Zeitgenössische Künstler gibt es viele. Damit ihr bei dem Angebot an kreativen Werken nicht den Überblick verliert, spendiert The Gap monatlich den Golden Frame. Statt allgemeinem Biografie-Bullshit präsentieren wir euch monatlich eine aktuelle Arbeit, die wir uns von ganz nah ansehen und vergolden möchten.
Anton Christian: Schwestern Foto: Tiroler Landesmuseum
Old Style, neue Tabus Ganz abseits von Trends und Mainstream bewegt sich der Künstler Anton Christian. Seine Arbeiten, Malerei und Skulpturen, zeigen zumeist etwas, von dem oft gesprochen, was aber selten tatsächlich eingelöst wird, sie »tun weh«. Christians Motive greifen Tabus der Gesellschaft auf wie Altwerden, Einsamkeit und Sterben. Beachtlich dabei ist, dass nichts unnötig ästhetisiert, sondern mit eigenwilligem Stil offengelegt wird. Anton Christian zeigt, was es heißt, alt zu werden, am Rand der Gesellschaft zu stehen. Er bringt menschliche Abhängigkeiten, aber auch all das, was gerne versteckt wird, zum Vorschein. Dafür hat er einen völlig eigenen, zeitlosen Stil entwickelt. Die dunkle Seite menschlichen Seins, die Einsamkeit, aber auch die Ästhetik des Vergänglichen spiegeln sich darin wider: wunde Körperteile, verzerrte, aber auch von Alters gelassene Gesichter, an denen das Menschliche zum Vorschein kommt. Nichts Oberflächliches verdeckt den Körper. Dass der Verfall, Schmerz und Leiden eine Konsequenz menschlichen Handelns sind, jeder Körper Spuren des Lebens ansammelt, die verblassen und zum Tod führen, ist und bleibt ein Tabu, das hier offensiv gebrochen wird. Der Künstler hat damit auch sein eigenes Altwerden, im vergangenen Jahr wurde er 70, thematisiert. Christians Malerei hat einen archaischen Touch. Als seine Zeitgenossen in den 1970er Jahren ins Abstrakte gingen, bewegte er sich anachronistisch zum Mainstream und suchte nach einem Weg des Figurativen. Farben und Technik streichen das Körperliche, das Menschliche und Verletzliche hervor. So werden Emotionen und innere Zustände nach Außen transportiert. Fleisch, Haut, Falten, Haare, Blut sind im Vordergrund. Dabei spürt Christian den Nuancen der Veränderungen des Körpers, vor allem im Altwerden, nach, dem Vergehen des Antlitzes bis hin zum Tod, wo jegliche Spannung vom Körper abfällt. Christian begibt sich damit unter die glänzende Oberfläche, die Malerei auch bedeuten kann, er spült den Lack ab von seinen Figuren und zeigt sie nackt und schutzlos, nicht ohne den Respekt zu verlieren. Zutiefst ernst und ungeschönt kommt dabei das Sterben als Teil des Alltags ans Tageslicht. Über die Jahre hat der Künstler eine beachtliche Sammlung an afrikanischen Masken und Fetischen zusammengestellt; eine Quelle, die erheblichen Einfluss auf sein Werk ausübt. 2008 begann der Künstler mit dem Zyklus »Alte Menschen«, den er seither ausbaut. Kritisch und schonungslos ist etwa das Bild »Granny Dumping«, wo ein alter Mensch in einem Einkaufswagen am Waldrand entsorgt wird. Anton Christian feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag. Er studierte Ende der 1950er Jahren an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Einige Jahre verbringt er in Paris, wo er Paul Celan kennenlernt. Später lebt er auch in London, Houston und New York. Er hat zahlreiche internationale Ausstellungen und erhält Ehrungen und Preise. Bis Ende Jänner waren seine Werke in einer Schau im Innsbrucker Landesmuseum zu sehen. Anton Christian ist Vater dreier Söhne und lebt und arbeitet in Natters bei Innsbruck. Erwin Uhrmann
Didier Marcel: Red Harvest Foto: Didier Marcel
