Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Januar 2025. Mit Kratzen, Turbostaat, Heisskalt und mehr.
Turbostaat – »Alter Zorn«
25 Jahre Turbostaat, jetzt acht Alben Turbostaat. Die Northern-Punk-Heroen gönnten sich zwar nach dem letzten Album »Uthlande« eine bislang nie dagewesene Releasepause von fünf Jahren, klingen aber auf »Alter Zorn« so, als wären sie nie weg gewesen. Wer Turbostaat kauft, bekommt auch Turbostaat. Erneut von Moses Schneider – der auch das Plattencover ziert – produziert, präsentieren die Husumer wieder feinsten deutschen Punkrock, mit dieser unvergleichlichen Stimme sowie sanfter und verklausulierter Poesie. Inhaltlich – da nimmt es sich nichts von den Vorgängern – geht’s um die Vereinsamung in einer turbokapitalistischen Gegenwart, je nach Standpunkt als Realität oder Dystopie verstehbar, in der sich ebenjener titelgebende alte Zorn in die Lebensrealität vieler eingefressen hat. Ein uralter Missmut mit dieser Welt – aber, und das ist die eigentliche große Leistung: Nie alt und grumpy, nie besserwisserisch, nie moralinsauer, sondern immer aktuell wütend. Weil, ganz ehrlich, was für ein Gefühl ist denn sonst noch fühlbar?
»Alter Zorn« von Turbostaat erscheint am 17. Jänner 2025 via PIAS / Rough Trade. Live-Termine: 3. April, Wien, Werk. Hier kaufen.
Kratzen – »III«
Es gibt diese Alben, die gefühlt urplötzlich in diversen Jahresbestenlisten auftauchen, obwohl sie davor eher unter dem Radar liefen. »Zwei«, das letzte Album des Kölner Trios Kratzen, war genau so eines. 2022 war das. Musste sogar nachgepresst werden. Beim Nachfolger – typographisch inkonsequent, Achtung OCD, »III« benannt – gibt es dementsprechend keine Ausreden, die zwölf Songs der Krautwave-Pioniere gleich zum Releasetermin abzufeiern. Ihr Genre mag zwar eine Eigenkreation sein, ist aber das konzise formulierte Programm: Alles, was dir irgendwie an klassischem Krautrock immer zu vertrackt und auskennerisch-klandestin vorgekommen ist, reduzieren Kratzen auf einen etwas poppigeren Sound. Das heißt konkret: Ab und an Synthieflächen und repetitives, gar hypnotisches Schlagzeugspiel, aber eben auch ganz viel Wave-Pop mit Interesse an Gefälligkeit. Produziert von Olaf Opal geht das Drittwerk den Weg von »Zwei« weiter, ist dabei aber durchaus sozialkritischer: »Ist Geld allein schon ein Verbrechen? / Und wann wird der Konsum zur Tat?« heißt es etwa bereits zu Beginn des Albums. Wir können nur so viel versichern: »III« ist sicher kein Verbrechen.
»III« von Kratzen erscheint am 17. Jänner 2025 im Eigenvertrieb bzw. via Bandcamp. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Heisskalt – »Vom Tun und Lassen«
Kam doch alles ziemlich überraschend: Die Emo-Rocker Heisskalt hatten nach dem Gratis-Download-Album »Idylle« von 2018 – wir berichteten – eine Auszeit auf unbestimmte Zeit verkündet, um diese 2020 noch einmal zu verlängern (das geht). Im März 2024 dann wieder ein erstes Lebenszeichen, mittlerweile folgte auch schon eine Tour mit Stopp in Wien. Zudem gab’s in den sechs Jahren seit dem Vorgänger eine kleine Explosion auf Streaming-Portalen. Weshalb dieses Comeback in Albumform dann gar nicht mehr so überraschend ist. Als ziemlich chartorientierte Gruppe – Sellout-Vorwürfe begleiten Heisskalt ja seit jeher – klingt auch »Vom Tun und Lassen« recht massenkompatibel, ist aber stellenweise tatsächlich sehr ambitioniert divers: So klingt die Band streckenweise wie Jupiter Jones (etwa auf »Heim«), aber andererseits gibt’s dann auch wieder Screamo und Post-Hardcore (etwa auf »Mit Worten und Granaten«). Ob Heisskalt mit dem neuen Album und veränderten Gegebenheiten an alte Erfolge anknüpfen kann, bleibt offen. Aber immerhin probieren sie es.
»Vom Tun und Lassen« von Heisskalt erscheint am 24. Jänner 2025 via Munich Warehouse. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Larrikins – »Nichts ist jemals sicher«
Die Existenz im Turbokapitalismus ist eine fragile, der Kampf um den Ausbruch aus dem sogenannten Hamsterrad wohl der einzig legitime künstlerische Ausdruck, das Nicht-Funktionieren in einem gescheiterten System mittlerweile wohl alternativlos. Auch die Gruppe Larrikins aus Mecklenburg-Vorpommern, die bereits seit 2001 aktiv ist und ihr bereits sechstes Album in die Plattenregale der Republiken stellt, setzt sich mit dieser Falle des Kapitalismus auseinander. Die Band seziert die gesellschaftlichen Bescheidenheiten voller verführerischer Demagog*innen, trügerischer Heilsbringenden und verblendeter Wegweisenden, die ohnehin nur in die eigenen und soziale Verdammnis führen. Larrikins machen den täglichen Überlebenskampf zum Leitmotiv ihrer 16 Punk-Nummern. Diese bewegen sich in einem an sich eher spannend-weirden Spannungsfeld zwischen Metal, Punkrock und ganz ganz viel Popappeal, was sie aber nicht schlecht macht, sondern eben: spannend.
»Nichts ist jemals sicher« von Larrikins erscheint am 31. Jänner 2025 via Dackelton Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Wonach wir suchen – »Mauern«
(VÖ: 10. Januar 2025)
Ursprünglich als klassische Liedermacher-Punks gestartet, sind die Leipziger seit geraumer Zeit zum Quartett gewachsen und präsentieren auf ihrem mittlerweile vierten Album schönen Indie-Punk mit ziemlich immeraktuellen Themen: Da geht’s um mentale Gesundheit, gesellschaftliche Spaltungen und (fehlende) Selbestreflexion – also quasi die titelgebenden Mauern in den Köpfen. Musikalisch ist das tatsächlich recht gefällig und tatsächlich auch recht poprockig. Hier kaufen, keine Termine in Österreich.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.