzungen und möglicherweise infantilen Humor. Sie gestalten ihre Welt mit Schlamm, Plastilin, Stroh, Holz oder Glitzer einfach selbst. Das tun sie schon eine ganze Weile. Die größten Skandale liegen einige Jahre zurück, was es heute leichter macht, die Sprengkraft von Gelatin zu würdigen.

Damals in Salzburg musste auf Druck von einigen wenigen Politikern die Skulptur »Arc de Triomphe«, ein Mann als menschliche Brücke mit erigiertem Riesenpenis, gleich wieder verhüllt werden. Bei ihrer Kunstaktion »Hase« konnte man sich als Wanderer im italienischen Artesina im Piemont in die Arme eines riesigen Hasen legen und träumen, man sei des Hasen Kuscheltier. Rund um die renommierte Frieze Art Fair in London konnte man bei »Sweatwat« durch eine geflutete, mit Ramsch angefüllte Galerie stiefeln. »Für mich ist das hier die Welt, denn wir sind da und machen die Dinge.« Im 21er Haus geben sich Gelatin etwas konventioneller. Dass das dennoch keinen Verlust der gewohnten »Freiformaktivitäten«, wie es Freund Liam Gillick nennt, bedeuten muss, zeigt die derzeitige Ausstellung »Loch«.

Entkrampfung im klaustrophobischen Loch

Zwischenräume und Löcher beschäftigen die Künstlergruppe schon lange. In New York 2007 fuhren Gelatin sieben Tage mit Schaufel und Spaten ins sandige Feuchtgebiet von Coney Island. Wo sich andere in alten Achter- oder Geisterbahnen vergnügen, fanden die vier Österreicher Genugtuung beim Löcherbuddeln. In der Aktion »The Dig Cunt« gruben sie sich Tag für Tag gemeinsam mit Freunden in die Tiefe, um am Ende des jeweiligen Tages den Hohlraum einfach wieder zuzuschütten. »In Coney Island, da ging es um sinnvolle Beschäftigung. Man lernt wirklich viel beim eine Woche lang Löcher buddeln.« Die Leere, die durch Löcher entsteht, schafft Freiräume oder ruft klaustrophobische Zustände in uns wach. Im übertragenen Sinn geht es bei der Beschäftigung mit den Löchern neben dem skulpturalen Aspekt, Formen in die Natur zu arbeiten, um die Einengung und Ausweitung von Konventionen. Dafür ist auch die Videoarbeit »Das doppelte Fäustchen« beispielhaft.

Darin erkunden zwei Gelatins das Arschloch eines Freundes liebevoll von innen – harte Arbeit, auch irgendwie Skulptur, aber fröhlich und ohne viel Bedeutungsschwere. Um fröhlich sinnlose-sinnvolle Arbeit geht es Gelatin auch weiterhin: »Dinge werden ja nur gut, wenn sie so sind, als ob sie schon immer so existiert hätten, mit einer gewissen Leichtigkeit und ohne Verkrampfung.« Ganz im Gegensatz zu bekannten Wiener Kulturfiguren wie dem Suderer Helmut Qualtinger, dem Anti-Helden Thomas Bernhard oder den strengen Vertretern des Wiener Aktionismus haben Gelatin das Jammern, sowie innere Angstzustände und Zwänge hinter sich gelassen und zugunsten des fröhlichen Schaffens ersetzt. Dass sie es damit ernst meinen, sei mal einfach so behauptet.

Bild(er) © 1,5: Esel, 2,3,4,6: Natascha Unkart / 21er Haus
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