Nach zahlreichen Produktionen für Theater, Film und Fernsehen ist Julia Franz Richter diesen Herbst gleich mit zwei Kinofilmen – Andreas Prochaskas »Welcome Home Baby« und Johanna Moders »Mother’s Baby« – zurück auf der großen Leinwand. Die Schauspielerin und Performerin über das Austesten von Grenzen, Mutterschaft im Horrorfilm und festgefahrene Stereotype.

Im schattigen Garten des Café Rüdigerhof tummeln sich die Leute. Drinnen hingegen herrscht an diesem heißen Sommertag eher gähnende Leere. Ein ungewöhnlicher Zustand für das Wiener Kultlokal. Julia Franz Richter sitzt bei unserem Eintreffen lässig in einer der gepolsterten Tischnischen. Dass sie sehr oft und gerne hier ist, erzählt sie später mit einem breiten Grinsen, als ein frisch eintrudelnder Kellner sie euphorisch begrüßt. Aus dem Rüdigerhof ist die in Wiener Neustadt geborene Schauspielerin und Performerin scheinbar ebenso nicht mehr wegzudenken wie aus der österreichischen Kulturszene.
Sie habe sich immer schon für »physische Räume, an denen Menschen kollektiv zusammenkommen, Geschichten gemeinsam erleben und anschließend darüber sprechen«, begeistern können, erzählt Richter. Und obwohl ihr schon lange etwas daran gelegen sei, in andere Rollen zu schlüpfen und Geschichten zu erzählen, sei der Wunsch, Schauspielerin zu werden, erst später gekommen: »Ich hatte bis auf die Kinder- und Jugendtheaterbesuche mit meiner Mama eigentlich null Berührungspunkte zum Theater. Dieses Bedürfnis nach angewandteren Räumen kam erst über die theoretische Auseinandersetzung mit Sprache, Literatur und Texten.« Schließlich sollte es das Komparatistikstudium in Wien sein, das Richter zu einem Schauspielstudium nach Graz und somit zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Ausdrucksformen und Arbeitsweisen im Theater führte.

Heute ist das Repertoire der Schauspielerin äußert vielfältig, reicht von Theater über Film und Fernsehen bis hin zur Performancekunst. Ihr Talent ist nicht unbemerkt geblieben. Davon zeugt neben zahlreichen Nestroy-, Romy- und Filmpreis-Nominierungen auch der Schauspielpreis der Diagonale für ihre Rolle in »Der Taucher«, den sie 2020 gewann. Im Vorjahr wurde sie außerdem vom österreichischen Kulturministerium mit dem Outstanding Artist Award in der Sparte Darstellende Kunst ausgezeichnet. Hervorgehoben wurden dabei besonders ihre scharfe Beobachtungsgabe, ihr intensives, körperliches Spiel sowie ihre Bandbreite an Emotionen. Ob auch sie darin ihre schauspielerischen Stärken sieht? »Ich finde das schwierig zu sagen, weil ich glaube, dass sich das von außen viel klarer beurteilen lässt. Grundsätzlich ist mein Zugang zu diesem Beruf – oder auch zum Leben selbst –, dass ich gerne Neues lerne und Herausforderungen mag. Ich bin sehr neugierig auf Menschen, ihre Geschichten sowie Erfahrungen und freue mich, wenn sich das auch in den Figuren widerspiegelt, die ich spiele. Darin liegt dann vielleicht das, was von außen als Bandbreite gesehen wird.« Wie gut sie unterschiedlichste Rollen einnehmen und mit neuen Herausforderungen umgehen kann, wird spätestens in ihren beiden aktuellen Kinofilmen deutlich. In Andreas Prochaskas »Welcome Home Baby« und Johanna Moders »Mother’s Baby« verkörpert Richter Figuren, die konträrer nicht sein könnten.
