Mit Blur und den Gorillaz spielte sich Damon Albarn an die Spitze der Charts, mit Weltmusik und Opern überzeugte er auch die skeptischsten Kritiker. Nun veröffentlicht der 46-Jährige „Everyday Robots“, sein erstes Soloalbum. Ein Gespräch über die Orte seiner Kindheit, Liebeslieder und bohrenden Ehrgeiz.
Warum erscheint ausgerechnet jetzt ein Soloalbum, wo alle Welt auf eine neue Platte von Blur wartet?
Ich war in einer Band, ich war ein Cartoon, ich habe mit vielen verschiedenen Leuten in Afrika und sonst wo auf der Welt musiziert – das hat es mir nicht ganz einfach gemacht, eine Soloplatte aufzunehmen. Also habe ich es ein paar Jahre aufgeschoben. 25 Jahre um genau zu sein. Nun war es wohl einfach an der Zeit.
Trotzdem muss ich natürlich fragen: Werden Blur ein neues Album machen?
Nein, nicht im Moment. Die Reunion-Gigs im Hyde Park waren unfassbar toll – vielleicht die besten Konzerterlebnisse meines Lebens. Und wir haben auch letztes Jahr an vielen Orten gespielt, haben unser Herz und unsere Seele dafür gegeben. Aber es ist an der Zeit, die Fred Perrys mal für eine Weile in den Schrank zu hängen. Was schade ist, denn ich trage sie sehr gerne. (lacht)
„Everyday Robots“ ist ein Soloalbum, aber es sind doch wieder Gäste wie Brian Eno und Natasha Khan alias Bat For Lashes mit dabei. Geht es nicht ohne?
Es sind ja nur einige wenige und eher lokale Mitmusiker. Brian Eno ist zum Beispiel mein Nachbar. Das haben wir aber erst gemerkt, als wir uns im Fitnessclub über den Weg gelaufen sind. Ich fand es eine gute Idee, ihn auf „Heavy Seas Of Love“ singen zu lassen, was er ja eher selten tut. Mit meinem Produzenten Richard Russell war die Zusammenarbeit gut durchdacht. Ich wollte nicht beginnen, ohne eine Oberaufsicht dabei zu haben, die mich vor Dummheiten bewahrt. Denn wenn man die ganze Zeit mit sich selbst im Stand-by-Modus ist, kann man schon mal übers Ziel hinausschießen.
Man kann Einflüsse jener Projekte heraushören, die du zuvor gemacht hast – die Melancholie einiger Blur-Stücke, Beats wie bei den Gorillaz, Weltmusik-Einflüsse von deinen Afrika-Reisen.
Es ist der gleiche Maler mit einer anderen Palette von Farben, wenn man so will. Es gab auch in der Vergangenheit nicht nur einen Damon, es existierten vier bis sechs. Und nun sind es sogar sieben. Einer mehr!
Was genau kannst du diesmal ausdrücken, was vorher nicht möglich war?
Ich singe sehr viel über meine persönlichen Erfahrungen. Es ist eine sehr zärtliche, reflektierende Platte. Ich habe tief in meiner Vergangenheit gegraben, an Orten, die ein sehr emotionales Echo bei mir auslösen, bin zurückgegangen an die Plätze meines Erwachsenwerdens.
Welche Orte sind das?
Es sind die drei Orte, an denen ich bisher gelebt habe. Es beginnt in Leytonstone im Osten von London, wo ich als Kind bis zum Alter von neun Jahren zuhause war. Als ich dort jetzt aus der U-Bahn stieg, fühlte ich mich wie ein Riese im Land der Liliputaner, weil ich alles viel größer in Erinnerung hatte. Mein zweiter Wohnort war ein kleines Dorf namens Aldham außerhalb von Colchester in Essex. Und der dritte ist bis heute West-London.
Und diese Orte haben dich geprägt?
Besonders der erste. Ich wuchs im multikulturellen London der 70er auf. Die Gerüche, die aus den Küchen kamen, die Leute, mit denen ich in der Schule war, und die Musik, die aus den Kirchen drang, machten diesen Ort aus. Leytonstone war für mich das Fenster in andere Kulturen. In dem kleinen Dorf bei Colchester war es dann ganz anders. Dort fühlte ich mich wie ein Außenseiter. Alles war so konservativ. Aber dieser Ort hatte auch etwas absolut Englisches. Das und das Multikulturelle sind wohl meine größten Einflüsse.
Gibt es einen konkreten Ort, den du mit dem Erwachsenenwerden verbindest?
Oh ja, im Song „Hollow Ponds“ geschieht das sogar sehr bildhaft. Die Hollow Ponds waren früher Kiesgruben, die mit Wasser aufgefüllt wurden. Ich bin genau daneben aufgewachsen. Jeder, der im Osten von London wohnt, kennt diesen Ort. Er liegt ganz am Ende eines historischen Jagdgebiets. Vor 500 Jahren gab es dort nur Wald. Nun ist es das letzte Bisschen, was davon übrig ist, ein Auffangbecken für sehr traditionelle Londoner.
Was macht die Hollow Ponds so besonders?
Dort sind viele Krähen und Bäume. Alfred Hitchcock wurde in Leytonstone geboren und lebte dort. Er ließ sich vom Anblick der dunklen Vögel zu seinem Meisterwerk „Die Vögel“ inspirieren. Es sieht dort immer noch genau so aus wie früher. Und deshalb ist es ein Platz, der es wert ist, dass man über ihn singt; er hat einen weiten, kulturellen Kontext. Es geht mir immer darum, Verbindungen mit der Musik herzustellen. Der Song fängt also an mit meinen Erinnerungen an den Sommer 1976, als wir diese unglaubliche Hitzewelle hatten, und listet Dinge auf in der Reihenfolge ihres Geschehens – bis in die heutige Zeit hinein.