Das junge neue Krebs-Kino trotzt dem Tod mit einem Witz, der seine eigene Melancholie herausfordert. Filme wie „50/50« oder »La Guerre est déclarée« proben den Aufstand mit Humor. Diagnose: Es wird tabuloser, scherzhafter und gelassener.
Krebs bedeutet nicht selten, sich von der Welt zu verabschieden, während der Körper zerfällt. Witzig ist das nicht, und es sieht auch weder ästhetisch schön noch aufregend fotogen aus. Die Frage ist, wie der Einzelne jeweils auf die Schicksalsdiagnose reagiert. Allein in Europa erkrankt etwa jeder dritte Bürger im Laufe seines Lebens an Krebs. Die meisten Krebsarten entstehen grundlos. Ohne oft den Ursprung zu kennen, bleibt Krebs eine allgegenwärtige Todesursache, mit der gerechnet werden muss, quer durch alle Kontinente, Gesellschaftsschichten und Generationen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass im Jahr 2030 rund 13,1 Millionen Menschen weltweit an Krebs sterben werden (derzeit sind es mehr als 7,6 Millionen Menschen; Krebs bleibt die weltweit häufigste Todesursache). In den meisten Fällen treten Krebserkrankungen im höheren Alter auf, was Krebs für alternde Gesellschaften zwangsläufig zum Thema macht.
Das spiegelt sich auch in der wiederkehrenden Auseinandersetzung im Kino oder Fernsehen wieder. Aktuell wird die Mystik der heimtückischen Krankheit mit einem Humor aufgebrochen, der das Absurde im Leben mit Krebs offenlegt. Die Antworten aus der Filmwelt werden unaufgeregter, ihre Pointen gehen dafür umso tiefer. Langsam verschieben sich ihre Paradigmen hin zum Lustspiel mit Tumoren: derzeitige US-Serien wie »Breaking Bad« oder »The Big C« nutzen die Komik des Krebsalltags für ihr (junges) Publikum. Dieses ist – statistisch betrachtet – längst von bösen Zellen umzingelt.
Krebs als komischer Cliffhanger
Bryan Cranston (nun wohl endgültig nicht mehr bloß der Vater aus »Malcolm mittendrin« bekannt) verkörpert seit 2008 in der US-TV-Serie »Breaking Bad« glorreich den Chemielehrer Walter White, der nach einer Lungenkrebsdiagnose zum fatalistischen Crystal-Meth-Drogenkoch wird, um schnell an viel Geld zu kommen – für seine schwangere Frau und seinen Sohn. Während die Metastasen in ihm wachsen, steigt er mit seinem Komplizen Jesse immer tiefer in die Kriminalität ab.
Im Juli wird nun die fünfte und letzte Staffel von »Breaking Bad« ausgestrahlt. Kleinbürgerliche Moralvorstellungen und finanzielle Ernüchterung prallen noch einmal auf Überlebensinstinkte und Spiralen der Gewalt. Der Humor bei »Breaking Bad« ist bitterböse, absurd und zynisch. Das produziert ungeschönte Narben an seinen Charakteren, unpathetisch arbeiten sie sich aneinander ab. Große Moraldiskurse werden zwar eingeleitet, aber auch von den matt gefärbten Figuren wieder an die Wand gefahren. Hier reißt der Krebs alle Beteiligten aus der Couch, besonders die Zuschauer. Zunächst wird ihnen die Diagnose als dramaturgischer Impulsgeber präsentiert. Der kahl rasierte Kopf von Walter White spuckt immer wieder Blut, kotzt oder verliert sich. Die familiären Konflikte kreuzen sich mit den kriminellen in kruden Storylines. Der eigentliche Schmäh um den Krebs gedeiht dann zwischen Prekarität, Alltagsdilemmas und allgemeiner Betroffenheit. Denn über all dem thront eine außergewöhnliche Absurdität. Dadurch wird die Erkrankung kaum als dunkle Bedrohung mystifiziert, stattdessen brettert den Zuschauern ein trockener Sarkasmus entgegen. Das untergräbt die Beklemmung in den Wohnzimmern, lässt unverkrampft lachen und wirkt nachvollziehbar. In diesem Sinn bleibt Krebs das narrative und komische Moment von »Breaking Bad«. So gesundet keine der Folgen am auffrischenden Witz der Serie.
