In „Das ist unser Land!“ zeigt der belgische Regisseur und Schauspieler Lucas Belvaux die Mechanismen des Rechtspopulismus. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.
Pauline Duhez (Émilie Dequenne) arbeitet als selbstständige Krankenschwester im Norden Frankreichs. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, zu ihrem pflegebedürftigen Vater hat sie eine schwierige Beziehung, für die Liebe fehlt ihr die Zeit. Als der väterliche Freund und Arzt Philippe Berthier (André Dussollier) sie davon überzeugen will, für eine aufstrebende rechte Partei als Bürgermeisterin zu kandidieren, zögert sie. Zunächst.
Im Interview zu seinem Film „Das ist unser Land!“ erzählt Regisseur Lucas Belvaux von den Mechanismen, die sich rechte Parteien zunutze machen, warum diese nun vermehrt auf Frauen setzen und wie sich Paris in den letzten 30 Jahren verändert hat.
Rechte Parteien sind in vielen Ländern im Aufschwung. Wann hatten Sie das erste Mal die Idee einen Film über die Mechanismen des Rechtspopulismus zu drehen?
Es ist schon lange her, dass ich Lust auf dieses Thema hatte. Herauskristallisiert hat es sich aber erst, als ich meinen letzten Film in derselben Region (im Norden Frankreichs; Anm. d. Red.) gedreht habe. Dieser erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden Frisörin und eines Philosophen, der eigentlich aus Paris kommt, aber ein Jahr im Norden Frankreichs verbringt. Und wir haben damals zum Zeitpunkt der Regionalwahlen gedreht. Das war 2014. Spannend war, dass sich bei damaligen Umfragen herausgestellt hatte, dass 30 bis 50 Prozent der Menschen dort Front National wählen. Wenn wir 200 Statisten hatten – und das waren äußerst freundliche Menschen, durchschnittlich intelligent, einige von ihnen hatten uns ihre Häuser während der Dreharbeiten zur Verfügung gestellt –, wussten wir nun, dass es einen gewissen Prozentsatz gab, der Front National wählte. Und dann habe ich mich selber gefragt: Wen würde die Figur der Frisörin aus meinem Film wählen? Und als ich mir ihr Leben und ihre Umstände ansah, merkte ich, dass die Chancen sehr gut standen, dass sie ebenfalls den Front National wählen würde. Das hat mich so sehr beunruhigt, dass ich wusste: Darüber muss ich einen Film drehen.
Ihr Film stellt vor allem die Frauenfiguren in den Mittelpunkt und auch einige rechte Parteien wie etwa der Front National und die AfD haben Frauen als Spitzenkandidatinnen aufgestellt. Warum sind rechte Parteien nun vermehrt an Frauen als Chefinnen interessiert?
In Frankreich ist das natürlich eine Ausnahme, da es ein feudales System ist. Marine Le Pen ist ja die Tochter von Jean-Marie Le Pen. Grundsätzlich gibt es aber zwei Gründe: Der erste Grund ist, dass Frauen als Personen wahrgenommen werden, die Vertrauen vermitteln, die sanft wirken; diese Attribute werden Frauen zugeschrieben. Daher ist es für rechte Parteien wichtig, Frauen zu beschäftigen, damit sie den Wählern die Angst vor der Partei nehmen. Frauen sollen Sanftheit bringen. Der zweite Grund ist, dass rechte Parteien eine anti-islamische Message senden wollen. Sie sagen dadurch: Wir stellen unsere Frauen an die vorderste Front, während die Muslime sie verschleiern. Das geschieht aber auf einer viel subtileren Ebene. Das ist eine beängstigende Zerspaltung insofern, als dass man in Frankreich Feministinnen der 1960er- und 1970er-Jahre sieht, die heute rechtsextremen Parteien angehören.
Sie haben über Ihren Film in einem Interview gesagt: „Mein Ziel war es, den Aufstieg einer Partei und ihre Versuche, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, darzustellen.“ Mit welchem Gefühl sollen die Zuseher den Kinosaal nach dem Film verlassen?
Ich wollte nur die objektive Realität zeigen. Es geht um Gewalt. Es geht darum, dass verbale Gewalt zu körperlicher Gewalt führt. Die Szene, in der das Plakat der weiteren Kandidatin abgerissen wird, das ist der Schauspielerin tatsächlich passiert, nur noch viel drastischer. Diese Ausschlussmechanismen, die da passieren, das ist Alltag in Frankreich.
Der Front National zeigte sich nicht besonders begeistert von Ihrem Film. Haben Sie sich beim Schreiben oder beim Drehen schon gefragt, wie der Film von Marine Le Pen und dem Front National aufgenommen werden wird?
Sorgen habe ich mir deswegen keine gemacht, Gedanken darüber aber schon. Ich wusste, dass sie so reagieren werden, das war keine Überraschung für mich. Den Schreibprozess hat das aber überhaupt nicht beeinflusst.
Wie sind Sie beim Schreiben der Figuren vorangegangen? Ist es Ihnen eher schwer oder leicht gefallen, diese Figuren zu schreiben? Besonders hinsichtlich der Tatsache, dass diese durchaus komplex sind.
Es war überhaupt nicht schwer, sie so zu zeichnen. Für mich war es wichtig, die Figuren überhaupt erst einmal lieb zu gewinnen, um ihnen dann ihre Fehler zugestehen zu können. Es war ebenso wichtig für mich, dass ich die Figuren nicht bewerte. Ich bin kein Richter. Mein Ziel ist es, ein Kino zu machen, in dem die Zuseher selbst reflektieren. Ich will kein autoritäres Kino.
Und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Jérôme Leroy? Was konnte er beim Verfassen des Drehbuchs beisteuern?
