Wenn ein Act überall nur mehr gefeiert wird, stimmt doch etwas nicht. Aber gibt es überhaupt ein Entkommen vor dem Rudeljournalismus?
Man könnte meinen, 2014 war ein gutes Musikjahr. Österreichische Künstler waren so erfolgreich und gefragt wie nie zuvor, egal ob Conchita Wurst oder die "Rückkehr des Austropop", durch junge und gar nicht mehr so junge Wilde. Eines ist klar: Es gab keine zwei Meinungen zu Bands wie Bilderbuch, Wanda, 5/8erl in Ehr’n oder Kreisky.
Internationale Künstler wie FKA Twigs, Arca oder Perfume Genius waren sakrosankt. Auch im vermeintlichen Mainstream gab es einige Acts, die widerspruchslos überall abgefeiert wurden, allen voran Haftbefehl. Diejenigen Magazine, Blogs und Autoren, die das alles nicht so gut fanden, haben lieber gar nicht darüber berichtet, als dass sie sich schlecht über das eine oder andere Konsensalbum geäußert hätten.
Natürlich sind Musik-Hypes nichts Neues. War man vor ein paar Jahren noch skeptisch gegenüber jedem neuen heißen Scheiß, den uns vor allem der NME einreden wollte, werden heute Bands ohne Widerspruch abgefeiert. Und zwar solange, bis die nächste Band kommt, die widerspruchslos abgefeiert wird. Dass man sich getäuscht haben könnte, sieht man am ehesten noch am Jahresende in den Bestenlisten, wenn manches dann einfach fehlt.
They call it Rudeljournalismus
Das Phänomen gibt es nicht nur im Musikjournalismus. Auch in anderen Ressorts – von Wirtschaft über Politik bis hin zu Technik und IT – ist es so, dass sich Narrative bilden, von denen dann fast niemand mehr abweicht. Ist erst einmal klar, was man vom Schmierfink Puber, dem irre coolen Sebastian Kurz, vom korrupten deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff oder der bösen Musikhasserin Elke Lichtenegger halten soll, gibt es kaum ein Entrinnen. Ausgehend von zwei, drei Artikeln in Leitmedien springen andere auf den Zug auf. Niemand will ausscheren, niemand will mit einer falschen Einschätzung danebenliegen.
Die Gründe dafür sind vor allem den Bedingungen, unter denen Journalismus heute entsteht, geschuldet. Die Kulturindustrie hat kein Geld mehr. Das heißt, wenn man als Kulturjournalist einen Job findet – von einer Fixanstellung ganz zu schweigen, denn diese werden auch in Österreich größtenteils nicht ausgeschrieben, sondern an Freunde vergeben -, wird einem die eigene Austauschbarkeit vorgehalten, die Bezahlung ist prekär. Journalisten trauen sich auch dadurch nicht, Themen anzuschneiden, von denen sie im Vorhinein wissen, sie werden Probleme bereiten.
Das Internet hat unser Leben zerstört
Der größte Faktor aber, wie könnte es anders sein, ist das Internet. Klicks bestimmen das Schreiben. Und massig Klicks, das geht nur mit extremen Positionen, entweder ganz verächtlich oder übertrieben positiv.
Nur so kann eine Story viral werden. Nur so wird sie von den Bands selbst geteilt. "Man sieht ja gerade an vielen Beiträgen, dass Gegenmeinungen sehr viel geklickt werden. Wer morgen einen Artikel ‚Wanda sind der größte Scheiß‘ schreibt, kann sich der Klicks sicher sein, weil Menschen auf Facebook Dinge sharen, denen sie zustimmten oder die sie scheiße finden, aber nicht diese ausgewogenen Artikel", so Jonas Vogt, Chefredakteur von i>Noisey Alps. Wer will schon lange Texte lesen? Nicht nur im Musikbereich, wo ständig neue Bands durchs Dorf getrieben werden, auch sonst bleibt ein Thema immer kürzer relevant.
Artikel müssen möglichst schnell online gehen, möglichst zugespitzt. Heute Beef, da ein dummer Sager, dort ein peinlicher Auftritt, morgen ein Photoshop-Skandal. Da wird draufgeklickt. Denn Online herrscht der ungezügelte, freie Markt der Meinung. Kritische, differenzierte Berichte haben es im Netz schwerer. Solange sich jede einzelne Story neu behaupten muss und niemand für eine bestimmte Art von Journalismus zahlen will, wird das auch so bleiben. Man ist es gewohnt gratis bedient zu werden. Ein paar Videos, Interviews und Artikel lassen sich im Netz immer schnell finden.
Hier spielt die Musik
Ein paar Vorteile bringt das natürlich auch mit sich. Musikjournalismus war ja eher als elitär und kulturpessimistisch verschrien. Da schrieb man, um seine sieben Freunde zu beeindrucken. Diskurse wurden für Leute geführt, die sich auskennen. Früher waren Leserbriefe die einzige Möglichkeit, negative Berichte oder großkotzige Albumrezensionen zu hinterfragen.