Der ganz normale Irrsinn
Nervöser, bunter und braver geht es derweil bei den Wohlfühl-Episoden von »The Big C« zu. Behutsam spielt Laura Linney (»The Truman Show«) eine krebskranke Lehrerin Mitte 40. Mit der Diagnose kehrt sie plötzlich ihre Lebenslust nach außen, um bisherigen Auslassungen nachzukommen. Im Angesicht des Todes kann sie endlich selbstbewusst, naiv, sexy, laut und narzisstisch sein. Die größtmögliche Veränderung und der innere Frieden der Hauptfigur sind genretypische Ziele dieses Plots. Das verspricht moralische Spannung und empathische Zuschauer. Denn Krebs betrifft und macht betroffen. Das Damoklesschwert kratzt hier ebenso an melodramatischen Klischees, wie am wütenden Charme einer stereotypen Hauptfigur. Die wiederkehrende Überforderung ihrer Person provoziert absurde Situationskomik.
Unter die Haut, nicht bis in die Knochen
Auch hier macht die Krankheit den Humor trockener und zugänglicher. Entsprechend den vorstädtischen Gegebenheiten: anders als bei »Breaking Bad« spielt Geld keine Rolle in »The Big C«. Das gehoben mittelständische Vermögen garantiert der Protagonistin beste medizinische, kulturelle und soziale Versorgung. Über Krebs lachen zu können, hat offensichtlich auch mit Privilegien und Souveränität zu tun. Mit abschätzbarem Witz will »The Big C« so unter die Haut, aber nicht bis auf die Knochen gehen. Unschöne Notlagen sind weitestgehend unsichtbar. Wie in vielen Krebsgeschichten zuvor, versöhnt sich auch hier die Individualisierung mit bürgerlichen Normen. Das stabilisiert die Gesellschaft, appelliert sanft an eine bessere Welt und macht es dem Zuschauer einfacher, Abschied zu nehmen.
Die moralischen Kollisionen bei »Breaking Bad« wirken da hingegen erfrischender. Dennoch gelingt es beiden Serien, das Thema mit lebensnaher Absurdität zur Diskussion zu stellen. So viel Schicksal Krebs auch bedeuten kann, so kontrastreich kann die Komik in der plötzlichen Lebensumstellung genutzt werden. Wenn zum Beispiel schon in der ersten Folge von »Breaking Bad« bei der tragischen Erstdiagnose der Senffleck auf dem weißen Kittel des Arztes zur Komik überspannt wird. Oder wenn etwa die Hauptfigur bei »The Big C« mit ihrem Doktor flirtet, anstatt dem nahenden Tod habhaft zu werden. Die Protagonisten beider Serien handeln selbstbestimmt mit ihrem Krebs. Sie produzieren durchschlagende Lacher, die ihre Zuseher für den selbstverständlichen Irrsinn eines Krebsalltags sensibilisieren.
Krebs für die ganze Familie
Mann kann Krebs haben und damit Frauen aufreißen: die Bromance-Comedy »50/50« mit dem vulgären Buddy Seth Rogen und dem strauchelnden Krebspatienten Joseph Gordon-Levitt schleudert Kumpel-Pointen. Gordon-Levitt spielt einen erfolgreichen Radiomacher Mitte 20, die Diagnose wirft ihn aus der Bahn. Rogen spielt den besten Freund des Todgeweihten und brüllt gegen dessen 50 Prozent Überlebenschance aufmunternde Männerscherze – »If you were a casino game, you’d have the best odds«. Er soll seine Gefühle teilen, aber nicht zum Opfer werden. Gordon-Levitt ist derweil auf der Suche nach sich selbst – zwischen Chemo-Therapie, Abschiedspartys, Eltern, Beziehungskrisen und seiner artigen Therapeutin (Anna Kendrick), die er am Ende küssen wird. Regisseur Jonathan Levine (»The Wackness«) hat hier das autobiografische Drehbuch von Will Reiser verfilmt, einem privaten Freund von Seth Rogen. »50/50« ist eine gut gemeinte, aber zurückhaltende Kampfansage, deren stereotypen Figuren und Konflikte anfangs weniger innovativ sind, als sie vorgeben zu sein. Die Story bleibt melodramatisch-konventionell. Gleichzeitig belebt »50/50« den Krebsfilm aber insgesamt mit überraschendem, gefasstem Pragmatismus.
Trotz alternativer Ideen und Charaktere gibt sich »50/50« einerseits sehr traditionsbewusst. Emotional und ideologisch aufgeladene Familienbilder werden immer zentraler, je näher die unvermeidliche Operation bevorsteht. So überwindet die Figur von Gordon-Levitt auch ihre klassische Position als Opfer im engen sozialen Gefüge nicht. Andererseits bleiben genretypische Ausbrüche aus dem medizinischen Betreuungsverhältnis aus. Stattdessen versucht der Krebspatient seinem Schicksal auf Augenhöhe zu begegnen. Die Hauptfigur wird schließlich aktiv und »50/50« an diesem Punkt zur modernen Bereicherung des Genres. Das wirkt erwachsen wie realistisch und braucht sich nicht mit absehbaren Eskapaden aufzuhalten.
