Grafiker in Freilandhaltung

Weniger Computer, mehr Experiment: Mit dem Projekt »Nea Machina« haben die Grafiker Thomas und Martin Poschauko Aufmerksamkeit erregt. Anlässlich einer Neuedition ihres Buches wollten wir wissen, was heimische Gestalter von mehr »Handarbeit« halten.

Den Rechner auch mal ruhen lassen

Bei vielen heimischen Büros ist das Handwerkliche und das Arbeiten mit »lebensechten« Materialien auch Teil des Arbeitsalltags. »Ich habe mein Studium noch komplett ohne Mac bestritten und auch bei meinen ersten beiden Jobs ohne Computer gearbeitet«, so der Grafiker Josef Perndl von Perndl + Co. »Das könnte der Grund sein, warum bis heute Handwerkliches eher selbstverständlich immer wieder einfließt. Andererseits verhindert diese Selbstverständlichkeit einen allzu romantisierenden Blick auf das Thema.« Ähnlich äußert sich Erwin Bauer, der ebenfalls ein führendes heimisches Grafikbüro betreibt: »Ich bringe (visuelle) Gedanken zu Papier – das ist unverzichtbar, oft wird eine Skizze auch direkt weiterverarbeitet und fließt in den Entwurf ein. In der Ausarbeitung bringt das Handwerkliche eine lebendige, persönliche Qualität ein, von der Handschrift oder Kalligrafie über Illustration bis zur analogen Fotografie.« Und die jüngere Generation? Christof Nardin, einer der interessantesten Newcomer der vergangenen Jahre, kommentiert den Ansatz der Poschaukos so: »Ich verbinde das Wort ’Handwerk’ mit technischem Wissen, der Fertigkeit mit Material umgehen zu können, präzisem Arbeiten. Für mich ist das nicht Computer oder Säge, sondern Computer und Säge.« Die Gefahr, wonach die Arbeit mit den gleichen Grafikprogrammen ähnliche Resultate generieren könnte, sieht er nicht: »Die Hebel, Schalter und Rädchen in den Grafikprogrammen ermöglichen es, zu sehr unterschiedlichen Lösungen zu kommen. Die Frage vor jeder neuen Aufgabe sollte eher lauten: Wie viel Analog und wie viel Digital benötigen wir, um die Aussage zu treffen, die wir treffen wollen.«

Erwin Bauer ist ebenfalls kein Computerskeptiker: »Sich Werkzeuge digital selbst zu bauen und passende neue Tools – wie etwa beim Processing – zu programmieren, ist eine Methode, der Abhängigkeit von standardisierten Tools zu entgehen. Allerdings zeigt sich auch, dass Gestalterinnen und Gestalter, die Tools bewusst einsetzen, immer wieder vollkommen überraschende Ergebnisse mit Standardtools generieren.«

Das Auratische von Grafiken

Das regelmäßige Wechseln vom Digitalen ins Analoge und zurück praktizieren die Gestalter jeder auf seine Weise, auch im stressigen Arbeitsalltag. Dass Digitales effizienter sei, könne er nicht bestätigen, so Josef Perndl: »Oft kommt man mit handwerklichen Techniken sogar schneller zu einer guten Lösung, und nach meiner Erfahrung freuen sich auch viele Auftraggeber über handwerklich Gestaltetes.« Christof Nardin spricht sich zwar definitiv für Auszeiten vom Computer aus, »aber ob ich die mit Basteln, Yoga, Kochen oder in einem Lesekreis verbringe, ist sicherlich eine sehr persönliche Sache«. Für Erwin Bauer ist der reflexive Umgang mit den Mitteln das Entscheidende. »Gestaltung am Computer birgt die Gefahr, dass eine rasch gesetzte Textzeile bereits fertig gestaltet wirkt – ohne dass die ästhetische Qualität überprüft wurde. Allerdings lässt sich auch nur am Computer großartige Gestaltung machen. Das spür- und sichtbare Ungenaue, das Persönliche im Duktus, Strich, oder Modellieren ist wiederum analog einfacher und intuitiver zu erzeugen, gute Gestaltung braucht diese individuelle Abweichung.«

Das beweist auch eine Anekdote aus dem Büro Perndl + Co. Büropartnerin Regula Widmer hatte für einen Auftraggeber zu einem gesellschaftspolitischen Thema alle Diagramme und Infografiken mit Bleistift gezeichnet, um ihnen die distanziert Kühle zu nehmen. Der Kunde war von den Layouts beeindruckt und wollte wissen, mit welcher Software es denn gemacht worden war. Egal ob man die Herkunft sieht oder nicht: Handwerkliches spielt – passend zum DIY-Trend im privaten Bereich – zurzeit in der Grafik eine wichtige Rolle. Ein kurzfristiger Hype oder eine bleibende Konstante? »Ich glaube, dass diese Sehnsucht Teil eines umfassenden Retro-Trends ist, der möglicherweise im Gefolge der Krise viele Gesellschaftsbereiche umfasst«, so Josef Perndl. »Insofern lässt das wieder nach, wenn wir uns alle beruhigt haben und wieder optimistischer nach vorne schauen. Langfristig würde ich mir wünschen, dass die Rechnertechnologie sich so verändert, dass die Diskrepanz zum Handwerk, zum Haptischen, Körperlichen geringer wird.«

Das Buch »Nea Machina. Die Kreativmaschine« ist im Verlag Hermann Schmidt Mainz erschienen. Weitere Infos zum Projekt unter www.neamachina.com

Bild(er) © Verlag Hermann Schmidt Mainz
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