Einmal queer durch Graz. Mit ein paar Seitenhieben. Julia Melcher führt im dreiviertel-Takt.
In der hiesigen Grazer Gay-Szene gibt es, in Relation zur Größe dieser Stadt, gar nicht so wenige Möglichkeiten für die Regenbogen-Community, sich im Beisl zu treffen oder beim Clubbing mal so richtig schön schwul zu tanzen. Relativ neu ist in dieser Veranstaltungslandschaft auch das Loft, das ehemalige Acardium, das seit ungefähr einem Jahr mit neuem Besitzer und bunt gemischtem Eventkalender den alten Glanzzeiten Konkurrenz macht. Unlängst fühlte ich mich dort nicht nur wie Garfield in einem Musikvideo von HGichT, sondern auch in die Vergangenheit zurück versetzt, als ich unverhofft auf einer Goa-Party landete. Dort zumindest hat sich kaum etwas verändert, man sieht immer noch die selben Gesichter mit Mustern drauf strahlen. Doch trotz (oder wegen?) der Psychedelik würden sich einige davon entrüsten, die Psytrance-Szene in einem Artikel mit Bezug zur Gay-Szene erwähnt zu finden. Also lassen wir das lieber und zurück zum eigentlichen Thema.
Das Loft bietet Bühne und Kulisse, nicht nur für Minimal-Techno und Leuchtkäfer, sondern auch für eines der wenigen monatlichen Queer-Clubbings in Graz. Seit das Stargayte nämlich auf „men only“ umgesattelt hat, ist den Lesben ein Lokal verloren gegangen, in dem sie unbekümmert auf die Pirsch nach dem gleichen Geschlecht gehen können. Das Rosy in der Postgarage bietet diese Möglichkeit zwar, findet aber nur alle paar Monate statt. Das Loft hat also mit Queerbeat eine kunterbunte Alternative zum grauen, homphoben Alltag.
In Zeiten wie diesen, kann es nicht genug Orte geben, an denen sich Menschen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Ausrichtung treffen, flirten, kennen lernen, verlieben und vor allem eines: TANZEN können! Das Land des Life-Balls hat sich in den vergangenen Wochen wieder einmal für eine Doppelmoral qualifiziert, die der durchschnittliche Otto-Kronenzeitung-Abonnent höchstens den Amerikanern nachschimpfen würde. Doch die Angst, der Motor hinter dieser Moral, greift massiv um sich in der Alpenregion: Da traut sich Toni Polster schon gar nicht mehr seinen Fernseher aufzudrehen und ausgerechnet Schwulenikone Dagi kriegt gar unappetitliche Ekelgefühle (wie bei einer Phobie, durch Angst und Abwehr verursacht). Herr Lauda fürchtet auch schon das Schlimmste: Dass er sich eines Tages dafür entschuldigen wird müssen, dass er hetero ist. Was ist denn da passiert?
Willkürlicher Hass
Die Psychoanalytikerin Alice Miller, schrieb schon 1983 in ihrem Buch „Am Anfang war Erziehung“, in dem sie das Tabuthema der Kindesmisshandlung aufgreift: "Wenn wir dem Unfassbaren den Rücken kehren und es entrüstet als ‚unmenschlich‘ bezeichnen, versagen wir uns dessen Kenntnis. So kommen wir leichter in Gefahr, es beim nächsten Mal in aller Unschuld und Naivität wieder zu unterstützen." Damals erntete Miller harsche Kritik, als sie sich in einer Fallstudie dem psychisch und körperlich misshandelten Kind Adolf Hitler annahm, in einem Versuch, das mystifizierte Monster einem Prozess menschlicher Verständnis zu unterziehen. Sie rekonstruierte den Werdegang eines geprügelten Kindes, das seinen unbewältigten Hass später auf eine willkürliche Gruppe von „Anderen“ projizierte und sie in den Massengenozid schickte. Ein Teil dieser willkürlichen Gruppe der Todgeweihten waren Homosexuelle, die in Vernichtungslager deportiert wurden, weil sie nicht wie "Normale" waren. Noch in den Siebziger Jahren war es in Europa üblich Homosexuelle mit Elektroschock-Therapie von ihrer Geisteskrankheit heilen. Dreißg Jahre und einige politische und geistige Strömungen später, muss man sich nun noch immer fragen: Was ist denn da passiert?