Heimat als Grenzerfahrung
Prochaskas Psychothriller bietet nicht nur ein bildgewaltiges Horrorspektakel, sondern vereint auch die Themen Mutterschaft, Selbstbestimmung und transgenerationales Trauma. Gerade die letzten beiden Motive, hätten sie beim Lesen des Drehbuchs sofort angesprochen, so Richter. Im Film spielt sie die Hauptfigur Judith, die das Haus ihres Vaters in Österreich erbt, ohne diesen oder ihre Mutter je kennengelernt zu haben. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Ryan (Reinout Scholten von Aschat) beschließt sie, in das kleine Heimatdorf ihrer Eltern zu reisen, um den Verkauf des Grundstücks abzuwickeln. Doch die Konfrontation mit ihrer zwielichtigen Tante Paula (Gerti Drassl) und der restlichen Dorfgemeinschaft gerät für Judith zu einer psychischen Grenzerfahrung. Allen ist scheinbar daran gelegen, sie nicht mehr gehen zu lassen. »Dieses Stadt-Land-Gefälle, die Landflucht und der Konservativismus, der in so einer Gemeinschaft verhaftet ist, haben mich interessiert«, erklärt Richter.

Je länger sich Judiths Aufenthalt zieht, desto stärker holen sie die Bilder und Erinnerungen aus ihrer rätselhaften Kindheit ein – was sich zunehmend auch körperlich äußert. Hatte Richter Strategien, um diesen Wandel darzustellen? »Es war wichtig, bereits zu Beginn ein sehr klares Bild einer autonomen und im Leben stehenden Figur zu zeichnen, um dann eine Durchlässigkeit und Offenheit für die sich anbahnenden Extremzustände mitbringen zu können.« Diese Ausnahmesituationen nach dem Dreh wieder hinter sich zu lassen, dabei habe ihr nicht zuletzt eine Eigenheit des Genres geholfen: »Der Horror, der sich im Film über den Sound, Effekte oder Brüche erzählt, ist am Set ja nicht gegeben. Da ist die Arbeit viel trockener.«
Mutterschaftshorror
Übernatürliche Babys, traumatische Geburten, Blut, Angst und Schrecken: Das Motiv der Mutterschaft ist spätestens seit »Rosemaries Baby« ein fester Bestandteil im Horroruniversum. Doch warum findet sich gerade dort so eine gute Grundlage, um dem Thema zu begegnen? »Für mich – ohne jetzt selbst Mutter zu sein – gibt es im Horrorfilm das Potenzial, den Transformationsprozess, den Mutterschaft mit sich bringt und der ja auch etwas irrsinnig Brutales haben kann, anders zu erzählen. Gerade auch im Hinblick darauf, dass Mutterschaft sehr lange auf idealisierte Weise und aus stark männlicher Perspektive dargestellt worden ist.«
Im Fall von Judith zeige sich das eher über den Emanzipationsprozess, den die Figur durchläuft, sowie über den Druck, dem sie vonseiten der weiblichen Dorfgemeinschaft zunehmend ausgesetzt ist: »Das kenne ich selbst auch – diese Auseinandersetzung mit gewissen Werten und damit, wie du als Frau zu sein hast; eben dieses Ideal einer Mutterfigur.« Besonders im Sich-Ekeln und -Gruseln sieht Richter eine Möglichkeit, auch andere Aspekte des Mutterseins zu bearbeiten, etwa postnatale Depression, ein Unwohlsein mit dem eigenen Körper, aber auch Angst: »Ich glaube, dass Horror fast etwas Kathartisches haben kann – gerade für FLINTA*-Personen –, wenn weibliche Körper plötzlich nicht mehr nach gewissen Sehgewohnheiten funktionieren müssen.«
Selbst Druck ausüben
Das alles sind Motive, die auch in Johanna Moders »Mother’s Baby« eine zentrale Rolle spielen. Der Thriller erzählt äußerst geschickt von einer traumatischen Geburtserfahrung und dem Unbehagen einer Mutter gegenüber ihrem ersten Kind. Julia (Marie Leuenberger) ist sich sicher, dass mit ihrem Baby etwas nicht stimmt, während ihr familiäres und ärztliches Umfeld versucht, sie vehement vom Gegenteil zu überzeugen. Darunter auch die Hebamme Gerlinde, verkörpert von Richter, die doch eigentlich nur das Beste für Julia zu wollen scheint.