Die Landschaft bewegt sich in der zeitgenössischen Kunst innerhalb eines breit gefächerten Spektrums von der Landschaftsmalerei und -zeichung über die Landschaftsfotografie bis hin zur 1960 in den USA entstandenen Land Art. Der französische Künstler Didier Marcel orientiert sich in seinem Werk wenig an diesen bekannten künstlerischen Medien und schafft damit einen ästhetisch interessanten Umgang mit der Landschaft, der gerade die Charakteristika von schroffer Natur stark betont. Die Arbeit »Red Harvest« ist ein in rot gehaltener Abguss eines abgeernteten Maisfelds. Der Boden wirkt verbrannt, die Wurzeln der Pflanzen liegen großteils frei und stecken wie Finger im Boden. Der Mensch ist in dieser Arbeit nur peripher ein Thema. Er ist entweder schon weg, was bei einem Maisfeld nahe liegt, oder noch gar nicht da. Man ist erinnert an eine Marslandschaft, einen lebensfeindlichen Ort, wo dennoch die Vermutung des Lebens klar im Raum steht. Marcels Landschaften sind auch Skulpturen. Im eigentlichen Sinn sind es Landschaftsfragmente, die am ehesten die Attribute schroff, roh und herb verdienen. In seinen Arbeiten benutzt er mitunter gewaltige Steine und spannt sie zwischen zwei Balken auf eine Art Wäscheleine. Das Rätselhafte dieser Arbeit ist die Anspielung auf das Thema Mythos. Man ist erinnert an Stonehenge oder ähnliche Kultstätten, deren Entstehung nicht geklärt ist. Die landschaftliche Ödnis, die erst wieder durch den Betrachter aufgeladen wird und damit an Schönheit gewinnt, benötigt den Menschen zur Ästhetisierung. Ebenso ist es mit der Skulptur. Der Skulpturbegriff, den zahlreiche zeitgenössische Künstler immer wieder neu für sich zu definieren versuchen, wird von Marcel zurückgeführt in die Landschaft. Der Künstler arbeitet sich ab, das Material ist ebenso wichtig wie die Idee. Einerseits übersetzt der Künstler Landschaftsfragmente in das System Kunst, andererseits überführt er die Skulptur in die Landschaft. Marcels Landschaftsteile verändern den Raum, sie sind architektonische Konstrukte, die eine Reihe von Konnotationen zulassen. Didier Marcel wurde 1961 in Besancon in Frankreich geboren. Der Künstler studierte in Besancon und Paris und wird heute von den Galerien Michel Rein in Paris und Blancpain Art Contemporain in Genf vertreten, seine Werke sind in zahlreichen Sammlungen auch international präsent. Bis 20. November zeigt der Kunstraum Dornbirn die Ausstellung »Red Harvest«, für die der Künstler Didier Marcel eine in-situ Arbeit anfertigte.
Michaela Mück: milch und teer
Unterwegs Michaela Mücks jüngste Serie von kleinen Malereien funktioniert wie ein Roadmovie. Häuser, Straßen, Tunnels, Strommasten und Brücken erzeugen eine Kulisse, durch die sich Betrachter selbst Bild für Bild hindurch bewegen können. Die Serie »milch und teer« besteht aus einer Reihe von 30 Bildern einer Reise, welche Michaela Mück im Sommer 2010 unternommen hat. Den „Roadmovie-Charakter“ der kleinen Malereien (15 x 15 cm) aus Acryl, Tusche und Graphit erzeugt die Künstlerin, indem sie vorbeiziehende Landschaftsdetails einfängt. Mithilfe von Bewegung und spezieller Lichtverhältnisse, welche Mück durch ihre Beobachtungen und Erfahrungen wahrnimmt, verfremdet sie den Raum. Die unklaren Stellen, an denen sie die Farbe verwischt, bestimmen Tempo oder Stillstand, Zeitlupe oder raschen Transit. Manchmal scheint es Tag zu sein, manchmal Nacht. Close-ups von Kühen und Schafen verstärken das zughafte Element. Auch einzeln lassen sich die Malereien aufstellen. Die drei Zentimeter breite weiße Rahmenkonstruktion gibt Stabilität. Und trotzdem sind die Bildchen keine Souvenirs im herkömmlichen Sinn: vielmehr Momentaufnahmen von Häusern und Hütten auf Hügeln, von sich verdunkelnden Landschaften, fahrenden Autos und vorbeiziehenden Strommasten. Geschützter Blick Das leuchtende Häuschen (erste Reihe, zweites Bild von links) wirkt im ersten Moment wie aus seiner