Die Antworten darauf sind ganz leicht nachvollziehbar. Sehen wir uns die Aussage Niki Laudas einmal genauer an. "Ich möchte mich nicht eines Tages dafür entschuldigen müssen … ," klingt nach der Befürchtung eines unsicheren, ‚kleinen‘ Mannes, der das Gefühl hat, dass ihm jemand seinen Platz streitig machen will. Dass er sich womöglich noch dafür entschuldigen wird müssen, wer er ist. Wovor hat dieser erfolgreiche Inhaber einer Fluglinie eigentlich solch (irrationale) Angst? Gehen wir einen Schritt weiter.
Die Aussage beinhaltet nämlich noch etwas anderes: den impliziten Vorwurf, dass sich die „quotengeile Schwuchtel“ gefälligst selbst entschuldigen soll. Und zwar dafür, dass sie sich nicht schämt. Schämt dafür, eine Schwuchtel zu sein. Der kann sich doch nicht einfach so in die Öffentlichkeit trauen mit seiner Perversion und gute, alte Traditionen kaputt machen? Den Fernseher könne man schon gar nicht mehr aufdrehen, ohne sich dafür zu schämen ein „Normaler“ zu sein (ja, vor allem am Sonntag zur ORF1 Sendezeit, nehme ich an). Unisono gellt es: „Igitt!“
Schwul sind ja immer die anderen
Was ist mit den starken, männlichen Männern bloß passiert? Der Rennfahrer und der Fussballprofi (Männer per se) fürchten sich wie kleine Buben. Diese Angst entspringt einem sehr subtilen, ja fast archaischen Revierdenken. Weil, wenn diese verkehrten, schwulen Tütü-Hopser plötzlich Rechte bekommen, so wie alle anderen, und am Ende auch noch als Männer (!) gelten, wo bleiben denn bitte die ‚echten‘ Männer? Der kleinste gemeinsame Nenner all dieser Aussagen lautet also wie folgt: „Hilfe, Potenzverlust!“ Homophobie entspringt der Angst vor dem Verlust der eigenen Männlichkeit. Eine Männlichkeit, die sich definiert aus der traditionellen Männerrolle und deren Stellenwert in der Gesellschaft. (In Dagis Fall, ist es dann wohl die Angst, die richtigen Männer würden ihr abhanden kommen.)
In einer Gesellschaft, in der sich die Rollenbilder kontinuierlich verändern und alte, traditionelle Werte an Bedeutung verlieren, gibt es die Tendenz, sich verzweifelt an eben diese zu klammern: Familie, Ehe, Heterosexualität (äh Kirche!?). Diese Reaktion ist verständlich und zutiefst menschlich! Da es unsicher ist, wo sich unsere Gesellschaft hin entwickelt, suchen die Menschen nach etwas, das sie greifen und festhalten können. Das Gefühl den Halt zu verlieren, macht ihnen Angst. Aber Angst ist etwas Gefährliches, wenn sie nicht bewusst durchlebt wird, denn dann wird sie ein Boden in dem Manipulation, Diskriminierung und Fanatismus wurzeln.
Das Private ist politisch
Eine „private“ Meinung habe Herr Lauda geäußert, so wie Polster und Koller wohl auch. Entschuldigen Sie mir an dieser Stelle die naive Frage, aber wie um alles in der Welt, kann man in einem öffentlichen Medium eine Meinung äußern, die „privat“ ist? „Das Private ist politisch,“ war schon der Leitspruch der Frauenbewegung, der heute immer noch verdeutlicht, was im öffentlich-rechtlichen Diskurs im Zusammenhang mit der Gender-Debatte passiert. Erinnern sich die drei Promis daran, dass sie aufgrund ihrer medialen Präsenz Schlüsselfunktionen in der Meinungsbildung erfüllen? Nur ein Beispiel: Unlängst hat sich in Kärnten ein erst 13-Jähriger das Leben genommen, nachdem seine Mitschüler sich einen „Spaß“, auch bekannt als Cyber-Mobbing, erlaubt hatten und sein Foto auf einer Gay-Contact Seite im Internet veröffentlicht hatten. Für schwul gehalten zu werden war für diesen jungen Mann Grund genug, seine eigene Existenz auszulöschen. Vielleicht mögen Herr Polster, Herr Lauda und Frau Koller, sich in Zukunft Ihrer Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber bewusst sein, bevor Sie dieser Ihre „Privatmeinung“ aufs Auge drücken, hm?
Dem zum Trotz feiert Graz, umso lauter, umso queerer. Damit die Zukunft mit all ihren sogennanten Bedrohungen und Werteverlusten vor allem eines wird: regenbogig und unvoreingenommen!