Alle Jahre wieder blickt unsere Redaktion auf die popkulturellen Highlights der letzten zwölf Monate zurück. Mit streng subjektivem Blick. Was Helena Peter aus 2023 besonders in Erinnerung bleiben wird, könnt ihr hier nachlesen.
Mein Jahr war turbulent! Kalt, dann viel zu heiß, ungeduldig, ängstlich, gewöhnungsbedürftig, erschöpft und zuversichtlich. Meine Mama hat gesagt ich schau jetzt richtig erwachsen aus! Mal schauen wie lang ich noch beim Bierkaufen alterskontrolliert werd…
TOP 10 Tracks aus dem letzten Jahr
10. Nina Chuba »Feminello« (auf »Glas«, Release: 24. Februar 2023)
»Feminello« war mein Soundtrack zum willkommensten Jahreszeitenwechsel: von Winter auf Frühling. Irgendwie ist es so geil eine Frau zu sehen, die ganz unverhohlen feiert was ihr gehört – Nina Chuba nimmt sich was sie will! Bei ihr verliert Zufriedenheit diesen devoten Beigeschmack von Dankbarkeit und wird zu stolzer Selbstzufriedenheit: »Alles was ich wollte hab ich heute und ich teil es« eine Selbstverständlichkeit, die keinen Dank verlangt, nur Selbstbefeierung – Hedonismus at it‘s best!
9. Hania Rani »Spring« (auf »On Giacometti«, Release: 17. Februar 2023)
»Spring« ist atmosphärisch-melancholischer Ambient – Neoklassik kann man auch sagen. Nur die dumpfen, schlichten Filz-Holz-Geräusche – vom Pedalbenutzen am Klavier – holen einen aus dem Tagtraum. Wirklich schöne Harmonien und Dynamiken, at times sehr kitschig, aber schön-kitschig. Drohnenaufnahmen von einer Fantasylandschaft fließen so dahin. Ein Fluss, ein Nadelwald, glitzerndes Wasser.
8. Natural Wonder Beauty Concept »The Veil l« (auf »Natural Wonder Beauty Concept«, Release: 14. Juli 2023)
Wie erzählt man eine Komödie ohne Worte? In »The Veil l« hüpft ein bunter Gummiball auf und ab. Nebenbei spielt Alice im Wonderland mit einem Nagetier, es ist Dunkel und alle Dinge haben grelle Farben, M. C. Escher sitzt auf einem Stuhl mit drei Beinen und zeichnet, es gibt ganz viel Raum, das Nagetier fängt an eine Nuss zu knabbern, bei genauerem Betrachten ist die Räumlichkeit zweidimensional, M. C. Escher ist in Wahrheit eine Grinsekatze.
7. Slauson Malone 1 »Voyager« (auf »Excelsior«, Release: 6. Oktober 2023)
»Voyager« klingt wie ein Indie Song, der sich in einer mind-blowing Black-Mirror-Sci-Fi-Folge verirrt hat. Sentimentalität mit Glitches in der Indie-Matrix, die einen beim Hören zuverlässig immer wieder aus dem Indie-Pop-Traum schubsen. Stimmverzerrungen, abgehacktes Gitarrengezupfe, marschierende Drums und dabei stets selbstironisch. Vom Coverart, auf dem die Farbunterscheide so gering sind, dass das eigentliche Design kaum zu erkennen ist, bis hin zu Malones Auftritt in der Minoritenkirche Krems am diesjährigen Donaufestival, wo er sich zwischen Schreianfällen immer wieder unvermittelt ins Publikum gestürzt hat.
6. Laurel Halo, Lucy Railton und James Underwood »Atlas« (auf »Atlas«, Release: 22. September 2023)
Ein Bobo-Arthouse-Film in der Großstadt: Altbau mit schweren Holztüren, angestaubte hohe Räume, ein Flügel im Foyer – ist es Paris? »Atlas« ist jazzig und feinfühlig. Klavier wabert auf Synth-Strings dahin, Bässe tröpfeln dazu. Eine Ambient-Soundcollage für die großen Gefühle. Die mit Gewissheit und Schwere. Ein bisschen Abschied, ein bisschen Aufbruch.
5. Eartheater »Heels over Head« (auf »Powders«, Release: 20. September 2023)
Vom Schnee knirschen die Schritte im luftleeren Raum. Langsam und unaufhaltsam. So stell ich mir Weltraum-Hip-Hop vor. Musikalisch ordne ich »Heels over Head« irgendwo zwischen Coco Rosie und Björk ein. Stimmlich erinnert mich Eartheater an PJ Harvey, wenn nicht gerade ein Bisschen Rosa Anschütz durchblitzt. Schöne Bässe, die noch viel schöner droppen. Macht einfach sehr Spaß!
4. DJ Danifox »Ngapa« (auf »Ansiedade«, Release: 26. April 2023)
Bei »Ngapa« ist irgendwie sehr viel los. Ein Cloudrap-Afrobeat-Mashup: luftig-schöne tiefe Bässe, die auch noch beim zehnten Replay einfach zum Tanzen auffordern! Ein helles Lied mit dem heuer Sommer geworden ist. Hab mich oft sehr frei gefühlt zu DJ Danifox‘ Rhythmen.
3. Shygirl feat. Arca »Unconditional« auf »Nymph_o« – 14.04.23
Dieses Jahr hab ich Autotune endgültig meinen Segen gegeben. Auf »Unconditional« ist Autotune der Main-Act! Bässe hämmern das Mental-Health-Mantra »love was meant to be unconditional« in ein ewiges Reverb. Fotos mit hohem Shutterspeed, ein Daumenkino, jede Bewegung wabert nach. Empowernd und selbsterhebend.
2. The Smile »Bending Hectic« (Release: 20. Juni 2023)
Es passiert gar nicht viel, aber das was passiert ist sehr dicht. Die acht Minuten wirken eher wie drei und laden zum Replay ein. »Bending Hectic« war meine besonders hartnäckige Junibegleitung und hat noch dazu als Soundtrack zum Coming-of-Age-Roman »Normal People« (auch große Empfehlung!!) gedient. Jetzt ist’s schwer zu sagen: Ist wirklich »Bending Hectic« so schön sommermelancholisch? Oder kommt das sentimentale Roadmovie-Teenie-Kitsch-Gefühl von Marianne und Conell in der toskanischen Villa? Träumerisch und zeitlos, perfekt fürs aus-dem- Zugfenster-starren.
1. Amnesia Scanner und Freeka Tet »Bounds« (auf »Strobe.RIP«, Release: 16. Juni 2023)
»Bounds« ist sehr spacig, so wie das ganze Album »Strobe.RIP«. Bouncy Bässe und creepy metallische Stimmschnippsel kreiseln so dahin, irgendwie matschig, gatschig, pfiffig! Es ist ein Internet Soundtrack, aber eher für die Ecke mit Gotham-City-Vibes. Amnesia Scanner waren auch live am diesjährigen Donaufestival sehr eindrücklich: Dichter Nebel und hochfrequentiertes Strobo-Gewitter, Clownsmasken und Riesentaschenlampen – irgendwie monumental aber gleichzeitig feingliedrig. Ein gebürstetes Chaos.
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