Gulasch mit viel Saft

St. Pölten hat keinen Ruf zu verlieren. In Sachen Theater lässt es Wien sogar als das wahre Provinznest dastehen.

Gib den Senioren Drogen

Auch im zentral am Rathausplatz gelegenen Landestheater, das von der Schweizerin Bettina Hering geleitet wird, haben Gastspiele schon seit Jahren große Tradition: Drei bis vier sind es pro Jahr und in der Vergangenheit bewies die Intendantin Bettina Hering ein untrügliches Gespür für Qualität. Viele der Produktionen, die sie einlud, sind schon nach kurzer Zeit zu Klassikern der Theatergeschichte avanciert: Die "Nora" im Zombie-Gewand von Klamauk-Profi Herbert Fritsch etwa, die hier 2012 zu Gast war.

Oder Kleists "Amphitryon und sein Doppelgänger" in der Regie von Karin Henkel, das auf Bitte der St. Pöltener schon im Planungsprozess für die recht schmale Bühne des Landestheater adaptiert wurde. Und dann auch gleich als eine der bemerkenswertesten Inszenierungen der deutschsprachigen Theaterwelt zum Theatertreffen 2014 nach Berlin eingeladen wurde.

Bemerkenswert ist nicht nur der Riecher der Leitung, sondern auch, wie offen das hiesige Publikum für Unbekanntes ist. Gut zu beobachten war dies Ende letzten Jahres beim Gastspiel des Maxim Gorki Theater mit einem Stück von Sibylle Berg, das in grandioser Weise die weltbewegenden Krisen urbaner Mittzwanzigerinnen zwischen Club-Gebumse und Drogen-Kochen in teilweise sehr drastischer Sprache schildert. Nichts für das schon leicht angegraute Publikum eines Kleinstadttheaters könnte man meinen. Doch "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen" riss das hiesige Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.

Einmal durchlüften, bitte!

In Wien schwer vorstellbar, nicht nur, weil hier oftmals der Mut zu Programmierung außerhalb des angestammten Repertoires fehlt, sondern auch, da es in den letzten Jahren generell kaum große Gastspiele zu sehen gab.

Abgesehen vom Brut und vom Tanzquartier, die als Koproduktionshäuser ohne eigenem Ensemble naturgemäß viele Fremdproduktionen einladen, sieht es an den Sprechtheatern mau aus: Am Burgtheater lud man in der Ära Hartmann ab und an das Deutsche Theater ein, am Schauspielhaus Wien gibt es einen Austausch mit der School of Modern Drama Moskau und dem Maxim Gorki Theater, mehr nicht. Verständlich insofern, als Gastspiele finanziell im besten Falle ein Nullsummenspiel sind und man einen Teil seiner künstlerischen Handschrift auslagert.

Unverständlich aber dahingehend, als entgegen der landläufigen Meinung auch in der niederösterreichischen Kulturförderung nicht Milch und Honig fließen: Das Landestheater etwa hat bloß ein Drittel des Volkstheater-Budgets zur Verfügung und im Bundesländer-Vergleich liegen die Pro-Kopf-Ausgaben für die darstellenden Künste im schwachen Mittelfeld.

Doch man kann den Import fremder Handschriften eben auch als Chance und nicht bloß als Budgetposten sehen: Für Bettina Hering sind die Gastspiele die "Sahnehäubchen" ihres Spielplans, der sich auch abseits der Fremdeinflüsse sehen lassen kann, und eine Möglichkeit, den Menschen hier "ein Fenster in die Welt aufzumachen". Ein Fenster in die Welt und per Westbahn nur 25 Minuten nach Wien – eine ziemlich unschlagbare Kombination. Verkehrte Welt, aber zumindest im Theaterbereich muss man inzwischen abends an die Traisen pendeln.

www.festspielhaus.at

www.landestheater.net

Bild(er) © Illustration: Paul Sturminger; "Es sagt mir nicht, das sogenannte Draußen" Gorki Theater – Fotos von Thomas Aurin
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...