Jérôme Leroy hat das Buch „Le Bloc“ geschrieben, er hat eine besondere Weise, wie er das Politische in das Intime einfließen lässt, seine Sichtweise ist sehr fundiert – und das war sein Beitrag. Er stammt auch aus der Gegend, in der der Film spielt. Er hat selbst in unterschiedlichen Gymnasien unterrichtet, ist politisch links aktiv und kennt die Szene in der Region.
Zuerst ist die Hauptfigur Pauline nicht besonders angetan von der Idee, politisch aktiv zu werden. Sie bezeichnet sich selbst sogar als unpolitisch. Auch während des Films merkt man an einigen Stellen, dass sie die Ansichten der Partei nicht wirklich vertritt. Wieso hat sie sich dann doch überreden lassen?
Das sind Techniken, ähnlich jenen von Sekten, weil diese Parteien verstehen, den neuen Personen wertsteigernde Attribute zuzuschreiben. Etwa Menschen mit schlimmen Schicksalsschlägen oder Leuten, die schwere Umbrüche in ihren Leben durchmachen. Diesen Menschen sagen sie, dass genau sie gebraucht werden. Dabei sprechen sie anfangs oft gar nicht von Politik im eigentlichen Sinne. Der Beruf der Krankenschwester ist in diesem Sinne auch interessant: Sie arbeitet da mit einer gewissen Zerbrechlichkeit, sie muss sich körperlich und sozial ins Leiden der anderen einfühlen. Andererseits ist der Beruf auch einer, der unglaublich viel Engagement braucht, dafür benötigt man eine gewisse Berufung. Die Partei verwendet das und sagt: Mit uns kannst du noch viel mehr erreichen.
Im Film bestimmen die politischen Ansichten der Figuren auch deren Beziehungen. Ein Umstand, der sich vor allem in der Beziehung zwischen Pauline und ihrem Vater, einem Kommunisten, zeigt. In einer dramatischen Szene, als er davon erfährt, dass seine Tochter für eine rechtspopulistische Partei antreten wird, macht er seine Enttäuschung ihr gegenüber deutlich. Auch das andere Paar im Film zeichnet sich durch unterschiedliche politische Überzeugungen aus. Inwiefern können Beziehungen funktionieren, wenn Menschen so unterschiedliche politische Ansichten haben?
Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt funktionieren kann. Ich glaube, wenn es in Familien oder Beziehungen so unterschiedliche politische Ansichten gibt, dann ist es am besten, das Thema Politik komplett auszuklammern. Wir können aber auch den Blickwinkel verlagern und sagen, dass es vielleicht genau das Affekthafte ist, das ausschlaggebend dafür ist, dass man sich so und so politisch positioniert. Wäre Pauline aus einer anderen Familie gekommen, wäre sie vielleicht anders politisch sozialisiert worden. In der Szene zwischen Vater und Tochter ist es ja auch so, dass sie auf alle seine Argumente affekthaft antwortet. Auch beim Ehepaar spürt man: Das, was die Beziehung auseinander bringt, ist schon viel älter. Die Tatsache, dass sich die Frau dann politisch rechtsextrem engagiert, das ist wie eine Art Neurose.
Sie waren auch als Schauspieler tätig. Inwiefern hat das Ihre Art Filme zu machen beeinflusst?
Das beeinflusst mich sehr, vor allem der Umgang mit den Schauspielern, aber auch mit der Crew. Die Schauspielerei ist vor allem eine körperliche Tätigkeit, und wenn man unterschiedliche Rollen gespielt hat, dann hat man auch genügend Erfahrung, um die Schauspieler zu verstehen, auf sie einzugehen, aber auch, um sich nicht von ihnen einwickeln zu lassen. Das erlaubt es mir dann außerdem, viel anspruchsvoller zu sein.
Sie sind Belgier und erst später nach Frankreich gekommen. Wie hat sich Frankreich Ihnen damals präsentiert und wie nehmen Sie Frankreich heute wahr? Hat sich das Land aus Ihrer Sicht sehr verändert?
Es hat sich viel verändert, alles ist nun anders als vor 30 Jahren. Das Leben damals war viel einfacher. Zum Beispiel hat man früher in Paris viel einfacher eine günstige Wohnung bekommen. Heute leben die Leute entweder außerhalb oder in Wohngemeinschaften. WGs hat es früher nicht einmal gegeben. Es war auch viel, viel einfacher Zutritt zum Filmbusiness zu bekommen.
Trump, Brexit, die diesjährigen Wahlen in Deutschland und Frankreich – die Liste der derzeit heiß diskutierten Politikthemen ist lang. Welchen Beitrag kann Kultur da leisten?
Langfristig gesehen, kann Kultur sehr viel verändern. Die Kultur hat den Menschen besonders tief gehend verändert. Wenn wir anfangen bei Homer, Shakespeare und Molière – es ist die Kultur, die das Individuum verändert hat. Und im Zuge dessen hatte die Kultur auch immer Auswirkungen auf die Politik. Aber leider haben wir auch immer bemerkt, dass die Kultur nicht imstande ist, alles zu ändern. Wir haben das etwa im Deutschland der 30er-Jahre oder in Jugoslawien, aber auch in Frankreich zu unterschiedlichen Zeiten gesehen.
Und nun noch eine klassische Abschlussfrage: Wie sehen Ihre weiteren beruflichen Pläne aus?
Die Antwort ist nicht klassisch: Ich habe keine Zukunftspläne. Es ist das erste Mal seit 25 Jahren, dass ich kein neues Filmprojekt geplant habe. Das ist vielleicht mein letzter Film.
Das ist nun ein dramatisches Ende für ein Interview.
Ja, es ist ein Drama für mich (lacht)!
„Das ist unser Land!“ ist ab 1. September 2017 in den österreichischen Kinos zu sehen.