Mit dem Circus Roncalli verwirklichte Bernhard Paul die Idealvorstellung eines Zirkus, wie er ihn aus seiner Jugend kannte. Regisseur Harald Aue zeigt Paul in »Ein Clown | Ein Leben« bei der Transformation zu Clown Zippo und blickt zurück in die Geschichte des Clown-Handwerks.
»Ich will einen ganz anderen Zirkus machen, so wie früher.« – Diese Entscheidung fällte Bernhard Paul in den 1970ern. Der junge Mann aus dem niederösterreichischen Wilhelmsburg, einem kleinen Dorf südlich von St. Pölten, setzte seinen Kindheitstraum von Poesie, Charme und Schönheit mit dem Circus Roncalli durch – und gilt heute als Erneuerer der Zirkuswelt.
Regisseur Harald Aue, der Paul für »Ein Clown | Ein Leben« zwei Jahre lang mit der Kamera begleitete, ergänzt Pauls Credo um ein Zitat aus dem Film: »Wir leben in der besten aller Zeiten.« Paul wolle sein Publikum unterhalten, es glücklich und den Alltag vergessen machen. Und das gelinge ihm mittels Lachen.
Doch nicht nur Bernhard Paul selbst steht im Zentrum von Aues Film. Da ist auch sein Alter Ego: Clown Zippo, ein dummer August. Zippo, die anarchische Seite Pauls, die die Zuschauer*innen immer wieder aus ihren schwarz-weiß umrandeten, tief blickenden Augen heraus fixiert. »Das bin ich nicht«, meint Paul, als er im Film ungeschminkt in den Spiegel blickt. Der Clown ist Teil seiner Persönlichkeit, ein humorvolles Unikum, das das Publikum zum Lachen bringt. Aue schickt uns in »Ein Clown | Ein Leben« auf eine Reise zu den mythischen Ursprüngen des Clowns, zelebriert dessen kathartischen Anarchismus und fordert die Zuseher*innen auf, die eigenen Grenzen zu hinterfragen.
Sie beginnen den Film mit einer alten Szene aus der Diskussionssendung »Club 2«, in der Elfi Althoff-Jacobi und der Präsident des Verbands österreichischer Zirkusmanager mit althergebrachtem Snobismus auf Paul reagieren. Was hat ihrer Meinung nach Bernhard Paul für den modernen Zirkus getan?
Harald Aue: Ich möchte hier nicht vorgreifen, weil das der Film auch sehr anschaulich erklärt. Nur so viel: Mit seinem Zirkus hat sich Bernhard Paul eine ideale Welt geschaffen, eine Welt, die er sich schon als Kind erträumt hat und die bis heute Verbesserungen und Anpassungen unterworfen ist.
Ihr Film ist nicht nur eine Ode an Bernhard Pauls Clown Zippo, sondern auch an das Clown-Handwerk selbst. Warum sind Clowns so wichtig?
Die Wichtigkeit dieser Figur ergab sich aus der Zusammenarbeit mit Bernhard Paul. Paul hat es sich mit seinem Zirkus zur Aufgabe gemacht, die Tradition des klassischen Trios Weißclown / August / Contra-August hochzuhalten und dieses besondere Spiel vor dem Aussterben zu bewahren.
Was ist das Besondere an Zippo?
Zippo ist mehr als nur eine Rolle für Bernhard Paul, er ist Teil seiner Persönlichkeit, sein Alter Ego. Erst durch den Clown wird Bernhard komplett und umfassend darstellbar. Wenn sich Bernhard Paul zum Clown schminkt, sieht ihn dieses andere Ich aus dem Spiegel an und er kann damit in Dialog treten. Es war sehr spannend zu erfahren, dass für alle Clowns, mit denen ich zusammengearbeitet habe, diese Figur weit mehr als eine Rolle ist, in die sie schlüpfen. Es ist ein Teil ihrer Persönlichkeit und die Grenze, wer wer ist, ist oft nicht auszumachen.
Fulgenci Mestres, der als Weißclown auftritt, spricht über den Clown als Schwelle zwischen Unterwelt und Oberwelt, als Dionysisches und Apollinisches. Wo sehen Sie die Parallelen zwischen Irdischem und Mythischem?
Der Clown beziehungsweise sein Vorfahre der Harlekin ist von seinen Ursprüngen her eine mystische Figur. Als Mittler und Botschafter zwischen dem Reich der Toten und dem Diesseits ist diese Figur seit jeher sagenumwoben und nicht zuordenbar. Was mich an der Figur bzw. an der seit der Aufklärung zweigeteilten Figur fasziniert, ist das unterhaltsame Drama, das aufgeführt wird. Der Clown durchlebt stellvertretend für das Publikum das Drama der Existenz. Man kann als Zuseher entspannt über die Missgeschicke lachen.
Sie lassen den anarchischen Clown Anatoli mit seinen Einlagen immer wieder das Bild »stören«. Die Verwandlung von Bernhard Paul zu Zippo zieht sich durch den ganzen Film. Sind Clowns, Harlekins und Narren ein zweites Gesicht, das wir als Menschen haben?
Die Clowns, die ich kennenlernen durfte, erzählen mir von diesem Wesen als Teil ihrer Persönlichkeit. Aber als eigenständigen Teil, einen, den es auch erst zu finden gilt. Also kann man sagen, man muss diesen Clown in sich selbst finden, um ihn zum Leben zu erwecken. Und wenn er dann da ist, entdeckt wurde, entwickelt er sich unabhängig weiter. Persönlich kam mir der Gedanke, dass der Clown ein unsterbliches Wesen sein könnte, dem man sein irdisches Leben widmet. Nach dem Ableben des Wirts nimmt ein anderer dessen Platz ein.
Brauchen wir das Anarchische des Augusts?
Die Urform in der Commedia dell’arte ist der Harlekin. Eine zwiespältige Figur, die Gegensätzliches in sich vereint, unberechenbar und sexuell aufgeladen ist. In der Aufklärung verbannte man diese Figur von den Bühnen und spaltete sie in den Weißclown und den August. Der eine, der Apollonische, hat die Kunst und die Sprache, der andere, der Dionysische, ist wild und unberechenbar. Es sind die zwei Seiten einer Münze. Möglicherweise ist das Dionysische in unserer Konvention ein wenig zu sehr verschüttet und wir sollten uns da wieder mehr zentrieren. Also ja, wir brauchen die Anarchie, sie ist Teil unseres Wesens.
Bernhard Paul bewegt sich in Ihrer Doku auch viel in der Vergangenheit, in der heimatlichen Gemeinde und in Antiquitätensammlungen.
Das ist der zentrale Teil des Films, die Ergründung der Motivation. Warum macht dieser Mann aus Wilhelmsburg in Niederösterreich einen der erfolgreichsten Zirkusse der Welt? Und da sind wir ganz schnell in seiner Kindheit, bei seiner Familie gelandet. Bernhard Paul hat die Gabe, sich seine ideale Welt in der Realität zu schaffen, und wir, das Publikum, dürfen daran teilhaben.
»Ein Clown | Ein Leben« feierte im April im Rahmen der Diagonale seine Österreichpremiere. Das Interview mit Harald Aue fand im Vorfeld des Festivals statt. Der Film läuft am 24. September 2021 regulär in den österreichischen Kinos an.