Hyperreality zwischen Club und Clubkultur
Seit letztem Jahr hat Wien ein eigenes Festival für Clubkultur und damit nicht nur drei Konzert- und Clubabende, die unterschiedlichste Strömungen experimenteller elektronischer Musik abdecken, sondern vor allem auch einen Raum für Entdeckungen und Diskurs, der dringend nötig ist.
von Yasmin VihausDas Programm enthält nur vereinzelt Acts, die häufiger am Programm Wiener Clubs auftauchen und auch das transportierte Feeling ist nicht jenes, das unabhängig von den Acts jedes Wochenende zahlreiche Feiertouristen unabhängig von den auftretenden DJs zur Pilgerfahrt nach Berlin und damit näher Richtung Mekka Berghain treibt. Das hat einerseits sicher damit zu tun, dass Club im Rahmen der Wiener Festwochen bis zu einem gewissen Punkt hochkulturtauglich präsentiert werden muss, andererseits aber auch mit der unterschiedlichen Auffassung davon, was das Erlebnis Club nun ausmacht. Das ist keine neue Entwicklung und so sehr ein Club ein Freiraum für Erwachsene sein kann, in dem gesellschaftlich festgefahrene Normen dekonstruiert werden, so sehr ist es auch ein Ort, in dem Musik als Kunstform rezipiert wird. Und genauso wie es ein Zufluchtsort vor Ausgrenzung sein kann, ist es für einige letztendlich auch ein Spielplatz, der zumindest vorwiegend aus hedonistischen Motiven besucht wird, in dem erst in zweiter Linie und nur neben der Auseinandersetzung mit vielleicht ohnehin schon bekannten Musikformaten über heteronormative Geschlechterrollen und die Diskriminierung marginalisierter Gruppen nachgedacht wird – auch wenn man das nur ungern zugibt. Das muss und sollte man den ClubgängerInnen aber nicht wirklich ankreiden, denn es unterscheidet sie nicht wirklich vom Rest der Gesellschaft – ein Festival für Clubkultur, das im Rahmen der Wiener Festwochen hingegen fast die Aufgabe hat, Bekanntes ein Stück weit zu dekonstruieren, um einen Blick über den eigenen Spielplatz hinaus zu ermöglichen.
Hyper.Text.Markup.Language
»Jeder Zeit ihre Musik, dem Club ihre Freiheit«, schreibt Hyperreality-Macherin Marlene Engel im Vorwort des Programmhefts zur Clubfestival-Schiene der Wiener Festwochen. Dabei stellt sich unweigerlich die nicht ganz einfach zu beantwortende Frage: In welcher Zeit leben wir musikalisch gesehen nun eigentlich? Die Musikwirtschaft wurde, unabhängig davon welches Genre man betrachtet, in den letzten Jahren durch die zunehmende Digitalisierung, die dadurch einhergehende Beschleunigung und die Globalisierung vor Herausforderungen gestellt, hat vielerorts finanziell darunter gelitten, ist aber gleichzeitig sowohl im kreativen Prozess als auch im Bereich der Verbreitung ein Stück weit zusammengerückt. Klassische Streaming- und Austauschplattformen wie Soundcloud oder Mixcloud, Videoformate wie Boiler Room oder Internetradios machen es nicht nur den NutzerInnen einfacher, Musik zu entdecken, sondern helfen auch MusikerInnen ohne strukturelle Unterstützung durch Management und Labels, ein größeres Publikum zu erreichen. »If video killed the radio star, then digital streaming is dancing on its grave«, schreibt etwa Claire Considine 2015 in einem Artikel über den Onlineradiosender NTS, der sich 2011 als Teil eines ganzen Netzwerks an neuen hyperlokalen Internetradiostationen wie Soho Radio, Berlin Community Radio oder Know Wave Radio ursprünglich zwischen BBC Radio 6 und DIY-Radio positioniert hatte und innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Reichweite hatte. Mittlerweile hat der Sender über 200 Hosts und sendet monatlich live von über 30 Städten weltweit.
Hy.brid
Von der durch die globale Vernetzung bescherten Unabhängigkeit von klassischen Vermarktungs- und Verbreitungskonzepten profitieren vor allem KünstlerInnen, deren Stil auf den ersten Blick vielleicht nicht in das Repertoire der Mainstream-Maschinerie passt, wie Shiva Feshareki, selbst Musikerin und Host bei Radio NTS, erklärt: »Gerade wenn wir von experimenteller Musik sprechen, hat das Internet massiv dabei geholfen, anspruchsvolle Musik einem Publikum näher zu bringen, das vielleicht, ohne es zu wissen, ohnehin nach dieser Art von Musik gesucht hat. Was einer breiten Hörerschaft zugänglich wird, ist nicht länger von Entscheidungen der Musikindustrie abhängig.« Feshareki, die eigentlich aus der klassischen Instrumentalmusik kommt und am Royal College Of Music in London promoviert hat, sieht in der ständigen Verfügbarkeit und der ständigen Möglichkeit, Neues zu entdecken, eine große Inspirationsquelle. Bei Hyperreality steht die britische Künstlerin gemeinsam mit dem Organisten Kit Downes auf der Bühne, abgesehen davon spielt sie in Clubs genauso wie in Galerien, Kirchen und Konzertsälen.
