Der ORF als Nutztier – ausgefressen, ausgeschlachtet oder filetiert? Vier Experten-Interviews zur Zukunft von Public Value in Österreich.
Orf Interview - Karmasin
Was ist die zentrale Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesellschaft? Zuerst ist das die politische Bildung, die Darstellung der Mächtigen, zweitens die Qualitätsunterhaltung, die kulturelle Identität. Diese Grundfunktionen jenseits von Quoten und Werbung wird man auch in 20 Jahren noch brauchen, unbestreitbar. Von der technischen Entwicklung hängt hingegen ab, ob das Angebot in dieser Form existieren wird – ob es noch Kanäle gibt, oder ob konvergent, mobil, plattformunabhängig alles ineinanderfließt, ist offen. Wie finanziert sich das öffentlich-rechtliche System dann? Es gibt nur zwei Modelle: Gebühren oder Steuern. Natürlich stellt sich bei letzteren die Frage nach der Gerechtigkeit: Ich zahl' auch Steuern und fahr' nie mit der U-Bahn, ein anderer zahlt sein Leben lang Krankenversicherung und muss nie zum Zahnarzt. Im öffentlich-rechtlichen Bereich sind Steuern vielleicht schwieriger zu argumentieren, weil auch das kostenlose TV-Angebot einzelne Funktionen erfüllt. Gebühren werden also noch auf einige Zeit das dominante Modell bleiben. Und dass es den ORF vielleicht nicht mehr gibt, ist nicht vorstellbar? Die Frage ist: Wollen wir das als Gesellschaft? Die Frage stellt sich immer, in der Bildungspolitik, in der Umweltpolitik, in der Medienpolitik. Und qualitätsvolle Öffentlichkeit herzustellen ist immer wichtig. Das parteipolitische Interesse bleibt dann ja aber auch bestehen? Ja, aber das verkennt das Problem: Dass Politiker Posten besetzen ist ja eine Verfallserscheinung. Bloß weil ich keine Professorenposten in der Uni besetzen kann, ist nicht gleich das universitäre System in Frage zu stellen. Andererseits: Ja, abnehmende Quoten senken die Korrumpierbarkeit des Öffentlich-Rechtlichen. Wenn die Quoten sinken, sinkt die Versuchung der Politik, hineinzuregieren. Das ändert dann aber wiederum etwas an der Finanzierung ... Ich denke, es wird auch in 20 Jahren eine Mischfinanzierung aus Werbung und Gebühren geben. Die Gefahr existiert natürlich immer: Warum soll nicht gleich Raiffeisen den ORF übernehmen und ein G'schäft daraus machen? Einzige Überlebenschance ist, das anzubieten, was andere nicht anbieten. Denn der Spagat des ORF, ein gebührenfinanzierter Privatsender und Qualitätssender zu sein wird nicht funktionieren. Auch die Quote wird sinken. Wie tief? Ich rechne 2031 mit einem Marktanteil von 13 bis 15 Prozent. Wird die EU den ORF weiterhin in seinem Angebot beschränken? Aufgrund der Konvergenz wird man die regulatorisch strikte Trennung der einzelnen Medienkanäle aufgeben müssen. Wodurch genau zeichnet sich Public Value aus? Neben einer bestimmten Form von Information, Kultur, Programm für gesellschaftliche Minderheiten, ist das auch eine bestimmte Form von Unterhaltung – jedenfalls nicht Sozialpornos wie ATVs „Saturday Night Fever“, denn bei Public Value geht es vor allem um Menschenwürde. Dabei darf man die Öffentlich-Rechtlichkeit prinzipiell nicht auf Kategorien wie eben „Information“ oder „Fernsehen“ beschränken. Es handelt sich um eine Qualität, ganz plattformunabhängig. Muss ein Lokal-, in unserem Fall: Österreichbezug bestehen? Nicht unbedingt. Das ist häufig ein Geschäftsmodell. ATV etwa wäre bescheuert, wenn es eine Soap über deutsche Bauern machen würde. „Dancing Stars“ ist zwar ein BBC-Format, aber die Teilnahme von Alfons Haider ist österreichisch, den kennt schon in Deutschland keiner mehr. Wie sehr soll der Rezipient am „Medienmachen“ teilnehmen? Partizipatives hat sich im Radio etabliert, Ö1 ist da eine Zukunftsbenchmark. Dort wird die Community aktiv ins Programm einbezogen. Und natürlich kann man