Der Witz muss sich mit dem Krebs etablieren, was auch gelingt – unabhängig von der streitbaren Qualität der Rogen-Gags. Besonders nahe kommt »50/50« dann, wenn die Scherze verklingen und hinter der Komik die Sprachlosigkeit bleibt. Da überrascht der Film außerdem mit einem melancholischen Unterton: der Humor zeigt sich feinfühlig gegenüber der Endlichkeit seiner Hauptfigur, nimmt sie ernst und kann deswegen auch mit ihr lachen. Das befreit »50/50« noch nicht von bravem Kitsch, aber von langweiligen Tabus. Es macht den Film zu einem neuen beachtenswerten Beispiel eines unverschämten Umgangs mit Krebs, der mit altmodischen Ängsten aufräumt. Auf diesem Weg verliert die Krankheit langfristig so auch vor einem großen Publikum ihre hartnäckige Mystik als dunkle Bedrohung. Indessen können komische Figuren aus ihrem Schatten treten und darüber witzeln, wie der Tumor zum Flirt-Vorteil wird. Die Paradigmen verschieben sich Richtung Mainstream, es soll auf breiter Basis über Krebs gelacht werden.
Angespannter Lachmuskel mit Tumor
Mit aufrichtigem Humor arbeitet auch »La Guerre est déclarée« von Valérie Donzelli und Jérémie Elkaïm. Im Gegensatz zu »50/50« funktioniert der Film aber als unvergleichbar radikale Kriegserklärung an den Krebs. In einem sensiblen und grellen Krebsmärchen verarbeiten die beiden Autoren autobiografisch den Gehirntumor ihres gemeinsamen Sohnes. Inspiriert von Kubricks »Full Metal Jacket« (1987), stürmen sie in den Rollen der Elternfiguren Romeo und Juliette gegen die Krankheit. Ihre Beziehung hält dabei den Erschütterungen nicht stand. Sie sind jung, schön, verliebt und Pop-Prototypen, die der Krebs fast zerreißt. An Originalschauplätzen wurde gedreht; die sozio-ökonomische Situation der Eltern wird thematisiert und nicht grob ausgeblendet (wie etwa in »50/50“). Mit Voice-Overs, Musikvideoszenen, Songs, lautem Gelächter und rohem Schmerz schafft der Film bunte Impressionen und Distanz. Gleichzeitig offenbaren sich intimer Humor und aggressive Lust, die mit dem Krebs um das Recht auf Unbeschwertheit, um die Versprechen junger Popkultur ringen.
»La Guerre est déclarée« ist ein beeindruckender Überlebenskampf und eine melancholische Pop-Hymne an die Wechselhaftigkeit der Liebe. So radikal wie die Akteure die Krankheit nicht akzeptieren, genauso konsequent erweitert dieser Krebsfilm rückhaltlose Perspektiven auf die Krankheit. Erst in der Nicht-Akzeptanz finden die scheinbaren Opferfiguren zu einer Ruhe, die es ihnen und damit dem ganzen Genre erlaubt, sich auf die Herausforderung Krebs kreativ einzulassen. In dieser Ruhe und Melancholie liegen die Kräfte, aus denen ihr großer lebensnaher Humor erstarkt. Auf diese Weise kann, mit den Betroffenen so unverblümt über das schwere Schicksal des Kindes gewitzelt werden.
Die gegenwärtige Popkultur scherzt eben auch mit ihren Metastasen und entspannt sich damit. Der natürliche Verlauf der schweren Erkrankung kommt dem Krebsfilm grundsätzlich sehr entgegen, was Krebs als filmisches Motiv so praktikabel macht. Doch der melodramatische Tod ist deshalb noch lange nicht das zwangsläufige Ende. Sowohl der alternative Pragmatismus von »50/50«, als auch die leidenschaftliche Experimentierfreude von »La Guerre est déclarée« brechen das Genre beispielhaft für die Zukunft auf. Krebs ist so weit in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, dass auch die zeitgenössische Popkultur nicht umhin kommt, dem Thema mit eigenen filmischen Entwürfen zu begegnen. Das verdeutlichen auch die anregenden Serien »Breaking Bad« und »The Big C«. Das selbstsichere, absurde Spiel mit gewohnten Krankheitsbildern scheint der nächste Anfang für Krebs in Film und Fernsehen zu sein. So lange die Metastasen nicht aufhören zu wachsen, wächst der Krebs-Film mit seinem Publikum mit.
»La Guerre est déclarée« und »50/50« sind derzeit in den österreichischen Kinos zu sehen. »The Big C« läuft montags um 22.45 Uhr auf ORF eins.