Umgebung herausgerissen. Allmählich verschwindet es in der Dämmerung hinter Sträuchern und Büschen. Kaum ein Unterschied ist erkennbar zwischen dem Schwarz der Garageneinfahrt und dem Dickicht davor. Man muss schon nahe rangehen, um zu sehen, welche Striche zuerst da waren. Auch die Nachbarhäuser werden von der Dunkelheit umschlungen. Sie versuchen sich dagegen zu wehren. Untertags lässt es sich leichter fliehen auf den kurvigen Straßen. Der Nacht bleibt nur das ängstliche Starren der verlassenen Festungen. Betrachtet Mück einen neuen Ort, etwa auf dieser Reise, so wendet sie dieselbe Detailtechnik an, die sie auch benutzt, wenn sie die Veränderungen im Hof ihres Ateliers, wo sie seit mehr als 15 Jahren arbeitet, zu Papier bringt. Die Künstlerin scheint immer eine geschützte Beobachtungsposition einzunehmen. In ihren Arbeiten vereint sie Vertrautes und Fernweh auf dialektische Weise. Gegenstände im Raum verschwinden aufgrund der eingenommenen Perspektive oder des Lichts. Michaela Mück wurde 1969 in Salzburg geboren und lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte von 1987 bis 1991 Bühnengestaltung an der Akademie der Bildenden Künste. Jahrelang hat sich die Künstlerin der Performance gewidmet und damit auch exponiert. Nach dem Wunsch, alleine zu arbeiten, wandte sie sich intensiv der Zeichnung und nun auch der Malerei zu. Erwin Uhrmann / Lisa Grünwald
Rudolf Schwarzkogler: Hochzeit
Hochzeit als Aktion Die 1965 durchgeführte Aktion »Hochzeit« ist der Beginn von Rudolf Schwarzkoglers aktionistischem Schaffen. Die wohl konsequenteste Persönlichkeit aus dem Dunstkreis der Wiener Aktionisten bannt Schmerz, Ästhetik, mystische Symbolik und rituelle Handlungen nach einem strengen Konzept in drastische Bildsprache. Mit gerade einmal 29 Jahren stirbt Rudolf Schwarzkogler unter ungeklärten Umständen nach einem Sturz aus dem Fenster seiner Wiener Wohnung. In seinen sechs dokumentieren Aktionen, mit denen er knapp vier Jahre vor seinem Tod begonnen hat, lotet er die Schmerzgrenze aus, untersucht körperliche Erfahrungen, zerlegt, zerteilt, fügt wieder zusammen. »Hochzeit« ist Schwarzkoglers erster Versuch in Eigenregie, davor nahm er als Statist bei Aktionen der Wiener Aktionisten, allen voran Hermann Nitsch, Otto Muehl und Günter Brus, teil. Im Ablauf der Inszenierung betritt der junge Aktionist selbst als Zeremonienmeister das weiß ausgekleidete Setting. Er begibt sich an einen Tisch und macht sich an diversen Gegenständen mit teilweise okkulter oder christlicher Konnotation zu schaffen: Fische, Eier, ein totes Huhn, Gefäße mit Flüssigkeiten, dazu Schere, Messer, Klebebänder. Die Fische werden seziert, ausgeweidet, mit Farbe übergossen, gestopft, letztlich mit Klebeband umwickelt und teilweise angezündet. Nach dieser rituellen Vorbereitung – ist es eine Kommunion, ein letztes Abendmahl, eine Opferung? – enthüllt er die Braut, in Person von Günter Brus’ Ehefrau Anni. Die in weiße Laken gehüllte Frau wird durch ein Loch in einem aufgespannten Leintuch hervorgeholt, mit blauer Farbe übergossen, schließlich gewaltsam entblößt und mit dem toten Huhn geschlagen. Man wird Zeuge einer Unterwerfung, die Frau fügt sich als unfreie Marionette. Im letzten Teil der Aktion betritt als dritter Akteur Heinz Cibulka den Raum, es kommt zu einigen szenischen Abläufen, bei denen immer wieder Farbe verschüttet wird. Rituelle Handlungen und sexuell konnotierte Symbolik Die Gegenstände, Farben und Handlungen der nach einem streng konzipierten Ablauf abgehaltenen Aktion verweisen auf mystische Zusammenhänge. Die Farbe Blau, die göttliche Farbe, kann Opferblut, Jungfernblut oder auch Ejakulat sein. Sie stellt eine Referenz zu dem von Schwarzkogler verehren Künstler Yves