Drei Jahre nach ihrer offiziellen Auflösung haben Kinderzimmer Productions, gemeinsam mit dem ORF Radio Sinfonie Orchester, am vergangenen Wochenende im Wiener Radiokulturhaus nun ihr wirklich allerletztes Konzert gegeben.
Die anwesenden Zuhörer waren ob der orchestralen Verbindung von abstraktem Hip Hop, Jazz und deutschem Chanson begeistert und dankten dem eindrucksvollen Abgesang der Ulmer Formation mit Standing Ovations. Doch dieser Abschluss war gleichzeitig auch ein Vorgeschmack darauf, was Rapper und Sänger Textor demnächst veröffentlichen wird. Am Folgetag trafen wir dann den vielseitigen Mann hinter dem Mikrofon um mit ihm unter anderem über die Interpretation deutscher Lieder aus den 1920er Jahren und darüber zu sprechen, wie Hip Hop in Würde altern könnte und welchen Beitrag er dazu noch leisten wird.
Gibt es etwas worüber du besonders froh bist, es mit der Auflösung der Band losgeworden zu sein?
Ich bin sehr froh diesen standardisierten Erwartungsdruck los zu sein. Was angeblich Erfolg ist und was nicht, was man erreichen muss und wie Dinge zu funktionieren haben.
Wie würdest Erfolg für Kinderzimmer Productions definieren?
Wir haben auf den Punkt gebracht, was war. Vielleicht nicht immer das was wir wollten aber das, was tatsächlich war. Da ist nichts drin, was wir nicht gewollt haben. Wir müssen keine Ausreden finden und wir müssen uns für nichts entschuldigen. Wir hatten wirklich viel Freude damit. Wir hatten die schöne Gelegenheit zu sagen, wir waren von Anfang an was beteiligt. Es lief von 1988 weg über diese ganze Spanne, das ist ein ziemlich großes Gefühl. Man war einfach da oder durfte da sein. Das ist, was Hip Hop angeht, ein Geschenk an uns (lacht).
Was war für dich die größte Enttäuschung eurer Karriere?
Nö, sowas gibt’s nicht…Das hat auch nichts mit der Karriere zu tun, das hat mehr damit zu tun, dass ich das Gefühl hab, Hip Hop hat nicht das Potential voll auf die Straße gebracht, was es gehabt hat.
Wann hat es dieses Potential gehabt?
Das hat es die ganze Zeit gehabt. Hip Hop hatte so viel Energie, dass es eigentlich die Regeln hätte diktieren können. Hip Hop hätte sich nicht unter diese marktwirtschaftlichen Mainstream-Interessen unterordnen müssen. Da war so viel Zug dahinter, dass man eigentlich das Ruder hätte übernehmen und sagen können, wir machen das jetzt so wie wir wollen, weil wir es besser wissen. Anstatt sich von etablierten Strukturen aufzwingen zu lassen, was angeblich gemacht werden muss.
Was ist seit der Auflösung von Kinderzimmer Productions passiert?
Ich habe lange Zeit nichts künstlerisches gemacht, sondern einfach gearbeitet, fürs Radio und auch ganz normale Produktionsarbeiten. Dann hab ich aber doch wieder angefangen Songs zu schreiben, weil meine große zweite Liebe ist dieser Singer/Songwriter- American-Country-Komplex. Da habe ich ’ne Platte aufgenommen, gemeinsam mit einem Freund von mir, Holger Renz. Das Projekt heißt Textor und Renz und die Platte „A Chair Is Not A Chair, A House Is Not A Home“. Wir haben sie gar nicht offiziell veröffentlicht. Wir haben einfach welche gemacht, um sie Live verkaufen zu können. Es war der Gedanke, zu sagen, man macht das, wie es in den 40er vielleicht war: man geht spielen und hat ’ne Aufnahme als Postkarte, damit man sich daran erinnern kann. Nicht die Platte als das eigentliche Medium, sondern das Konzert als die eigentliche Sache. Die Platte ist auch wirklich Live eingespielt.
Zwischendrin hab ich auch ein Projekt angefangen mit deutschen Sachen, die sich in einem Zeitraum zwischen 1920 und Jetzt bewegen. Gerade durch die Beschäftigung mit Americana, dachte ich mir, es müsste doch eigentlich irgendwo deutschsprachige Musikwurzeln geben, auf die man sich gerne bezieht. Ich habe Nummern genommen, die ich kannte. Teilweise auch Schlagertexte neu gemacht, Hooks aber behalten und eigene Sachen geschrieben…Ich bin gerade dabei das zu sortieren. Aufgenommen wurde es mit einem Ensemble in Wien, also Streichern und Klavier, ohne Schlagzeug erstmal. Wie die Produktion genau rauskommt, weiß ich auch noch nicht, aber ich würde die Platte furchtbar gerne 2011 rausbringen. Daran arbeite ich gerade.
