Die Ausstellung „Totem and Taboo“ stellt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Kunst und Design. Antworten geben nur die Objekte selbst.
Die Vorläuferdisziplin von Design war die sogenannte angewandte Kunst, entstanden im 19. Jahrhundert. Insofern wundert es nicht, dass es auch im 20. Jahrhundert immer wieder enge Berührungspunkte zwischen den beiden Disziplinen Kunst und Design gegeben hat: Gestalter orientierten sich an neuen Kunstrichtungen, etwa der Pop-Art. Künstler wiederum bezogen Möbel oder andere Designobjekte in ihre Installationen oder sonstigen Arbeiten mit ein. Diese Verbindungen waren manchmal fruchtbar, manchmal furchtbar.
Heute streitet die Designerschaft mehr denn je über ihr Verhältnis zur ach so zweckfreien Kunst. Es gibt Industriedesigner, die sich vehement dagegen wehren, mit Künstlern in einen Topf geworfen zu werden. Einer der prominentesten ist der Funktionalismus-Übergroßvater Dieter Rams, der sich immer als Dienstleister der Wirtschaft gesehen hat, auch wenn seine Objekte im Museum stehen. Selbst ein experimentierfreudiger Designer wie Konstantin Grcic, der das europäische Design in den vergangenen 15 Jahren wie kein anderer Deutscher geprägt hat, möchte keinesfalls in der Kunstschublade landen.
Boom Art Boom Design Boom
Doch: Design-Art boomt seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Gründe dafür könnte man stundenlang diskutieren, sie lauten zum Beispiel: Innovative Designer wie Ron Arad nahmen die Gelegenheit für Kleinserien dankend an, um Materialexperimente durchzuführen und daraus nicht nur Geld zu schlagen, sondern auch Erkenntnisse für Serienprodukte. Oder auch: In einer Gesellschaft, in der sich (fast) jeder „Designermöbel“ kaufen kann, unterscheidet sich eine kulturelle und/oder pekuniäre Elite von der Pöbelmasse gerne durch schräge One-Offs, teure Prototypen oder Limited Design-Stücke.
Unbestritten ist auch, dass die preisliche Überhitzung am Kunstmarkt dazu geführt hat, dass Design als Anlageobjekt bzw. Ersatz und Ergänzung zu Kunstsammlungen enorm geschätzt wird. Allein, welch rasante Entwicklung diese Sparte in den vergangenen Jahren beim Dorotheum hinter sich hat, ist beachtlich (und welche Rolle seltene Stücke dabei spielen, davon kann man sich bei der Schaustellung vor der nächsten Auktion am 22. November überzeugen, siehe auch den Katalog unter www.dorotheum.com/auktionen).
Totem und Taboo
Die Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung „Totem and Taboo“ (www.totemandtaboo.net) greifen also ein hochaktuelles Thema auf, wobei der Ausstellungstitel den berühmten Freud-Text „Totem und Tabu“ auf das Verhältnis zwischen Kunst und Design umlegt. Bei Freud wird das Totem als Objekt beschrieben, das einen abwesenden Verwandten repräsentiert, es geht um das Verbot und die Angst vor dem Inzest. Wie inzestuös ist also das Verhältnis zwischen Design und Kunst? Wie stark darf und soll sich die eine Disziplin der anderen nähern? So verlockend die Analogien zu Freuds Text sind, so offen bleibt die Ausstellung. Antworten will man bewusst nicht liefern, weder mit erklärenden Texten noch mit der Festschreibung, welche der gezeigten Objekte nun der einen oder der anderen Disziplin zuzuordnen wären.
Nicht nur auf den ersten Blick ist es eher eine Kunstausstellung geworden, bei der sich experimentelle Designer eingeschlichen haben. So etwa Martino Gamper mit seinen „Arnold Circus Stools“, denen er Einzelteile von klassischen Möbeln verpasst hat. Oder Jerszy Seymour mit Masken aus seinem „Amateur Workshop“, einer Art Versuchslabor für Alternativen zum kommerzialisierten Designbetrieb. Weiters das Schweizer Duo Kueng Caputo, das sieben Hocker mitgebracht hat, wovon zwei auf dem Podest stehen, wunderbar betitelt mit: „5 Chairs & 2 Art Pieces“. Es sei tendenziell schwieriger gewesen, hochwertige Arbeiten von Designern zu finden als gute Kunst, so Alexandra Waldburg-Wolfegg, eine der Kuratorinnen. Was wohl auch daran liegt, dass die meisten Designer mit Kunst und dem Kunstbetrieb wenig bis gar keine Erfahrung haben.
Oder hat der große alte Mann des italienischen Designs, Enzo Mari, tatsächlich recht, als er meinte, dass Design letztlich minderwertig sei und die Kunst vom Design überhaupt nichts lernen könne? Die wackeren Verteidiger von Design als ebenbürtiger Disziplin mögen sich damit trösten, dass es vor knapp zwei Jahren im Belvedere die Ausstellung „Wiener Musterzimmer“ gab, bei der Künstler die Idee eines Idealraums verwirklichen sollten – was zur Folge hatte, dass sich viele in der Designszene über das Gezeigte lustig machten, so nach dem Motto: „Schau dir mal an, wie unbedarft die Künstler mit so einer Aufgabe umgehen!“
Ist die Verquickung von Design und Kunst womöglich ein großes Missverständnis? Oder doch eine Chance, vor allem für die Designer? Und welchen Sinn machen diese Kategorisierungen? Mit diesen Fragen im Kopf verlässt man die Ausstellung, vielleicht etwas ratlos, aber inspiriert.
Totem and Taboo
Quartier 21, bis 20. 11.
Infos und Folder unter http://programm.mqw.at/
Tipp: Am 17. November gibt es einen Artist Talk mit dem amerikanischen Künstler Joe Scanlan, außerdem wird der Katalog zur Ausstellung präsentiert:
www.totemandtaboo.net/talks.html