Klein dar. Der Fisch, Symbol Christi, hier aber auch phallisches Instrument, ist in den kommenden Aktionen Schwarzkoglers ein stets wiederkehrendes Bild. Auch das Ei, Andeutung von Fruchtbarkeit, Sexualität, Weiblichkeit, Geburt, bleibt ein Bestandteil weiterer Aktionen, in denen Schwarzkogler sich eingeschnürt und abgebunden, mit Farbe übergossen und verstümmelt präsentiert. »Hochzeit« kann als Anti-Hochzeit, als Kritik an der traditionellen Institution Ehe und den gesellschaftlichen Konventionen der späten 60er Jahre – in Zusammenhang mit der sexuellen Revolution – gesehen werden. An die Grenze gehen – und darüber hinaus – war die Intention des von Zeitgenossen als sensibel und verschlossen beschrieben jungen Künstlers. Ob er nun freiwillig aus dem Fenster gesprungen ist, als finale Aktion, ob es ein Unfall war – man weiß es nicht. Der tragische Vorfall hat jedenfalls zu einer zusätzlichen Mystifizierung des Rudolf Schwarzkogler beigetragen. Die Dokumentation der Aktion »Hochzeit« ist unter anderem in der Ausstellung »Direct Art - Wiener Aktionismus im internationalen Kontext« noch bis 29. Mai 2011 im Mumok Wien zu sehen. Margit Emesz
Katleen Vermeirs und Ronny Heiremans: The Good Life
A Good Life? Ein Ausstellungsraum ohne Kunst, ein Wohnraum ohne Möbel, Appartements, die leere Hallen sind. »A Good Life (guided tour)« bietet Raum-Visionen, die in die Irre führen. »The Good Life (guided tour)« erinnert ein wenig an die Wohnrauminszenierungen von Elmgreen & Dragset für den nordischen Pavillon bei der Biennale in Venedig 2009. Damals wurden die Besucher durch fiktive private Wohnsituationen geführt. Bei Katleen Vermeirs und Ronny Heiremans filmischem Projekt besichtigt man ein leeres Gebäude, weiße Wände, schmucklose Stiegenhäuser, verspiegelte Aufzüge. Langsam fährt die Kamera über kahle Architektur, begleitet eine Gruppe von Besuchern, geführt von einer seriös gekleideten Frau. An den Wänden lehnen verpackte Bilder, ab und zu auch Kisten, in denen sich vermutlich Kunstwerke befinden. Ist die smarte Lady eine Galeristin, Museumsdirektorin oder Immobilienmaklerin? Aalglatt und sachlich spricht sie über Kunst und deren Präsentation, preist die Vorzüge der architektonischen Gegebenheiten an, die Lage der Immobilie innerhalb des Stadtgefüges. Hier sollen demnächst Upper-Class-Luxusappartements entstehen. Der Komplex soll dann ständig überwacht werden, der Sicherheit wegen. Die feine Gesellschaft wird in dem entstehenden Luxusgebäude ein blauäugiges Leben führen: eine Gentrifizierung mit stylischem Kunstanspruch. Fiktive Immobilien-Welt Die kahlen Räumlichkeiten spiegeln das oberflächliche, inhaltsleere Gerede der Maklerin wider, ihr übertriebener Businesstalk, der von der Wertigkeit von Kunst und Kreativität im passenden (elitären) Kontext handelt, gipfelt in einer geläufigen bornierten Vernissagensituation, bei der ein Modell des Bauvorhabens präsentiert wird. Zwischen den Sequenzen der Führung, die den Raum, seine Funktion und Bestimmung infrage stellt, passieren beklemmende Kurzepisoden. Die Immobilienmaklerin bleibt im Aufzug stecken, irrt verfolgt durch einen dunklen Lagerraum, plötzlich ein Schuss – woher und warum? Der Kurzfilm gehört zum Gesamtprojekt »The Good Life«, mit dem die beiden Belgier zusammen mit einem Architekturbüro eine fiktive Immobilien-Entwicklung erstellt haben, die im Rahmen einer großen Solo-Ausstellung 2009 im Arnolfini in Bristol (UK) gezeigt wurde. Der Film ist als Marketing für die Präsentation des opulenten Gebäudevorhabens gedacht, das (Kunst)Räume beherbergt und sich nicht zuletzt auch gesellschaftkritisch mit dem institutionellen Aspekt der Kunstwelt auseinandersetzt. » The Good Life (guided tour)« wird im Rahmen der Viennale im Spezialprogramm »Between Inner and Outer Space« gezeigt. Margit Emesz