»Das ist lustig, verglichen mit ›Welcome Home Baby‹, denn hier bin ich ja selbst in einer Rolle, die einer anderen Frau Druck aufbaut, indem sie sagt: ›So müsstest du dich eigentlich als Mutter fühlen.‹« Während Richter als Judith also versuche, sich aus ebendiesem Zustand zu befreien, gehe es bei Gerlinde gerade darum, »diese gesellschaftliche Wertung zu verkörpern« und ihrem Gegenüber mit einer gewissen Übergriffigkeit zu begegnen. Etwas, das ihr nicht immer leichtgefallen sei, so Richter. »Johanna (Moder; Anm.) meinte immer, ich sei eigentlich noch zu nett. Ich hatte den Impuls, dass ich mit meiner eigenen Figur sympathisieren will und dass andere Menschen ihr Verhalten nachvollziehbar finden sollen. Aber natürlich hat meine Figur innerhalb der Handlung eine andere Funktion.«

Vorbereitung ist alles
Die Drehstarttermine beider Filme lagen gerade einmal zwei Monate auseinander, von Gerlinde zu Judith gab es einen fliegenden Wechsel. Und obwohl sie eigentlich nur ungern parallel an Sachen arbeite, habe ihr das in diesem Fall sogar geholfen. Richter: »Dadurch, dass es inhaltlich schon einige Parallelen gab und ich ja quasi zweimal ein Kind zur Welt bringen musste (lacht), hat es sich in der Vorbereitung manchmal gut ergänzt.« Während sie für »Mother’s Baby« eng mit Hebammen zusammenarbeitete, besuchte sie für »Welcome Home Baby« Notärzt*innen, um einen realistischen Einblick in den Geburtsprozess zu gewinnen. »So habe ich ein bisschen ein Gefühl dafür bekommen – und mir am Ende sogar eingebildet, ich könnte wirklich bei einer Geburt helfen (lacht).«
Die richtige Vorbereitung war aber nicht nur in Bezug auf das Thema Geburten essenziell, sondern auch hinsichtlich der eindrucksvollen Unterwasserszenen in »Welcome Home Baby«. Während einige davon in einem extra dafür ausgerichteten Becken in Wien gefilmt wurden, musste Richter sich in Vorbereitung auf Szenen, die in einer Grotte spielen, sogar im Eisbaden üben. Ein Problem? Fehlanzeige. »Ich habe lustigerweise einen extremen Ehrgeiz in diesen Dingen. Es hat Spaß gemacht zu lernen, wie das geht.« Besonders in der Ruhe, die diese Szenen mit sich brachten und in der Kontrolle von Atmung und Puls, lag für die Schauspielerin der nötige Ansporn: »Für mich als eher aufgedrehte Person, hatte das einen total meditativen Effekt. Und ich entwickelte große Lust daran, auch körperlich in diese Extremzustände einzutauchen.«
Von Anfang an hatte Richter außerdem das Gefühl, dass Regisseur Andreas Prochaska sehr offen für Fragen gewesen sei. Das war auch notwendig. »Es hat sich schnell herausgestellt, dass es da viel gegenseitiges Vertrauen braucht.« Gerade in Bezug auf die Unterwasserszenen, in denen Schauspieler*innen leicht an körperliche und mentale Grenzen geraten können. Während Richter ihre heutigen Spielpartner*innen Gerti Drassl, Maria Hofstätter, Inge Maux und Co lange Zeit aus der Ferne bewundert hat, steht sie nun selbst in der ersten Reihe – und bekundet ihre Anerkennung: »Es war eine feine Zusammenarbeit, weil ich alle auch menschlich als unglaublich intelligente, starke und fürsorgliche Kolleg*innen erlebt habe.« Besonders die gute Atmosphäre und der Humor am Set hätten dazu beigetragen, sich auch von den extremsten Situationen immer wieder schnell erholen zu können.