Es ist auch der Versuch was zu finden. Wir haben eigentlich nur zwei Präsentationswege. Das eine sind Clubs und Festival, die andere Sache ist dieser E-Musik bereich mit Theatern oder Opernhäusern oder Konzertsälen. Ich habe aber das Gefühl, dass da dazwischen ein breiter Bereich von Leuten ist, die gerne sitzen, zuhören, vielleicht noch ’nen Drink haben und nicht in ehrfurchtsvoller Stille verharren wollen. Musik, bei der man halt Aufmerksamkeit braucht, aber keine Ehrfurchtsstarre. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Art der Präsentation langsam wieder entwickelt und das sich wahrscheinlich auch neue Konzertformen ergeben. Da wäre ich gerne Teil von.
Ist es für dich denkbar, dass du nochmal Teil von Hip Hop wirst?
Ich bin sowieso Teil von Hip Hop, das kann ich jetzt nicht mehr ändern. Die Frage ist mehr, ob Hip, wie er sich entwickelt, Hop, mit dem was ich drunter verstehe, noch mal Kontakt aufnehmen wird. Ich bin sozialisiert, ich hab da eine bestimmte Idee davon. Wenn sich die ganze Kiste da nicht hinbewegt, dann renn ich dem nicht hinterher, sondern sage ich, ich starte da und ende hier.
Du hast im Zuge der Auflösung 2007 einmal gesagt, dass du darauf gehofft hattest, dass sich Hip Hop in Deutschland zu einer Kultur entwickelt, was für dich damals aber nicht passiert sei. Hat sich dein Eindruck geändert, hat es sich zu einer Kultur entwickelt?
Ich hab mich da vielleicht missverständlich ausgedrückt. Natürlich ist Hip Hop eine Kultur. Was ich damit meinte war, dass es sich weniger anfühlt wie Sport. Weniger zu sagen, wir haben jetzt den MC der Stunde. Der ist 19 und der härteste Motherfucker, der rumläuft und den schlachten wir jetzt zwei, drei Veröffentlichungen lang aus und dann zieht er sich zurück und macht ein Klamotten-Label. Das war nicht mein Verständnis von Musik machen, auch nicht die Art wie produziert wurde. Ich fing an, mich zu fragen, was das soll, als es los ging mit Beats picken. Also dass man quasi aus dem Internet Beats zieht und so Automaten-mäßig da Geld hinwirft. Dann nimmt es das next Level, indem Leute andere Leute dafür bezahlen, um Beats für sie zu picken.
Klar, ich meine, es ist eine Industrie und man platziert ein Gesicht und der hat vielleicht auch gar nicht die Zeit, die Texte selber zu schreiben oder so, aber was bekommt man dann? Also „Keep it real“ hat für mich tatsächlich auch etwas bedeutet. Ich hab genug Show-Fassaden. Es gibt sehr viel schöne Unterhaltung. Ich wollte was echtes haben. Und dann zu sehen wie Hip Hop sich entwickelt, in genau den gleichen Bahnen und da einfach sein Potential nicht entfaltet. Vor allem Dingen, dass Leute ihre eigenen Klischees so lange ausbaden, bis sie zu ihrer eigenen Karikatur werden. Wo man sagt, Jungs, das ist doch auch entwürdigend.
Welche positiven Höhepunkte hast du für dich entdecken können?
Natürlich hab ich…Das klingt jetzt viel zu negativ. Man muss auch ganz klar sagen, und das müsste auch an den Anfang: Nichts hat mein Leben so positiv verändert wie Hip Hop! Das als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt, werde ich einfach deswegen so emotional, weil es mir so wichtig ist. Einfach auch zu erkennen, ich kann es nicht ändern und ich muss mich jetzt auch damit abfinden und auch akzeptieren, das, was die Mehrheit da will, ist das, was passiert und das ist auch richtig so. Ich stell mich jetzt auch nicht an den Rand und heule deswegen. Aber traurig bin ich schon, klar.
Hast du das Gefühl, dass Hip Hop, wie ihr ihn damals für richtig gehalten habt, nochmal denkbar werden könnte?
