Installationen im Salz

Zum achten Mal brodelte die Projekteküche in der alten Saline in Hallein. In der Nähe von Salzburg entsteht am Ende des Sommers jedes Jahr ein temporäres Kreativlabor. Katja Weber hat uns einen Erfahrungsbericht geliefert.

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Sphärische Klänge strömen durch die alten Industriehallen einer stillgelegten Salinenanlage. Auf einer 15 Meter hohen Vertikalleinwand löst sich eine von dunklen locken umgebene blaue Frau in Rauch auf und morpht zu einem Mann. Eine Halle weiter, in einem riesigen ehemaligen Verdampferturm, trägt eine norwegische Sopranistin Volkslieder aus ihrer Heimat vor. Einen Stock tiefer betreibt das Künstlerkollektiv Ratte Hawaii „theatrale Feldforschung“. In einer detailgetreuen Pappküche quetscht sich ein Darsteller imaginären Senf auf seine – in Farbe und Konsistenz Zement ähnelnden – grauen Kartoffeln und leert eine Flasche graues Bier, bevor er die Küche mit einem Stuhl in sämtliche Einzelteile zerlegt. Alles wird in Echtzeit vertont und so kommt eine Armageddon ähnliche Stimmung auf, als von der Küche so gut wie nichts mehr übrig ist.

Was das alles soll? Am „Focus On Inside“ präsentierten die Teilnehmer des Medienfestivals „Schmiede 10“, was sie sich während der vergangenen zehn Tage zusammen gebastelt, woran sie gearbeitet, was sie erarbeitet und mit wem sie sich vernetzt haben. Aus 22 Nationen reisten 140 Künstler an, um das riesige Industriegebäude aus Holz, Stahl und altem Salz zu nutzen. Am ersten Tag wurden Studios aufgebaut, Dunkelkammern eingerichtet, eine Greenbox kreiert. Jeder Smith (so werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer genannt) suchte sich ein Plätzchen, richtete sich ein und machte sich bereit für eineinhalb Wochen kreativer Austausch.

Im Raum nebenan befindet sich ein Garten von mannshohen biegbaren Graphitstangen, die über Ultraschallsensoren in Interaktion mit den Besuchern der Installation treten. Sie drehen sich, biegen sich, bewegen sich hin und weg, sodass man den Eindruck hat, inmitten einer Wiese aus Graphit zu stehen. Außerdem besitzt jede Stange ihren eigenen Klang, der durch die Interaktion erzeugt wird. Die Fenster des ersten Stockes wurden in eine Art Rotlichtmilieu von und für Künstler verwandelt. Künstlerdates für einen Euro („gerne auch mehr“) bieten Einiges an Überraschungen, mit etwas Glück gibt es eine Kopfmassage, mit weniger Glück eine minutenlange Verhörstrategie, an deren Ende man irgendeinen Mord gesteht.

Bei der Schmiede kann alles was da ist verwendet werden, aber nichts muss. Dieser Ansatz ermöglicht es, aus einfachen, manchmal verrückten Ideen spannende Projekte zu schaffen. Der Programmierer wird zum Popstar, die Fotografin zur Performerin. Wer eine Idee hat, der findet hier Leute, die sie umsetzen wollen. In zehn Tagen entstehen Musikvideos, Filme, Songs, Installationen, Animationen und Potential für mehr. Dazu gibt es jede Nacht spontane Jams, Konzerte, Auflegereien.

Interaktive Videogames vor industrieller Kulisse

Ein alter Hut, schließlich gibt es die Schmiede Hallein schon seit sieben Jahren. Neu waren heuer fixe Projekte, die irgendwann einmal bei der Schmiede entstanden sind und sich verselbständigt haben. Wie zum Beispiel „Cinema Vertigo“, eine 15 Meter hohe Medienfassade, für die die Teilnehmer Programm machen durften. Die vertikale Leinwand konnte bespielt werden. Aufgebaut war sie im Dynamoraum der Alten Saline. Große Maschinen, Regler und Knöpfe umgaben das Kunstwerk und erzeugten ein ungewöhnliches Ambiente.