Ulrike Koenigshofer: Melatonin
Nachthormon Ulrike Königshofers Arbeiten haftet der Hauch von Bibliotheken, Laboratorien und universitären Kabinetten an. Ironisch hinterfragt sie die Messbarkeit von Vorgängen, Ordnungssystemen, Wahrnehmung und wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Fotografie »Die Produktion von Melatonin, oder: Nicht Herr im eigenen Haus« dokumentiert den Entstehungsprozess eines künstlerischen Objekts und steht gleichzeitig als Metapher für einen physiologischen Vorgang, die Herstellung des Hormons Melatonin. Melatonin ist ein Botenstoff im menschlichen Körper, welcher in der Zirbeldrüse gebildet wird und den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Wissenschaftlichen Studien zufolge wird das Hormon durch den Einfluss von Dunkelheit gebildet und ist für Müdigkeit und Depressionen verantwortlich. In ihrer Arbeit nimmt die Künstlerin Bezug auf die sogenannte Winterdepression, die vor allem in nordischen Ländern auftritt, wo jahreszeitenbedingt monatelang wenig Tageslicht vorhanden ist. Königshofer hat die Molekularstruktur von Melatonin nachgebaut und in Gips gegossen. Einerseits ist der Vorgang der Hormonproduktion und dessen Folge eine abstrakte körperliche Angelegenheit, andererseits sind dessen Auswirkungen im Alltag spürbar. Der Botenstoff vermittelt zwischen dem Ich und der Empfindung, die unmittelbar auftritt. Humanbiologische Referenzen Durch die objekthafte Darstellung von Melatonin in Königshofers Arbeit wird das Hormon in die Wirklichkeit geholt als Baustein eines Gesamtgefüges. Die Gipsmodelle schwarz zu lackieren, gibt dem »Nachthormon« eine wesentliche physische, wenn auch künstliche Charaktereigenschaft, die seiner Wirkung entspricht. In der Fotografie gibt der Produktionsprozess der Gipsobjekte einem abstrakten körperlichen Prozess eine Form. Zu sehen sind die Gussformen, der Gips, Pinsel, Lack, fertige und halbfertige Molekularmodelle sowie eine Lampe, deren schwaches Licht in der Dunkelheit des Raums den Entstehungszeitpunkt in die Nacht verlegt. Im Hintergrund sind Abbildungen aus humanbiologischen Büchern zu sehen, die als Referenz dienen, und damit die Frage nach der Bedeutung des einzelnen Teils für die Gesamtheit des Körpers stellen. Ulrike Königshofers Arbeiten wirken wie wissenschaftliche Versuchsanordnungen. Ausgehend von einem Phänomen, einer Feststellung oder Zusammenhängen, recherchiert die Künstlerin tiefgehend, oft in naturwissenschaftlichen Bibliotheken. Nicht nur inhaltlich setzt sie sich mit wissenschaftlichen Aspekten auseinander, sondern auch mittels des formalen Erscheinungsbildes ihrer Arbeiten. So haben etwa auch Königshofers Zeichnungen den Charakter von Abbildungen aus naturwissenschaftlichen Publikationen, wie etwa ihre Darstellungen des Sonnenlichts. Ulrike Königshofer (*1981) lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte an der Universität für Angewandte Kunst Wien. Von 11. Juni bis 4. September sind einige ihrer Arbeiten im Kunsthaus Graz zu sehen. www.ulrikekoenigshofer.at Erwin Uhrmann
Know Hope: Hoffnung auf Herz Foto: BLK River