Spiel in zwei Welten
An ihrer Arbeit im Film schätzt Richter besonders die Möglichkeit, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen und mit Geschichten ein breites Publikum zu erreichen. Produktionen wie »Welcome Home Baby« und »Mother’s Baby« würden demonstrieren, dass sich auch die österreichische Filmbranche immer mutiger in Richtung Genrekino streckt. Ob sie die Arbeit im Theater dennoch manchmal vermisst? »Theater und Film sind scheinbar nah beieinander, aber gleichzeitig sind es irgendwie auch völlig andere Arbeitsweisen und Welten.« Im Unterschied zum Film sei das Theater nach wie vor viel diskurslastiger und biete die Möglichkeit, gemeinsam über sechs Wochen an einem Stück zu arbeiten. Besonders der unmittelbare Austausch mache die Arbeit am Theater zu etwas Einzigartigem. »Manchmal vermisse ich es, Vorstellungen zu spielen, weil es da wirklich jedes Mal diesen Dialog mit dem Publikum gibt – das hat man im Film halt einfach nicht.«
Auch im Umgang mit Texten sieht Richter einen großen Unterschied: »Natürlich hast du im Theater andere Ausdrucksmöglichkeiten, weil du performativer oder abstrakter arbeiten kannst. Beim Film sind die Spielweisen notwendigerweise mehr im Psychologischen verhaftet.« An neuen, innovativen Performanceformen versucht sich Richter auch abseits ihrer Tätigkeit als Schauspielerin. Im Frühjahr 2023 rief sie gemeinsam mit Regisseur Felix Hafner und Musiker Clemens Wenger das Franz Pop Collective ins Leben. Die im Zuge dessen entstandene Debüt-EP »Wuman on a Sofa« brachte das interdisziplinär arbeitende Trio im Studio Brut schließlich als hybride Popmusikperformance auf die Bühne.
Stereotype aufbrechen
Julia Franz Richters künstlerisches Schaffen zeichnet sich gesamtheitlich durch ihre unermüdliche Lust aus, Neues auszuprobieren; durch ihre Weigerung, sich in Schubladen stecken zu lassen. Etwas, »das gerade in einer überschaubaren Branche wie in Österreich ja schnell mal passieren kann, wenn du öfter eine gewisse Form von Figur gespielt hast«. Ihr liege viel daran, sich mit unterschiedlichen Rollen und Themen zu beschäftigen und viele verschiedene Geschichten und Perspektiven zu erzählen. In ihrer bisherigen Arbeit sind tatsächlich schon sehr viele Genres dabei gewesen – »besonders dafür, dass ich viel in Österreich gearbeitet habe«, wie sie selbst betont. Es brauche aber noch viel mehr Mut bei der Besetzung, man müsse weniger in Schubladen und vielschichtiger denken.
Diese Diversität habe für Richter auch gesellschaftliche Relevanz, denn gerade durch ihre Arbeit als Schauspielerin sei die Beschäftigung mit queer-feministischen Themen für sie »zu einer immer größeren Notwendigkeit geworden«. Im Wiederholen und Performen von immer gleichen Rollen und Stereotypen zeige sich, wie diese sich über die Jahrzehnte festgesetzt haben. Für sie selbst ein ambivalentes Problem: »Als Spielerin muss ich immer wieder in Rollen schlüpfen, bei denen ich das Gefühl habe, ich als Julia bin da eigentlich schon ein bisschen weiter. Beziehungsweise, dass auch die Gesellschaft, in der wir leben, weit diverser ist als die abgebildete.«
Welche Genres und Rollen uns in Zukunft noch erwarten könnten? »Was ich grundsätzlich sehr schätze – sowohl als Zuseherin als auch als Darstellerin – sind Sci-Fi-Stoffe. Eigentlich jegliche Form von Spekulativem.« Mit »Rubikon« (2022) hat sie da bereits einen markanten Eintrag in ihrer Filmografie zu verzeichnen. Und auch ihre bislang eher zu kurz gekommene Arbeit im komödiantischen Bereich (erst letztes Jahr überzeugte sie in »Pfau – Bin ich echt?«) habe sie immer als höchst befreiend empfunden. Sie schätze »gute, kluge, scharfe Komödien und jene Figuren, die darin funktionieren, die scharfkantiger sind sowie etwas Böses oder Widerspenstiges haben«. In diesem Bereich habe sie das Gefühl, dass es noch einiges an Spielraum für sie zu entdecken gibt. Dass sie sich durchaus vorstellen könne, »in eine ganz andere Form von Welt und Geschichte einzutauchen«, scheint wenig verwunderlich, denn eines wird im Austausch mit ihr jedenfalls deutlich: Julia Franz Richter ist eine Person, die nicht vor Neuem zurückschreckt und immer wieder für eine Überraschung gut ist – für uns, aber vermutlich auch für sich selbst.
»Welcome Home Baby« mit Julia Franz Richter in der Hauptrolle startet am 3. Oktober 2025 in den österreichischen Kinos. Ab dem 24. Oktober 2025 ist dann auch »Mother’s Baby« ebendort zu sehen.