Ich hab das es Gefühl gibt, dass es eine Form von Energie gibt, die immer wieder aufbricht. Drum’n’Bass hatte das. Für mich ist auch das Aufbrechen von Skateboarding in den frühen Achtzigern das selbe Ding zu sagen, du findest etwas vor, z.B. ein Handrail und sagst, die Funktion ist, dass sich Leute daran festhalten. Was ein Skateboarder sagt, ist: mein Wille über dieses Material. Hip Hop war das selbe, zu sagen, was der Plattenspieler tun sollte, ist mir egal. Ich will damit scratchen. Diese Unbändigkeit sich Sachen zu eigen zu machen und nicht darauf zu warten, dass alle Umstände perfekt sind und erst dann irgendwas zu tun, sondern, zu sagen, ich möchte etwas tun und nehme alles, was ich um mich herum finden kann und mache etwas daraus. Das wird es, glaube ich, immer geben.
Was ich ganz stark hoffe, und das auch das, was ich meinte meinte, dass Hip Hop zu einer Kultur wird, dass es nicht ein kurzes Aufflammen von einer Energie ist, die auch wieder verschwindet, sondern, dass sich aus diesem Anfangsimpuls etwas entwickelt, was mehr Zeit hat. Etwas, das sich ausdiffernzieren darf, wo Leute nicht mit 20 abgemeldet sind, sondern wo die Erfahrung von Leuten mit 40, 50, 60 noch relevant sind. Wo man nicht berufsjugendlich sein muss, sondern wo man älter werden darf. Dass hätte mich gefreut, aber die Generation von MCs, die jetzt 40 oder 45 sind, sind abgemeldet. Die sind nicht da mit ihrer Erfahrung, die sind nicht mehr Teil der Sache.
Siehst du diese Entwicklung irgendwo außerhalb von Deutschland? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das in den USA sehe.
Ne, also das einzige was ich jetzt gesehen habe, aber das hat jetzt mit Hip Hop auch nicht schrecklich viel zu tun, ist z.B. die letzte Gil Scott-Heron. Zu sagen, was hat man vom gesprochenen Wort her für Möglichkeiten, wenn man nicht mehr die rohe Energie hat zu sagen, ich blase euch alle weg? Was kann man mit einer Stimme noch machen? Klar fehlt hier der Hip Hop-Funke, der Mann kommt von einer anderen Art zu denken her, aber es tauchen immer wieder so Sachen auf, wo ich mir denke, es müsste gehen. Die Frage ist mehr, ob es gewollt ist. Ob es dafür ein Publikum gibt, ob es Resonanz gibt, ob es mit Leuten was macht.
Punk hatte ja die selben Schwierigkeiten, 20, 30 Jahre vorher und da sieht man halt auch, wo die Übersetzungsprobleme kommen. Die meisten arrangieren sich mit Kulturinstitutionen und machen Theater oder so was. Das ist auch alles andere, als verwerflich.
Du denkst an Schorsch Kamerun.
Klar. Die Hoffnung wäre gewesen, einen eigenen Laden aufzumachen, nicht darauf zu warten, dass die Schaubühne Berlin einem eine Plattform bietet, sondern zu sagen, dass die Sache so stark ist, dass der eigene Laden schon aufgemacht hat und dass man dann in dem spielt. Ich glaube weder Punk noch Hip Hop haben trotz dieser massiven Energie es geschafft, diese Infrastruktur zu bilden. Die Leute haben mit ihrem Erbe ein Problem. Sie sind mit etwas groß geworden und das prägt sie auch und jetzt sind sie gezwungen, sich in eine Umwelt zu integrieren, die nicht freundlich ist.
Kannst du dir vorstellen, zu so einer Hip Hop-Figur zu werden, wie du sie dir eigentlich wünscht? Zu versuchen sich Dinge anzueignen, wie man sie sich früher angeigenet hat?
Das ist eine Frage der Resonanz und Relevanz, man arbeitet ja sowieso daran. Das ist so eine Feedback-Schleife mit Öffentlichkeit und Publikum. So viel Energie, wie man bekommt, kann man dann umsetzen und weitergeben. Das was ich gerade erzählt habe, ist der Kern von dem, was ich mache. So arbeite ich einfach. Wenn jetzt nicht die Notwendigkeit aufkommt, zu sagen, es ist so wenig Resonanz dafür da, dass einfach nicht genug für die Miete bleibt und man sagt, man muss sowieso was ganz anderes machen…Die Funktionsweise ist genau das, zu sagen ich hab das Erbe hier und da, es muss eine konkrete Form ergeben, die die Sachen integriert. Die Bemühungen darum sind von Anfang an so angelegt und sind auch nicht versiegt…(überlegt kurz) Ne, ne, da ist schon noch genug Energie drin (lacht).