Der Auftritt des Electronica-Duos HVOB in der Kulisse des Wiener Konzerthauses sorgte für ein einzigartiges Crossover-Event, das dank akribischer Vorbereitung schon jetzt als eines der Konzerthighlights des Jahres zu zählen ist.
Es wäre interessant zu wissen, was Kaiser Franz Joseph und Richard Strauss sagen würden, wenn sie sehen und hören könnten, was heute, über 100 Jahre nach der Eröffnung, im Wiener Konzerthaus vor sich geht. Orientiert man sich am damaligen Grundgedanken – ein Musikhaus, in dem Tradition und Moderne nebeneinander stehen –, ist es jedenfalls nur folgerichtig, dass nun auch Gruppen wie HVOB diese Räume bespielen: Synthesizer statt Geigen, elektronische statt Kontrabässe, DJs statt Dirigent*innen.
Das Wiener Konzerthaus lebt diese Erneuerung der einstigen Grundidee schon seit einigen Jahren. Nachdem Camo & Krooked 2020 den Großen Saal mit dem weltweit ersten Drum-’n‘-Bass-Set mit Orchesterbegleitung bespielt und inzwischen auch internationale Elektronik-trifft-Klassik-Größen wie Nils Frahm die Location beehrt haben, ist es nur angebracht, dass sich nun auch HVOB in diese Liste eintragen. Dass sie der Herausforderung gewachsen sind, bewiesen sie am Samstag eindrücklich.
Musik verbindet
HVOB sind eines der besten Dinge, die der österreichischen Musikwelt im letzten Jahrzehnt – wenn nicht jemals – passiert sind. Dabei genießt das Duo hierzulande nach wie vor fast so etwas wie Geheimtippstatus. Immer wieder spricht man mit Leuten, die noch nie von der Band gehört haben oder zumindest nicht wissen, dass sie aus Österreich ist. Woher sie stammt, spielt ja auch eigentlich keine Rolle und ebenfalls nicht, wie man ihren facettenreichen Musikstil einordnen will. HVOB sind einfach da und HVOB sind einfach gut.
Wie gut, scheinen sie selbst nicht ganz zu realisieren. Denn Sängerin Anna Müller strahlt in ihren wenigen direkten Publikumsinteraktionen eine grundlegende Sympathie und Bescheidenheit aus, die nicht erahnen lässt, dass sie seit über zehn Jahren auf den größten und wichtigsten Bühnen der Alternative- und Elektronikszene steht. Und diese Stimmung überträgt sich auf das Publikum. Wenn man in die Gesichter schaut, so freuen sich alle mit der Band, alle genießen die Show, es herrscht eine gewisse Verbundenheit. Dazu kommt die Musik, in der man sich nur zu gut verlieren kann. Man bewegt sich zwischen dem losgelösten Schweben in musikalischer Ekstase und dem soliden Boden des gemeinschaftlichen Konzerterlebnisses.
Minimalismus in bester Form
Für all diese Höhenflüge kommen HVOB mit sehr wenig aus. Der Großteil der Songs wirkt unkompliziert aufgebaut, die Lichtshow beschränkt sich auf weiße Strahler und LEDs; alles mutet sehr minimalistisch an. Doch jedes Element, das man hört und sieht, ist genauestens durchdacht. Jeder Sound klingt höchst bewusst kreiert und platziert. Jeder Lichtstrahl wirft sein Licht genau dorthin, wo es nötig ist. Die Lichtshow wurde eigens für den Auftritt im Konzerthaus konzipiert. Die letzten Wochen verbrachte das Duo in einer Lagerhalle in einem kleinen Dorf irgendwo in Österreich und werkte dort an jeder Schraube und jeder Lampe, um das Licht perfekt auf die Show abzustimmen.
Aber auch der Ton kam in der Vorbereitung natürlich nicht zu kurz. Im letzten halben Jahr arbeiteten HVOB nämlich an neuen Songs. Zwei davon sind in der Setlist des Konzerthaus-Auftritts mit dabei. Einer so neu, dass er noch nicht einmal einen Namen hat, wie Anna Müller erklärt. Sie fügen sich jedoch in das Set ein, als wären sie schon immer da gewesen. Der erste der beiden eher klassisch minimalistisch, mit abwechslungsreichem Beat. Der zweite mit vollem Sound, der sich immer weiter aufbaut und aufbaut. Wir dürfen gespannt sein, in welcher Form es die Studioversionen dieser Tracks zu hören gibt. Ein neues Album ist bislang noch nicht angekündigt.
Der Rest der Songs liefert alles, was sich das Publikum wünschen konnte: von verträumten Electronica-Sounds in »Panama« oder »Cool Melt« bis hin zu Techno-Bangern wie »Butter« oder »Bruise«. Zusätzlich können sich langjährige Fans auch freuen, dass Tracks wie »Let’s Keep This Quiet« oder »Dogs« vom allerersten Album der Band nach wie vor ihren Platz haben.
HVOB produzieren nicht unbedingt Songs, bei denen man während des Radiohörens hängen bleibt, keine Songs, die einem Ohrwürmer verpassen, und teilweise nicht einmal Songs, bei denen man sich die Namen merkt. HVOB sind immer ohne die großen Hits ausgekommen. Das macht wahrscheinlich auch nach wie vor ihren Geheimtippstatus aus. Aber wenn man einmal drin ist, sich auf ihr musikalisches Universum einlässt, dann sorgt das für eine der besten musikalischen Erfahrungen, die man machen kann.
Kopf- und herzüber in die Emotionen
Es klingt sehr abgedroschen, aber HVOB nehmen einen immer wieder mit auf eine Reise. Eine Reise durch Lichter und Sounds, eine Reise durch Melancholie und wieder hinaus, eine Reise durch die Sinne. Man macht auf dieser Reise verschiedene Stationen mit, aber – um noch mehr abgedroschene Floskeln zu verwenden – am Ende der Reise war der Weg das Ziel. Konzerte von HVOB sind ein musikalisches und visuelles Gesamtwerk, an dem alles stimmt – so auch im Wiener Konzerthaus.
Dieses Gesamtwerk, diese Reise, sollten alle, die sich irgendwie für Musik begeistern können, einmal erlebt haben. Wer im Konzerthaus nicht dabei war, hat zumindest bald die Möglichkeit, das Konzert am Bildschirm nachträglich zu erleben. Ein Filmteam von Arte hat den Abend mitverfolgt, um es in der Reihe Arte Concert festzuhalten. Es bleibt aber zu hoffen, dass wir HVOB noch lange live erleben dürfen. Und hoffentlich bald auch wieder auf einem neuen Album.
Das Konzert von HVOB fand am 20. April 2024 im Wiener Konzerthaus statt. Die nächste Gelegenheit, das Duo live zu sehen, gibt’s im Rahmen des Festivals Tangente St. Pölten: am 7. Juli beim Open-Air-Konzert Pop am Dom.