Hybride Dinge und optische Wildsäue

Wie viel »Design« verträgt ein Club? Gute Frage, meinen die einen. Schlechte Frage, meinen andere. Antworten darauf gibt es jede Menge.

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Für die reinen, wahren, echten Musikkenner spielt Design natürlich überhaupt keine Rolle. Behaupten sie zumindest. Sie gehen in bestimmte Clubs, weil dort das gespielt wird, was sie interessiert. Nicht mehr und nicht weniger. Auf Nachfrage geben sie immerhin zu, dass auch die »Stimmung« und das räumliche Ambiente eine gewisse Rolle spielen. Man stelle sich vor, das Flex-Publikum müsste sich ab sofort im hell erleuchteten Musikvereinssaal treffen. Gerade im alternativen Bereich herrscht bekanntlich eine fanatische Vorliebe für heruntergekommene Locations (Bunker, aufgelassene Industrieanlagen, Kellergewölbe), die ja ihren Reiz haben können. Ihnen den zu nehmen, indem man eine Menge Tand und Trödel und Glitter hinzufügt, ist natürlich blanker Unsinn. Und so versteht man auch die lakonische Reaktion des Hamburger Golden Pudel Club auf unsere zarte Anfrage, ob man etwas zum Thema beisteuern will: »Aber wir haben doch gar keine Inneneinrichtung!« Zu Gestaltungsfragen könne und wolle man sich nicht äußern, denn: »Wir sind optische Wildsäue.«

Gut, dann fragen wir doch jemanden, der es wissen muss: Ben Kelly. Der britische Designer hat sich vor knapp 30 Jahren verewigt mit der Gestaltung des legendären Fac 51 Haçienda in Manchester, der im Umfeld des Labels Factory Records und dessen Gründers Tony Wilson sowie der Band New Order entstand. In der Musikgeschichte gilt The Haçienda unter anderem als Geburtsort des Rave, verewigt wurde der Club in dem Film »24 Hour Party People« von Regisseur Michael Winterbottom. »Er war nicht als Disco geplant, sondern als richtige Live-Location«, erinnert sich Kelly – und tatsächlich zeugen Fotos von dem bühnenartigem Charakter der Inneneinrichtung. In einem ehemaligen Yacht-Showroom untergebracht, erweckte er die grafische Welt der Factory Records – geprägt vom Grafikdesigner Peter Saville – zu einem dreidimensionalen Leben: Grau und Blau wurden als »coole« Farben eingesetzt, gemischt mit vitalem Orange. Mit subtilen, einfachen Mitteln wurden Bereiche voneinander abgegrenzt, die wie unterschiedlich genutzte Orte innerhalb einer Stadt funktionierten. Nicht zu vergessen die oft kopierte Beklebung der Säulen mit schwarz-gelben Sicherheitsstreifen.

Erst kürzlich hat Kelly wieder zwei Clubs (South und Fac-251) in Manchester gestaltet, letzteren davon ausgerechnet im ehemaligen Headquarter von Factory Records. Zahlreiche Anspielungen auf früher durften da nicht fehlen. »Auch wenn ich nicht glaube, dass das junge Publikum das überhaupt bemerkt«, lacht er. Für die Beurteilung aktueller Tendenzen bei Clubs in Europa fühlt sich Kelly nicht zuständig, dafür gehe er mittlerweile zu wenig in Clubs. Aber immerhin ein Begriff kristallisiert sich bei der Beschreibung seines Umgangs mit Clubräumen heraus: es sei mitunter ein »hybride thing« zwischen aktiver Gestaltung und dem Respekt vor vorhandener Substanz, zwischen Neuem und Altem. Und noch etwas verrät er: dass in Wien eines der Lokale steht, die ihn maßgeblich beeinflusst haben – der Rote Engel nämlich, Urgestein von Coop-Himmelblau. »It’s absolute fantastic«, meint Kelly und ist erstaunt, als er erfährt, dass es das Lokal nach 30 Jahren immer noch gibt.

Anti-Design

Da Kelly selbst schon seit ewigen Zeiten nicht in Wien war, kann er die Pratersauna gar nicht kennen, jene Location also, die hierzulande in jüngster Zeit wohl am meisten für Aufsehen gesorgt hat. Man sei absolut nicht auf der Suche nach einem Retro-Ort gewesen, beteuert Hennes Weiss, einer der Betreiber. Dass man auf die 1965 errichtete ehemalige Luxus-Saunalandschaft gestoßen sei, sei reines Glück gewesen. Den Charme der 60er und 70er Jahre galt es zu bewahren, man strebe eine Symbiose aus Altem und Zeitgenössischem an. »Wir arbeiten kaum mit Architekten, geben dafür jede Menge Künstlern die Möglichkeit, sich im Rahmen der Vorgabe zu verwirklichen bzw. zu präsentieren«, so Weiss. So hat das Künstlerkollektiv All-Austrian-Arts den Sanitärbereich mit 360°-Designs gestaltet, das Künstlerkollektiv Lichterloh wiederum habe mit seinem Konzept im Bereich Lights & Visuals europaweit Standards gesetzt. Seit diesem Sommer gibt es auch einen »PS ArtSpace« für temporäre Kunst-Präsentationen, wobei Werke mitunter in den Clubbereich hinüberwachsen oder nach Ausstellungsende bleiben könnten. Die wiederkehrende Veränderung des Raums schaffe Spannung fürs Publikum, das Interior Design entwickle sich damit ständig weiter, so Weiss.

Zu den beliebtesten Clubs im deutschsprachigen Raum zählt auch das 1999 eröffnete Robert Johnson in Offenbach, bei dem wiederum ein gänzlich anderes Konzept gefahren wurde: Antidesign nämlich, aber das auf hohem Niveau. Die Location erinnert eher an ein Wohnzimmer, denn an einen Club, die Möbel sind flexibel, es gibt einen Holzboden, eine schlichte Bar, weiße Wände, beim Licht beschränkt man sich auf die Grundfarben Rot, Grün und Blau. Den Gedanken dahinter beschreibt Gründer Athanassios Macias so: »Wir wollten einen offenen Raum ohne Firlefanz. Im Mittelpunkt steht bei uns die Musik. Während andere mehr als die Hälfte des Kapitals in die Lichtanlage investieren, war uns die Qualität der Musikanlage wichtiger. Wir wollten, dass die Leute nicht von Lichtkugeln, Spiegeln, Laseranlagen oder sonst etwas abgelenkt werden, sondern sich auf die Musik konzentrieren. Der Rest ist Nebensache. Wir haben hier ja auch keine Werbung, hinter der Bar sind keine Flaschen mit Alkohol aufgestellt. Wir wollen Musik spielen, nicht Alkohol verkaufen.«

Mit seinem Club hat Macias nicht nur der Szene neue Wege aufgezeigt, sondern sich auch seinen persönlichen Traum erfüllt. Er sei zehn Jahre lang überall auf der Welt in Clubs gewesen. »Ich hatte es satt, immer nur in den Keller zu gehen, in ein schwarzes Loch.« Daher wollte er das Gegenteil machen: Spartanisch, aber sauber und einladend. Immer wenn Leute ins Robert Johnson kommen und sagen »Aha, da ist ja nix!« – dann weiß Macias, dass er alles richtig gemacht hat.

www.benkellydesign.com

www.robert-johnson.de

www.pratersauna.tv

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