Zum vierten Mal inszenierte das Duo „Depart“ ein Stück aus der Reihe „Reverb.On“, die ebenfalls auf der Schmiede entstanden ist. 120 Besucher wurden mit verbundenen Augen, sich an den Schultern haltend, über Holztreppen hinauf, über Eisenstege wieder hinunter durch das gesamte Areal geführt. Bis die Augenbinden gegen Ohropax ausgetauscht wurden und das Publikum erwartungsvoll vor einer aufwendig schwarz/weiß geschminkten Death Metal Band stand, die letztendlich keinen einzigen Ton von sich gab. Hier sah man eine Aufführung von 4’33’’, ein Werk des Minimalisten John Cage, in dem vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang Stille herrscht. Stille herrschte dann auch bei den etwas verstörten Zuschauern. Eine bewegungs- und lautlose Metal Band war doch etwas anderes, als man erwartet hatte.

Im Projekt „Adieu Deluxe“ organisierte das Wiener Kollektiv „God’s Entertainment“ Abschiebungen für Jedermann. Wer kein Österreicher mehr sein wollte, konnte sich im „Büro für Abschiebeangelegenheiten“ kostenlos abschieben lassen. Zur Auswahl standen Länder der Klassen „Premium“ (etwa Äthiopien), „First Class“ (zum Beispiel Iran) und „Economy“ (unter anderem Deutschland). Es fanden sich auch zwei Personen, die „weg mussten“. Eine Person wollte nach Äthiopien. Doch dieser junge Mann bekam im letzten Moment kalte Füße. Als er seinen Pass abgeben sollte, machte er einen Rückzieher. Es blieb bei einer Abschiebung nach Deutschland.

Wie man Regierungsdatenbanken knackt und die NASA anzapft

Bei den Schmiede Talks (eine Mischung aus Vortrag und Diskussion) berichtete etwa Eric Wahlforss von den großen Plänen, die seine Plattform Soundcloud gerade umsetzt. Codec von der Pfadfinderei erzählte von seinem Werdegang – vom Computerkammerl in die internationale Clubszene. „Your Neighbours“ sind fünf wahnsinnige Holländer, die nach Berlin ausgewandert sind, um die Welt von Rammstein auf einer Website darzustellen. Sie erzählten davon, wie sie regelmäßig Regierungsdatenbanken hacken, um sie neu anzulegen. „Weil deren Homepages einfach nur Müll sind. Die Daten sind nicht geheim, jeder darf sie sich ansehen, nur findet man nichts, so wie sie aufbereitet sind. Wir können das besser“.

Simon Wind erzählte von „Palomar 5“, einem Experiment in Berlin im vergangenen Herbst. 30 Kreative (von 700 Bewerbern) wurden für sechs Wochen in ein Camp geladen, um an der Zukunft der Arbeitswelt zu arbeiten. Eine eigene Unternehmenskultur und sehr viele Prototypen entstanden. Ein Team entwickelte den Plan, mittels Satellit gratis Internet für die ganze Welt bereit zu stellen. Wer das naiv und utopisch findet, wird eines Besseren belehrt, das Team führt mittlerweile Gespräche mit der NASA.

Am letzten Tag, dem Tag der Werkschau, an dem die Schmiede für Interessierte und Besucher geöffnet wird, wirkt der alte Industriekomplex wie ein überdimensional großer Spielplatz. Den Smiths, Freunden und Besuchern bleibt eine letzte Nacht, um sich selbst und die entstandenen Werke zu feiern, bevor die Alte Saline wieder "besenrein" an die Stadt übergeben werden muss.

Die Schiede Hallein findet jedes Jahr im Spätsommer statt und funktioniert als offenes Kreativlabor.

www.schmiede.ca

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