Hoffnung auf Herz Know Hope ist ein junger Typ mit Basecap und Turnschuhen, der etwas schüchtern in die Kamera lächelt. Seine fragilen Kapuzenfiguren tragen ihre Seele als Flicken auf dem Oberarm. Am eigentlichen Platz klafft ein Loch, durch das hin und wieder ein Vogelschwarm segelt. BU Diese Arbeit von Know Hope ist 2010 im Rahmen des Blk River Festival gegenüber des Wiener Badeschiffs entstanden. 2011 wird er wieder Gast des Street Art Festivals sein. Know Hope besucht die österreichische Hauptstadt nicht zum ersten Mal. Ein riesiges Wandbild am Donaukanal zeugt noch von seinem Aufenthalt im letzten Jahr beim Blk River Festival. Dürre Figuren, die melancholisch Sanduhren betrachten, sich schmerzhaft ineinander verstricken und oft von einer Gruppe kleiner Vögel begleitet werden, spiegeln die zentralen Themen des jungen Künstlers aus Tel Aviv. Zerrissenheit, Vergänglichkeit, Sehnsucht nach Beständigkeit und Liebe: Es sind unsere tiefsten Emotionen in einer untröstlichen Welt, die Know Hope auf die Oberfläche malt. Die poetische Wirkung seiner Zeichnungen basiert auf assoziativen Texten, in die er anfangs die meiste Zeit investierte. Inspiriert durch Karikaturen von Shel Silverstein und Raymond Pettibon wuchs die Bedeutung der anfangs nur ergänzenden Bilder aber schnell. Als Verbindung zwischen inneren und äußerer Gefühlswelt hinterfragen sie unsere Wahrnehmung der Realität. Kunstvolle Unbeständigkeit Mittlerweile hat Know Hope weltweit Wandflächen mit Werken gestaltet sowie in Galerien und auf Festivals ausgestellt. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf das Bemalen und Besprühen von Wandflächen, sondern fertigt auch kunstvolle Lampions und Figuren aus Pappe an. Dass diese oft nur wenige Stunden nach der Platzierung im öffentlichen Raum von Passanten entfernt werden, sieht er mit gemischten Gefühlen. Zum Bedauern über die geraubte Perspektive gesellt sich die Erleichterung, durch die Kurzlebigkeit der Arbeiten nicht von diesen verfolgt zu werden. Die Sammelleidenschaft seiner Anhänger kann dennoch mitunter zu skurrilen Situationen führen, wie er in einem Interview mit der Bloggerin Meighan O’Toole erzählt. Ein Objekt, welches er zuvor auf der Straße aufgestellt hatte, begegnete ihm bei der Wohnungssuche überraschend in einem fremden Wohnzimmer wieder. »Love« ist das Motto des diesjährigen BLK River. Vom 15. bis zum 21. September 2011 übernehmen neben Know Hope internationale Street-Art Größen wie JR, OX oder Brad Downey in Wien das Kommando. Von 28. September bis 2. Oktober wird das Badeschiff zudem Vorverkaufsstelle und Konzert-Location des Waves Vienna Festival sein. Anna Moldenhauer
Erik van Liehout: Erik Makes Happy Foto: Didier Marcel
Bonjour Tristesse im Einkaufszentrum »Echter Luxus ist nichts kaufen«, so der Slogan über einem Laden im Einkaufszentrum Zuidplein im abgewrackten Süden Rotterdams. Erik van Lieshout hat dort im Jahr 2010 ein Projekt zum Thema Scheitern einer Utopie und Hinterfragung des Urbanismus inszeniert. Deprimierend und verlassen ist die Gegend rund um das Einkaufszentrum Zuidplein, das in den 60er Jahren als erste Shopping Mall der Niederlande im Süden Rotterdams errichtet wurde. Heutzutage ist es ein Ort der Armen und Arbeitslosen, ein danebengegangenes Produkt der Konsumwelt und Stadtentwicklung. Die Regierung ließ rund herum, zum Aufpeppen der Region, mehrere repräsentative Bauten von Stararchitekten wie Renzo Piano oder Norman Foster errichten. Zuidplein, zu weit südlich um für ein Einkaufszentrum ausreichende Fluktuation zu erhalten, blieb unweit dieser stylischen Architekturen als heruntergekommenes Ghetto für Randfiguren der Gesellschaft stehen. Diesen Gebäudekomplex suchte sich Erik van Lieshout 2010 für sein (Film-) Projekt »Commission« aus: Mit einem Geschäftslokal, das er in erster Linie als Ort der Begegnung mit den Bewohnern des Viertels betrieb, zog er in das Einkaufszentrum ein. Statt Waren anzubieten, verwickelte er die Leute in Gespräche über Stadterneuerung, Konsum, Utopie oder einfach ihre eigenen Geschichten – ihr Zuhause, ihren Alltag in der Tristesse des Arbeitslosenviertels. Er animierte die Passanten zum Mithelfen, Aufbauen, Agieren, um in dem leeren Geschäftslokal etwas Neues zu erschaffen – ein Kunstprojekt