Seit Jahren werden die Medienkrise und das Zeitungssterben lautstark beklagt. Parallel dazu boomt ein neues Mediensegment: Der Markt für Unternehmensmedien wächst. Handwerklich gesehen geht das in Richtung Qualitätsjournalismus. Auf die Frage nach inhaltlicher Qualität und Meinungspluralismus gelten die gleichen Antworten wie eh und je.
Content Strategy, Content Marketing und Storytelling sind die neuen Zauberworte der Kommunikationsbranche. Was damit gemeint ist, zeigt Red Bull am besten vor. Der Energy-Drink-Produzent ist längst auch ein großes Medienhaus mit Fernsehsender, Printmagazinen, Online-Plattformen, Musikverlag und so weiter und so fort. Vor allem schafft es Red Bull, seine Geschichten und Storys in anderen Medien unterzubringen: Der Stratosphären-Sprung von Felix Baumgartner war wohl das größte Medienevent, das ein einzelnes Unternehmen jemals realisiert hat. Und wozu das alles? Die Rechnung ist einfach: Den Projektkosten von 50 Millionen Euro steht ein geschätzter Medienwert von etwa 6 Milliarden Euro gegenüber. Red Bull hat die Menschen mit einer Geschichte erreicht und nicht mit Marketingslogans – besser, effizienter, auf allen Kanälen und mit mehr Emotion.
Coca-Cola verfolgt eine ganz ähnliche Strategie. Mit dem Konzept »Content 2020« will der Konzern von einer »kreativen« zu einer »Inhalts-Exzellenz« kommen. Die Kernelemente dieser Strategie sind »liquid and linked content development«. Die von Coca-Cola entwickelten Ideen und Inhalte sollen so stark sein, dass sie eine Eigendynamik entfalten und dafür müssen sie möglichst so aufbereitet sein, dass sie sich über soziale Medien verbreiten lassen. Zentraler Hub dafür ist die Coca-Cola-Website, die als Newsroom betrieben wird, für den derzeit vier Vollzeitredakteure und dutzende freie Autoren Inhalte erstellen und kuratieren. Alle Geschichten dort stehen in einem mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit dem Kerngeschäft und den Produkten. Mit Beiträgen wie etwa dem des US-Kongressabgeordneten John Lewis über Menschenhandel und moderne Sklaverei zeigt Coca-Cola aber auch inhaltliche Breite und greift Themen auf, mit denen ein weltweit tätiger Konzern sich auch beschäftigen muss.
Geschichten schaffen Nähe
Nicht nur die ganz Großen haben erkannt, dass gut produzierte Inhalte und spannende Geschichten besser geeignet sind ein Publikum zu finden als klassisches Marketing. Die Produktions- und Distributionskosten für Inhalte betragen im digitalen Zeitalter nur mehr einen Bruchteil dessen, was Unternehmen früher für ihre Publikationen ausgeben mussten. Damit rechnet sich das auch für die Kleinen. Heinz Wittenbrink, der am Studiengang Journalismus und PR an der FH Joanneum forscht und lehrt, betont, dass eine Content Strategy nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie eng an die Wertschöpfung des Unternehmens gekoppelt ist. Natürlich kann und soll jedes Unternehmen auch selbst Verleger sein, allerdings muss es dabei eine »verlegerische Primärstrategie« verfolgen. Ein Beispiel für erfolgreiche Umsetzung einer Content Strategy im Kleinen ist der twitternde und bloggende Maler Deck aus Deutschland, der es mittlerweile zu medialer Berühmtheit gebracht hat. Auch die Social Media-Aktivitäten der Wiener Linien sind ein Beispiel, wie gut erzählte Geschichten die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden intensivieren können.
Wo Licht ist, ist auch Schatten und ein Schirrmacher
Die Content-Produktion wird zunehmend professionalisiert: In Unternehmen werden Newsrooms eingerichtet und mit Menschen besetzt, die das journalistische Handwerk verstehen. Inhalte werden geplant, professionell und medienspezifisch aufbereitet. Sie werden auch entsprechend vermarktet; ganz so, wie Medienhäuser das auch tun. Manche Anbieter gehen da durchaus in die Richtung einer »Vollberichterstattung«. Frank Schirrmacher, der streitbare Mitherausgeber der FAZ wies Ende vergangenen Jahres in einem viel beachteten und diskutierten Artikel über die »Zukunft des Journalismus« auf die blinden Flecken hin, die die Betreiber solcher Medienangebote naturgemäß haben werden: »Wir freuen uns schon, wenn Apple über die Arbeitsbedingungen in China berichtet oder Coca-Cola über die Segnungen der Globalisierung.«
Wer Schirrmacher dazu applaudieren möchte, sollte erst einen Blick in die Vergangenheit werfen. Der Zeitungsmarkt war immer schon geprägt von »Corporate Media«. Parteizeitungen oder kirchennahe Publikationen haben und hatten – ebenso wie die Unternehmensmedien – ihre blinden Flecken. In Österreich werden diese Medien teilweise auch mit Medienförderung bedacht. So erhielt etwa die Neue freie Zeitung, das publizistische Organ der FPÖ, im Jahr 2012 »Vertriebsförderung« in der Höhe von 46.067,60 Euro.
