Noch überzieht Farbe die Karl-Lueger-Statue am Stubentor. In den nächsten Monaten wird das Denkmal dann für einige Zeit verschwinden, bevor es in leicht veränderter Form wiederkommt.
Ein paar Menschen bleiben stehen, machen Fotos, betasten die Farbe. Als damals vor ein paar Jahren erst die »Schande«-Graffitis, dann die blaue und schwarze Farbe, mit der die Figur Karl Luegers überschüttet wurde, auftauchten, war das ein Aufreger und noch heute ist es ein Hingucker. Dass die Graffitis überhaupt noch da und nicht wegrestauriert worden sind, ist übrigens den Aktivist*innen zu verdanken, die im Sommer 2020 eine Woche lang eine Schandwache vor dem Monument abhielten und der Stadtregierung durch ihren Einsatz dieses Zugeständnis abrangen. Simon Nagy, einer der Verantwortlichen hinter der Schandwache-Aktion, beschreibt, was durch die Anbringung der Graffitis und die anschließende Aktion mit dem Denkmal passierte: Der Ort um das Denkmal herum, das Denkmal selbst, die Figur Karl Luegers und die mit ihm verbundene nationalistische und populistische Politik seien sichtbar gemacht worden, genauso wie – und das ist vielleicht der wichtigere Punkt – das Bestehen eines Konflikts, eines unabgeschlossenen und zu verhandelnden Prozesses.
Ein Denkmal vor einem Denkmal
Seitdem befindet sich das Denkmal im Aufarbeitungslimbus. Nachdem die Kritik an Lueger ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden war, wurde eine Neugestaltung ausgeschrieben und 2023 schließlich ein Entwurf von Klemens Wihlidal dafür ausgewählt. Er sieht vor, den Sockel anzuschrägen, sodass das gesamte Monument um genau 3,5 Grad gekippt dasteht. Um den Schutz der hinter dem Denkmal stehenden Platane – gepflanzt zwei Jahre nach Errichtung des Denkmals 1926 und seit 1994 selbst (Natur-)Denkmal – zu gewährleisten, fanden in den letzten Monaten Untersuchungen statt, die nun abgeschlossen sind. Demnächst wird das Denkmal abgebaut, gereinigt und anschließend dem Entwurf Wihlidals entsprechend leicht (nach rechts) geneigt wieder aufgestellt.
Damit wird dem Denkmal ein Moment der Instabilität eingeschrieben, das über die Kritik an Karl Lueger und seiner bis heute nachwirkenden Politik hinaus manifest macht, dass Geschichte immer wieder neu verhandelt werden muss. Das ist wichtig, denn wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sagt, sei das Erinnern durch Denkmäler »immer davon abhängig, was in der Gegenwart im Zentrum der Macht agiert und sich in die Erinnerung einschreiben möchte«. Wer also die Vergangenheit fortwährend neu verhandelt, verhandelt damit die Gegenwart und die darin agierenden Mächte.
Die 3,5-Grad-Idee stammt eigentlich aus dem Jahr 2009, als die Universität für angewandte Kunst einen inoffiziellen Wettbewerb zur Neugestaltung des Platzes ausschrieb, den Klemens Wihlidal damals gewann. Wihlidal ist neben seinen Kunstprojekten auch als Musiker (Ginga, Mickey) aktiv.