verpackt als Sozialarbeit. Die Reaktionen auf dieses Augenöffnen verliefen nicht immer glimpflich – die Ironie entflammte teils wütende Anfeindungen, der Spruch »Echter Luxus ist nichts kaufen«, der über dem Shop prangte, wurde angesichts eines Alltags voller Geldnöte und Existenzprobleme zu persönlich genommen. Van Lieshouts Laden ist ein ironischer Seitenhieb auf den von Rem Koolhaas in New York errichteten Prada-Flagship-Store, einer opulenten Shopping-Architektur, bei der schon das bloße Schauen zum Luxusgut stilisiert wird. Diesen Gedanken führt der niederländische Künstler ad absurdum – in einer missratenen Utopie, einem Wunschbild von gesellschaftlichem Wohlstand, einer Einbildung eines besseren Lebens in der glamourösen Konsumwelt, die in diesem Fall nicht mehr bieten kann, als einen Laden ohne Waren. Dieser jedoch birgt die Möglichkeit, zu handeln: sich der Trostlosigkeit zu stellen. Die Ausstellung »Erik Makes Happy« ist in der Wiener Bawag Contemporary von 1. Dezember 2011 bis 29. Jänner 2012 zu sehen. Text Margit Emesz
"Mubarak" - Christopher Sturmer, "Gaddafi" - Michael Tripolt, "Ben Ali" - Stefan Kreuzer, Foto: Stefan Kreuzer
Die Teppiche der gestürzten Herrscher
Der desolaten Realität die grinsende Maske vom Gesicht reißen: Im zweiten Teil der Flying Carpet Show schickten Stephan Schwarz sowie Christopher Sturmer als Teil der Atzgerei gemeinsam mit anderen Künstlern die ehemaligen arabischen Machthaber auf den Teppich.
Die Flying Carpet Show startete bereits 2007 unter dem Titel »Meat on Carpets« im Ragnarhof zur Vernissageeröffnung von Bianca Regl, Adam Bota und Stephan Schwarz mit den Bands Beauties of the Night, M185, Jakuzzi's Attempt und Fuckhead. Aus aktuellem Anlass ging die exklusive Teppichveranstaltung unter dem Titel »Revolution on Carpets« in die zweite Runde. Dazu bemalten Stefan Kreuzer, Christopher Sturmer sowie weitere Künstler von Stephan Schwarz recycelte Perserteppiche. Im Mittelpunkt standen der arabische Frühling und die umstrittenen Gesichter der Revolution.
Arabische Alpträume
Das Konterfei des ägyptischen Ex-Präsidenten Hosni Mubarak prangt im zweiten Teil der Show auf dem Wandteppich von Stefan Kreuzer. Die Augen der Karikatur wirken emotionslos, wie bei einer Totenmaske. Das verspielte Muster des Orientteppichs scheint durch die weiße Haut und Garderobe der Figuren hindurch, rahmt sie ein. Mit der Wahl des außergewöhnlichen Maluntergrunds stellen die Künstler Verbindungen zum Ursprung der nomadischen Kultur bis hin zu Themenbereichen wie Textilarbeit durch Frauen, dem ökonomischen Gefälle zwischen Orient und Okzident und den mythischen Geschichten der fliegenden Teppiche her. Die Kluft zwischen Arm und Reich – der »Perserteppich« als Statussymbol des Bürgertums einerseits und seine Herstellung unter unwürdigen Bedingungen – scheint dabei durch. Komplettiert wird die Verbindung der Kulturkreise durch den Auftrag von künstlichem Material auf natürliche Fasern.
Mit Acryl und Dispersion wird der Personenkult um die einst gefeierten Diktatoren nachgezeichnet, welche ihre Völker ebenso vereinten wie verzweifeln ließen. Kleine Details karikieren die dunkle Seite der arabischen Herrscher. Die Raffgier des Diktators Zine el-Abidine Ben Ali blitzt z.B. vampirgleich im spitzen Eckzahn hervor. Künstler Stefan Kreuzer hinterlässt dazu den anklagenden Schuhabdruck – mit Schuhen treten oder werfen ist eine der schlimmsten Beleidigungen in arabischen Ländern – auf der Stirn des gestürzten, tunesischen Präsidenten. Das Durchschimmern der ursprünglichen Teppichmuster durch die Übermalung steht parallel zum Verlust der vertrauten Lebensmuster, die nach der Revolution nun von den Völkern neu gewebt werden müssen.
Anna Moldenhauer