alles, was jetzt per Telefon abgewickelt wird, auch in Social Media denken. Aber die partizipative Content-Erstellung, die Auflösung der klassischen Sender-Empfänger-Beziehung betrifft nicht nur Öffentlich-Rechtliche – das ist ein Trend der ganzen Branche. Und im Mediengeschäft machen ja immer alle alles nach, die Frage ist nur das Wie. Wenn die Autoindustrie so abkupfern würd', wie die Medien, würden alle einen Golf fahren. Technische und soziale Lösungen werden immer die ganze Branche betreffen. Aber die Qualität macht den Unterschied. Wenn die nicht geliefert wird, dann ist das Privileg der Gebührenfinanzierung nicht gerechtfertigt. Was ist vom in den USA häufig genannten Trend der „Disintermediation“ – einzelne Stationen in der Nachrichten-Wertschöpfungskette fallen weg – zu halten? Da bietet sich Red Bull als Beispiel an: Es ist sehr plausibel, dass jedes Unternehmen irgendwann im Content-Business ankommt. Manche sind da expressiver, manche weniger. Red Bull ist mit seinem Geschäftsmodell sehr offensiv. Auch andere erkennen das: Welches Unternehmen ist nicht auf Facebook, wer twittert nicht? Die Relation von Unternehmen und Gesellschaft wird sich verschieben. Die Disintermediation bedroht dabei eher die Werbewirtschaft; sie macht nicht den Journalismus obsolet. Der ORF etwa kann sich von Servus TV was Public Value betrifft eine Schnitte abschneiden. Aber wie kann man diesem „Public Value“ dann noch vertrauen? Genauso wie der Corporate Social Responsibility-Strategie eines Pharmakonzerns: Auch da gibt’s welche, die sehr ernsthaft daran arbeiten, und welche, die sagen, das ist schick. Prinzipiell wird ein kritisches Misstrauen den Medien gegenüber immer wichtiger. Schon jetzt muss man sich fragen: Wer sagt mir, dass der Gatekeeper-Journalist im Öffentlich-Rechtlichen nicht auch seine Seilschaft begünstigt? Bei Red Bull wird eben Berichterstattung über andere koffeinhaltige Erfrischungsgetränke unterdrückt. Aber auch in Corporate Media existiert durchaus guter Journalismus, etwa im „Visa-Magazin“ des Falter-Verlags. Der Pauschalschluss Intermediation = Qualitätsverlust funktioniert nicht. Muss also Medienkompetenz, Media Literacy verstärkt gelehrt werden? In 20 Jahren ist das Wissen, gefakte, gespinnte Nachrichten zu erkennen, zu decouvrieren viel wichtiger. Diese Wichtigkeit wird im Moment nicht erkannt. Medienkompetenz müsste als Schulfach Teil der politischen Bildung sein.
ORF Interview - Martin Thür
»Niki Lauda hätt’ sofort 50.000 Follower«
ATV-Reporter Martin Thür lebt Brecht: Für seine
journalistische Arbeit nutzt er das Publikum als Ressource.
Ist twittern nur Spaß?
Ich sehe das Twittern als Teil meines Jobs. Für meine Produktion habe ich aufgehört zu trennen – ich arbeite nicht nur für TV, sondern auch für Twitter. Ist es für Journalisten ein Mittel, sich als Marke zu etablieren?
Eher für Politiker: Schwarzenegger twittert Fotos von seinem neuen Elektromobil. Kanzler Faymann twittert übrigens ab Herbst, Angelika Feigl (verheiratet mit Krone-Innenpolitikchef Claus Pándi, Anm.) plant derzeit seinen Social-Media-Auftritt.
Warum twitterst du?
Ich krieg’ von Twitter genauso viel zurück, wie ich gebe, etwa Hinweise für Interviews. Und es ist ein Feedbackkanal. Auch Armin Wolf macht seine Sache sehr gut, er hat aber auch deshalb die meisten Follower, weil in Österreich – anders als in den USA – Stars wie Niki Lauda nicht twittern. Der hätt’ sofort 50.000 Follower.
Lässt sich Social Media-Kommunikation strukturieren?
Facebook ist der Meinungskanal, Twitter der für Information. Nachrichtenmedien sollten tatsächlich strategisch auswählen: Welche News kommen auf Twitter, welche auf Facebook?
Wo liegen die künftigen Berufsbilder und Aufgaben jenes
Radio / TV-Journalismus, der sich um Public Value bemüht?
