Die Zeit ist Now

Die letzten beiden Jahre waren rasant, ihre Entwicklung ist erstaunlich: Bilderbuch zertrümmern mit ihrem dritten Album "Schick Schock" gläserne Decken und ergründen neue Universen.

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20. Dezember 2014, noch genau zwei Monate bis Album-Release. Im Auge des Hypes ist es ziemlich relaxed. Ein wenig verschlafen sitzt Bilderbuch-Frontmann Maurice Ernst, der angeblich bestangezogene Mann des Landes, im Erdgeschoss eines Nightliner-Busses zwischen irgendwo im Nirgendwo und Wien. Am Vorabend hat die Band das letzte von rund 75 Konzerten dieses Jahres gespielt, Casper hatte zu seiner ebenso alljährlichen wie natürlich ausverkauften "Zurück Zuhause"-Show geladen. Das war ein Fest – Kmpfsprt, Bilderbuch, K.I.Z., Casper und über 2.500 ziemlich enthusiasmierte junge Menschen.

Es spricht für die Unglaublichkeit des Bilderbuch-Jahres, dass der Ringlok-Schuppen in Bielefeld eine der kleineren Hallen war. Und überhaupt, das umjubelte Heimspiel im Wiener Brut, eine Handvoll Casper-Supportgigs, Amadeus Award, Eroberung der Donauinsel, eine Menge Festivals und gerade erst liegen sechs Tourwochen durch die großen Hallen der deutschsprachigen Welt als Support der Beatsteaks hinter dem Quartett. Es hat sich vieles verändert bei Bilderbuch, seit die Band vor zwei Jahren mit der Arbeit an dem Material begonnen hat, das sich nun in Albumform einen Platz in der Musikgeschichte suchen darf.

Freispiel

Wir trinken Kaffee, über die Anlage des Nightliners laufen Bilderbuch-Demos, die im Zuge der Album-Produktion entstanden sind. Ein roher Beat bahnt sich da seinen Lauf, ein Gitarrenriff entspringt, zuckt, funkelt und schwingt sich in die Höhen, Stampfen, etwas verwaschener Gesang setzt ein – "Da ga da".

"Die Nummer war eine der ersten, an der wir damals begonnen hatten zu arbeiten. Es war eine harte Entscheidung, sie nicht ins Studio mitzunehmen, sie war uns dann aber doch ein bisschen zu Indie", sagt Maurice und schaut aus dem Fenster, wo die Sonne zwischen den Wolken über Bayern blinzelt. "Wenn wir wieder zu Hause sind, werden wir schauen, dass wir an diesen Prozessen wieder anschließen. Wir waren megakreativ in den letzten zwei Jahren."

Es war Anfang 2013, als Bilderbuch – Maurice Ernst (Gesang, Gitarre), Peter Horazdovsky (Bass, Keyboards), Michael "Mike" oder "Mizzy" Krammer (Gitarre) und Philipp "Pille" Scheibl (neu am Schlagzeug) – mit der Arbeit an neuer Musik begannen. Nicht unbedingt mit dem definierten Ziel, ein Nachfolgealbum von "Die Pest im Piemont" von 2011 zu erarbeiten, wie mir Maurice damals schon erzählte, dafür mit vollkommen neuen Arbeits- und Herangehensweisen.

"Irgendwie hat das große Ganze davor nicht mehr gestimmt. Es waren einige Instrumentaltracks da, aber wir haben für uns gemerkt, dass eine Zeit des Umbruchs ansteht. Einige von den neuen Songs haben für uns damals schon alt geklungen, auch wenn welche dabei waren, die vielleicht Potenzial gehabt hätten. Aber so wollten wir das nicht machen", sagt Peter, der sich mittlerweile zu uns gesellt hat.

Also haben sie es nicht gemacht. Mit dem neuen Schlagzeuger – gekannt hatten sie Pille schon länger, so ging die Eingewöhnung ziemlich fix – begann die Band anstatt aufzunehmen also zu tüfteln und zu experimentieren. Alle gemeinsam, jeder auch für sich. Eine umfangreiche Soundbibliothek entstand, in der wild Experimente abgelegt wurden, aus der sich jeder bedienen durfte, um weiter-, aus- und wo auch immer hinzuspinnen. So etwas braucht Zeit. Viel Zeit. Der bewusste und kollektive Entschluss, sich in Zukunft alle Zeit zu nehmen und ebenso viel Konzentration der Sache zu widmen, fiel bald und einstimmig. Auf der Uni war seitdem keiner mehr.

Gelb, gelb, gelb ist alles

Und irgendetwas ist in dieser Zeit noch passiert. Da wurden nicht nur die adrett geschnittenen Pullover, Herrenhosen und Lederschuhe ausgetauscht, mit denen Bilderbuch früher wie eine feinere Studentenband gewirkt hatten. Gegen feinste Seide und Halsketten, gegen schicke Sonnenbrillen, bunte Tropenmuster und kurze gelbe Hosen. Auch Sänger Maurice sah früher ein wenig aus wie ein Klosterschüler, der er mal tatsächlich war. Er war beim Friseur. Wobei, eigentlich nicht. Die Oma war’s, in der Nacht vor dem Dreh zu "Plansch", nachdem Maurice seinen bereits schließenden Friseur bekniet hatte, ihm die Bleichpaste doch bitte wenigstens mitzugeben. Eine von diesen Kreuzungen, an denen die Band retrospektiv gesehen richtig abgebogen ist.

Bild(er) © Illustration: Bernhard Kettner, Nikolaus Ostermann; Fotos: Nikolaus Ostermann; Bilderbus: Pille (Schlagzeug), Christoph Kregl (Management), Maurice (blonde Haare), Peda (Bass) im Bilderbus beim Welterobern
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