Das diesjährige This Human World-Festival zeigt im Programmschwerpunkt »Riot And Revolution« den Dokumentarfilm »Tahrir 2011«. Ko-Produzent Asiem El Difraoui über das extrem zeitnah fertig gestellte Werk dreier ägyptischer Aktivisten und Filmemacher.
Wenige Monate nachdem in Ägypten Diktator Husni Mubarak gestürzt wurde, präsentierten die Filmemacher Tamer Ezzat, Ayten Amin und Amr Salama ihren Blick auf die Ereignisse. Das erste Kapitel »The Good« lässt die Helden des Aufstands zu Wort kommen und zeigt spektakuläre Aufnahmen aus den Tagen des Widerstands. Im zweiten Kapitel »The Bad« versucht Ayten Amin zu ergründen, wie die verhasste Polizei ihre Gewalttaten rechtfertigt. Sie interviewte Beamte – unentschlossen zwischen Gehorsam und Sympathien für die Protestierenden. Im letzten Teil »The Politician« widmet sich Amr Salama dem Diktator selbst – im ironischen Selbsthilfeprogramm »Wie werde ich ein Diktator in zehn Schritten«.
»Tahrir 2011« entstand sehr zeitnah zu den Veränderungen in Ägypten. War das Konzept und was bedeutet dies für den Film?
Das waren in erster Linie auch die französischen und ägyptischen Koproduzenten, die sich sehr rasch dazu entschieden, die Ägyptischen Filmemacher– alle drei Regisseure waren selbst Teil des Umsturzes – zu dem Film zu ermutigen. Ich hatte dann Kontakt mit Sendern wie dem WDR, der ungewöhnlich schnell zusagte. Wir konnten sehr spontan einen Film umsetzen, ohne vorher seitenlange Exposés verfassen zu müssen. Auch die Festivals haben äußerst positiv reagiert und den Film ins Programm aufgenommen, nachdem sie nur Teile des Films oder einen Rohschnitt gesehen haben. Untertitelt wurde der Film einen Tag vor den Festspielen von Venedig und er wurde dort ohne Musik im Vorspann gezeigt.
Die zeitliche Nähe sorgt für eine Distanzlosigkeit und einmalige Authentizität, trotz kleiner formaler Schwächen. Wir haben uns dafür entschieden diese zu übernehmen – etwa auch eine eigensinnige ägyptische Bildsprache. Der Film funktioniert wie ein Zeitzeuge, der sehr nahe und unreflektiert berichtet. Einzelne Elemente wären auch später gar nicht mehr möglich gewesen, wie etwa im zweiten Teil die Interviews mit den Polizisten. Diese wären nie wieder so offen in ihren Antworten gewesen.
Die aktuellen Umstürze werden mit technologischen Entwicklungen in Zusammenhang gebracht. Wie sehen sie diesen Zusammenhang und wäre der Film ohne moderne Technik möglich gewesen?
Technik ist grundsätzlich immer neutral. Aber ohne moderne Kommunikationsmittel wären die Umstürze so nicht möglich gewesen. Das sagt auch ein junger Moslem im Film, der meint: »Anfangs waren nur 80 Leute bei den Kundgebungen. Wenn es nicht mehr geworden wären, hätte ich begonnen Facebook zu boykottieren.« Natürlich kann Technik auch zur Unterdrückung verwendet werden. Entscheidend war aber, dass es dank Technik neue Protagonisten gibt – so genannte Prosumenten. Leute, die nicht nur konsumieren, sondern auch selbst eingreifen und produzieren. Wenn diese eine gewisse Masse erreicht haben, sind sie nicht mehr zu kontrollieren.
Der Film wäre ohne Technik vielleicht ähnlich geworden, aber sicher nicht genau so. Konkret wäre er ohne den Einsatz von Handys nicht möglich gewesen, etwa der erste Teil des Films, der mittels von Aktivisten aufgenommenen Videos die Ereignisse am Tahrir-Platz dokumentiert. Das sind seltene Alltagsausnahmen, aber auch schockierende Bilder, die einen großen Einfluß auf die ägyptischen Bevölkerung hatten.
Was bringt ein Preis wie der Unesco Preis?
Preise wie der Unesco-Preis oder letzte Woche die Auszeichnung in Oslo sind sehr wichtig. Sie machen stolz, ermöglichen aber auch weitere Filme, weil sie zeigen, dass junge ägyptische Filmemacher etwas erreichen können. Ein Teil der Revolution waren ja auch junge Medienmacher, die in einem veralteten System keinen Platz bekommen habe. Ermutigend sind diese Preise sind auch für junge arabische Filmemacher anderer Länder.
In Berlin konnte die Piratenpartei im September beinahe 9% erreichen. Gibt es auch in Europa eine Chance auf Veränderungen die durch Netzkultur vorangetrieben werden?
Bisher habe ich das in Europa noch nicht erlebt – vielleicht mit der Ausnahme von Stuttgart 21. Es bleibt aber auch erst abzuwarten, ob das Netz bei arabischen Wahlen, die nun langsam stattfinden, eine Rolle spielen wird.
Asiem El Difraoui wird bei This Human World zu Gast sein, um den Film »Tahrir 11« vorzustellen.