Bei ihren Auftritten werden zwei, drei oder vier Turntables gewissermaßen zu eigenen Instrumenten, die live dekonstruieren und neu zusammensetzen, damit Genregrenzen obsolet machen und gleichzeitig Sub- und Hochkultur miteinander verknüpfen: »Es ist vor allem dieses Zusammenspiel vieler verschiedener Subkulturen, das mich besonders reizt. In meiner Arbeit nütze ich diese Wechselwirkungen, um mit Veränderungen gewissermaßen zu kommentieren. Das ist auch der Grund dafür, warum es in einem großen Teil meiner Arbeit darum geht, bereits aufgenommenes Material zu verändern – das gibt meiner Musik nicht nur eine gewisse Fluidität, sondern zeigt auch, wie sich Sound in so vielen verschiedenen Arten verändern kann und damit neue Perspektiven bietet.«
Hyper.dekonstruiert
Dabei steht die Dekonstruktion von Genres vielleicht stellvertretend für eine Generation von MusikerInnen, die nicht mehr darauf angewiesen ist, ihre Musik für Medien und Industrie einzuordnen, um sie später an ein bestimmtes Publikum zu bringen und damit Bekanntheit zu erreichen und gleichzeitig nahezu alle technischen Möglichkeiten und eine unglaublich große Auswahl an Inspirationsquellen vorfindet. Das Wegfallen von klassischen Gatekeepern wie Industrie und Medien ermöglicht einen kontinuierlichen Austausch rund um den Globus und bringt Musik schnell – und durch diverse Algorithmen auch relativ zuverlässig – zu ihren HörerInnen. MusikerInnen brauchen heute als Ausgangspunkt nicht zwingend ein Label, nicht zwingend einen fixen Ort, ein Management oder ein Pressing, um Musik zu verbreiten. Diese Unabhängigkeit verändert auch die Musik, die dabei entsteht, wie Marlene Engel, Kuratorin vom Hyperreality erklärt: »Musik ist traditionell immer für bestimmte Räume komponiert worden. Die Frage, die sich stellt, ist, inwiefern das Post-Internet auch noch so stattfindet. Ich glaube, je weniger realen Raum es für Musik gibt, umso theoretischer wird Clubmusik. Man hat beim Produzieren weniger als früher einen bestimmten Raum im Kopf, on- oder offline. Das hat diese Musik formal und inhaltlich weiter vorangetrieben und die Grenze zur experimentellen Musik verschwimmt dabei auch tendenziell.«
Die Grenzen zur experimentellen Musik lotet die taiwanesische Soundkünstlerin Pon aus, die sich nach Erfolgen mit ihrer Indie-Band Shine & Shine & Shine & Shine, mit der sie zum J-Pop-Star avancierte, nun mit ihrem Soloprojekt Meuko! Meuko! auf Musik konzentriert, die nicht dem Markt gefällt, sondern viel mehr sie selbst als Künstlerin repräsentiert. Auch sie hostet monatlich eine Sendung bei Radio NTS und profitiert von ihrer Onlinepräsenz auf Soundcloud und bei Live-Streamings ihrer Performances. »Dass ich auf einem Festival wie Hyperreality spielen kann, ist für mich eigentlich unvorstellbar. Mir ist manchmal gar nicht bewusst, wie Leute meine Musik entdecken«, erklärt sie fast schüchtern und zeigt damit, wie fern Europa wirkt, wenn das Internet plötzlich nicht mehr als alles verbindendes Element fungiert. Für ihre Live-Shows experimentiert sie mit Vocals, aber auch mit dem Sound von modifizierten Spielzeugen, Samples von alten Tapes, oder Aufnahmen von Tiergeräuschen, bezieht ihr Publikum in ihre Show mit ein und macht damit aus ihrem Auftritt einen Performance-Act. Die Musik, die dabei entsteht, ist auf den ersten Blick vielleicht ein Stück weit entfernt davon, was gemeinhin als tanzbar empfunden wird, hört man sich Kollaborationen mit dem japanischen Footwork-Artist Foodman an, wird klar, wie sehr mehr oder weniger abgegrenzte Genres von experimentellen Einflüssen profitieren und wie vieles dann doch im Club funktionieren kann.
Seite 2: Wie sieht dieser Raum nun aus?