Die Schere im Kopf wird sichtbarer
Schirrmacher wurde von Martin Weigert zu seiner Aussage inspiriert. Der hatte auf Netzwertig.com argumentiert, dass bei Corporate Media die Interessenslage der Anbieter viel offensichtlicher sei als bei traditionellen werbefinanzierten Medien. Dort bringen Redakteure aus Rücksicht auf große Anzeigenkunden die eine oder andere Geschichte nicht, oder sie schreiben sie zumindest nicht so, wie sie es tun würden, müssten sie nicht auch auf die wirtschaftliche Situation ihres Arbeitgebers achten. »Anders als bei den verlagsgeführten Medien würde immerhin Klarheit über die existierenden Interessenkonflikte bestehen“«, so Weigert.
Ob es sich nun um neue Unternehmensmedien oder traditionelle Parteizeitungen handelt, die Antwort auf die Frage, wie sich Menschen ihre Meinung bilden sollen, ist heute wie damals die gleiche: Medienvielfalt. Wittenbrink weist etwa darauf hin, dass auch NGOs ihre Content Strategies entwickeln und sich als Verleger betätigen können. Auch Crowdfunding für journalistische Projekte kann zu eben jener Vielfalt der Angebote führen, die es für einen öffentlichen Diskurs braucht. Seit Kurzem gibt es mit Krautreporter.de eine derartige Finanzierungs-Plattform für den deutschsprachigen Raum.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Nicht nur die Antwort auf die Frage nach der Rolle der Medien für Meinungspluralismus ist schon seit vielen Jahren die gleiche, auch die Idee der Unternehmensmedien selbst ist alles andere als neu. Kunden- und Mitarbeiterzeitschriften gibt es schon eine ganze Weile und selbst unternehmensfinanzierte Online-Medien mit breiter Berichterstattung sind nicht unbedingt eine Erfindung der letzten zwei bis drei Jahre. So wurde etwa das Technologieportal Futurezone 1999 als gemeinsames Projekt von Siemens und dem ORF gestartet. Ob gut gemachtes Kundenmagazin traditioneller Machart oder umfassende Content Strategy neuerer Prägung: Im Grunde geht es immer darum, gute Geschichten zu erzählen.
Isabella Hofmann macht seit etlichen Jahren das Nivea-Magazin für Beiersdorf. Für die ehemalige Journalistin ist das Magazin ganz klar ein Teil der Marke, aber deswegen noch lange kein Werbemedium. »Ausgangspunkt für die Beiträge sind natürlich die Produkte. Um die bauen wir dann Geschichten, von denen wir glauben, dass die Menschen sie auch lesen wollen«, so Hofmann. Der neue Schlauch für den alten Wein nennt sich dann Storytelling. Es gibt zwei Dinge, durch die sich die neuen Schläuche auszeichnen. Erstens werden sie immer fester in der Kernstrategie der Unternehmen verankert und nicht mehr bloß als Add-on gesehen. Wittenbrink spricht in dem Zusammenhang von Content Strategy als »Designdisziplin«. Die Inhalte werden passend zum Unternehmen entwickelt und fügen sich in das Gesamtimage ein. Somit ist davon auszugehen, dass die Maßnahmen, die aus den Content Strategies resultieren, eine längere Halbwertszeit haben als etwa das seinerzeit viel gelobte Zukunftsmagazin .copy Magazin der Telekom Austria.
Neue Berufsbilder
Der andere bemerkenswerte Aspekt liegt in der Professionalisierung. An der Universität Leipzig kann man seit 2005 Unternehmenspublizistik studieren und auch an den österreichischen Universitäten und Ausbildungsstätten gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Das Web Literacy Lab an der FH Joanneum ist da besonders aktiv. Der Betrieb eines eigenen Newsrooms ist sicherlich die Königsklasse der Disziplin. Jedenfalls bieten immer mehr Unternehmen Jobs für Menschen, die journalistisch arbeiten wollen. Entweder sie beauftragen Verlage, das in ihrem Auftrag zu tun oder sie beschäftigen die Leute direkt. Für klassische Verlage wird das immer mehr zum lukrativen Business. Der deutsche Burda Verlag hat mit der Burda Creative Group einen Anbieter geschaffen, der seinem Selbstverständnis nach »journalistische Medienformate und Kampagnenideen für Unternehmens- und Produktmarken« entwickelt. In Österreich gehen der Falter-Verlag und auch Monopol, der Verlag, der dieses Magazin herausgibt, einen ähnlichen Weg. Handwerkliche Qualität und Kreativität gewinnt in diesem Metier jedenfalls immer mehr an Bedeutung. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass es nach wie vor zu wenig Geld für kritischen und unabhängigen Journalismus gibt.
Hier geht es weiter zu den Kurzporträts bemerkenswerter Beispiele aus Content Strategy, Content Marketing und Storytelling.