Im österreichischen Privat-TV ist nicht alles Gold, aber es gibt Spaßfelder. Für meine Generation bis ca. 35 etwa ist es kein Ziel mehr, beim ORF zu arbeiten. Wo soll der dann aber Innovationen hernehmen? Und wo ist sein österreichischer Content? Bei ATV muss jede Eigenproduktion einen Österreichbezug haben – das fehlt mir in der ORF-Unterhaltung.
Dabei hat der ORF neun Landesstudios …
… und was macht er draus? 20 Minuten täglich, über das Heurigenfest in Grafenwörth. Die Regionalität soll immerhin beim geplanten ORF-Frühstücks-TV eine Rolle spielen. Im ORF ist das zu verwaschen! Die flüchten in irgendwelche zugekauften Formate.
Wie denkst du über die Zukunft von TV insgesamt?
Große TV-Events wie »DSDS«, Fußballspiele, Nationalratswahldebatten – die bleiben wichtig. Für Tagesaktuelles wird es schwieriger, Relevanz zu erzeugen, das verschwimmt zu sehr mit den News, die jeder von uns im Web aufschnappt.
twitter.com / martinthuer
ORF Interview - Sylvia Egli von Matt
Fünf Zukunftsperspektiven des
Berufsbildes »Qualitätsjournalist«
von Sylvia Egli von Matt, Direktorin der renommierten
Schweizer Journalistenschule MAZ:
1
Mehrmedialität und Konvergenz: Neue Kommunikationsmöglichkeiten und Arbeitsabläufe verändern den Journalismus – der wird immer schneller und anspruchsvoller. 2
Dialog mit dem Publikum: Gefragt ist die offene Haltung, diesen zu führen. Journalisten sind nicht mehr Gatekeeper, sondern Moderatoren eines Dialogs. 3
Visualität: Bild- und Infografik-Kompetenz, das Verständnis für gute Fotografie und Video werden wichtiger. 4
Weg vom stillen Kämmerlein: Journalisten müssen bessere Teamplayer werden. Sie müssen die Intelligenz der (internationalen) Kollegen, Leser (Crowd Sourcing), etc. anerkennen. 5
Entrepreneurship: Lebenslängliche Festanstellungen sind nicht mehr möglich / erstrebenswert. Unternehmerisches Denken in Netzwerken ist gefragt, viel Potenzial steckt hier im Lokalen.
Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich
»Was mit Medien« wollen viele studieren, seit einigen Jahren gibt es praxisnahe Alternativen zum Publizistik-Studium an der Universität, z. B.: »Journalismus & Medienmanagement«, FHW, Wien
»Journalismus und Public Relations (PR)«, FH Joanneum, Graz
ORF Interview - Lucy Küng
»verwundbare werte schützen«
Die Medienökonomin Lucy Küng (Universität Jönköping, davor
St. Gallen) ist Verwaltungsrätin des Schweizer Rundfunks SRG.
Sie hat sich intensiv mit der BBC beschäftigt.
Eines Ihrer Statements lautet: »Im Zuge technologischer Umbrüche werden Sieger häufig zu Verlierern.« Betrifft dies nun den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Das Muster ist in allen Branchen erkennbar, gerade in unserer: IBM hat nie den PC-Markt dominiert. Google dominiert das Suchmaschinengeschäft, schneidet aber bei Social Networks schlecht ab – dieses Feld dominiert Facebook. Dieser Logik folgend ist es äußerst unwahrscheinlich, dass gerade diejenigen, die nun die stärksten Positionen im massenmedialen Markt einnehmen, eine Multi-Channel- und Multi-Screen-Welt dominieren werden.
Was könnte also die künftige Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein?
Diese Neu-Definierung ist die Herausforderung für den Rundfunk und seine Regulatoren. Gefährlich wäre, wenn öffentlich-rechtliche Medien dazu verdonnert würden, nur noch Versäumnisse des freien Marktes nachzuholen. Die BBC etwa definiert ihre Rolle klar: Sie will der nationalen Debatte eine Plattform bieten, eine Marktdynamik schaffen, die Großbritannien in Sachen Digitalisierung voranbringt, die digitale Kompetenz der Bürger fördern usw.
Die EU hat dem ORF online Schranken gesetzt. Werden wir in
20 Jahren noch zwischen TV, Online und Radio unterscheiden?
Es ist ja nicht so, dass nur Radio-, TV- und Internetangebote konvergieren, also ineinanderfließen – beste Beispiele sind hier internationale Formate wie »The X-Factor« oder »Got Talent«, die klassische Medienaktivitäten mit neuen Medien, Telekommunikation und Social-Networking paaren. Die wirklichen Probleme landen bei den Regulatoren: Die sollen ein Regelwerk aufstellen, das erstens verwundbare Werte schützt, zweitens ein Feld bereitet, auf dem die verschiedensten Player einander gleichberechtigt treffen können, und drittens auch noch wirtschaftliches Wachstum anregt.
Tut die EU also das Richtige, wenn sie die Öffentlich-
Rechtlichen online beschränkt um so ihre kommerziellen
Möglichkeiten einzudämmen?
Es ist äußerst problematisch, in welchem Tempo hier beschränkt wird, weil das Internet doch eine Distributionsplattform für jede Art von Content ist. Wobei alles Planen problematisch ist, weil sich nicht vorhersagen lässt, welche Services und Plattformen noch entstehen werden. Mit Hybrid-TV machen wir wohl einen großen Schritt weg vom linearen zum On-Demand-Konsum. Zweifellos werden Multi-Plattform-Geschäftsmodelle entscheidender Puzzleteil jedes Zukunftsszenarios sein. Doch selbst wenn ein Typus von Marktteilnehmern eingeschränkt wird, heißt das nicht, dass die traditionellen Medien automatisch deren Vorrangstellung im Internet übernehmen können. Viel wahrscheinlicher ist, dass ein solcher Schachzug Google und Facebook nur stärkt.
Im Sommer wird ein neuer ORF-Generaldirektor gewählt. Welche Leadership-Skills sollte heute jemand in eine solche Position mitbringen?
Leadership ist immer im jeweiligen Kontext zu sehen. Wenn wir über Führungskräfte aus Medienunternehmen sprechen, gerade aus öffentlich-rechtlichen, tendieren wird dazu, uns auf deren unternehmensinterne Organisation zu fixieren – ob sie motivieren können, wie sie ihre Mitarbeiter behandeln. Entscheidend ist etwas anderes: nämlich wie sie mit externen Akteuren umgehen können – mit Regulatoren und Politikern –, weil es die Auseinandersetzungen mit diesen sein werden, die ihren strategischen Handlungsspielraum abstecken werden.
Da liegt er auf der Weide, der Wiederkäuer ORF, und weiß nicht, wie ihm geschieht: Am 9. August wählt sein Aufsichtsgremium entweder einen neuen Generaldirektor, oder den alten, Alexander Wrabetz. Anstatt um die Zukunft von Public Value – einer gesellschaftlich relevanten, kritischen und unabhängigen Medienpräsenz – geht es dabei um etwas anderes: Die Parteipolitik will den Rundfunk weiter instrumentalisieren. Druckmittel ist die finanzielle Staatshilfe, aus fetter Erde sprießt saftiges Gras. Doch es ist schwül, Mücken wie Schwalben fliegen tief: Ein Donnerwetter aus Internet, Mobilität und Fluktuation zieht auf, rauer Wind weht dem trägen ORF entgegen. Was passiert mit FM4, Ö3, Ö1, den Bundesländerradios und ORF On? Drei Szenarien, wie der Rundfunk 2031 aussehen könnte und wer dann – statt nur Mist – auch Public Value schafft.
Wir trauen Prognosen statt Propheten: 2011+20=2031. Da liegt Österreich, herzig in einem Europa, das geeinter scheint als zuvor – weil ein neuer Konkurrent am Horizont aufgestiegen ist: Asien. Das Bruttoinlandsprodukt des Kontinents hat 2028 die Wirtschaftsleistung der G7, einst die führenden Industrienationen, überholt. Weltweit hungern immer noch eine halben Milliarde Menschen, die meisten von ihnen in Subsahara-Afrika. Der Flugverkehr über Europa hat sich verdoppelt; Kurzstrecken hingegen werden überwiegend mittels Hochgeschwindigkeitszügen zurückgelegt. In Österreich leben 35 Prozent der Menschen als Vegetarier, der Wiener Ring wurde in eine Fußgängerzone umfunktioniert. Und das Parlament hat an Bedeutung verloren, zugunsten der Regierungen in den Bundesländern einerseits und Brüssel andererseits.
Medial herrscht das kostenfrei zugängliche semantische Web, das Bedeutungen erfasst und gewichtet, also »denkt«. Die Informationsmedien haben eine Rolle übernommen, die Berthold Brecht ihnen schon anno 1932 in seiner »Rede über die Funktion des Rundfunks« zugedacht hatte: »Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen, und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.«
Hat der ORF dieses Kunststück bis 2031 geschafft? Ist er ausgefressen, ausgeschlachtet oder – filetiert?