Über den gleichermaßen beunruhigenden wie passenden Soundtrack zur neuen Staffel von »Twin Peaks« anlässlich deren Veröffentlichung auf DVD und Blu-Ray.
David Lynch gilt seit jeher als Meister der symbiotischen Verbindung von Film und Musik. Er identifizierte sich früh als herausragender, mitunter zweifelhaft exzentrischer Fetischist (»Eraserhead«, »Der Elefantenmensch«), der verbotene Sehnsüchte des Lebens und dessen Tabus schonungslos porträtierte, sie später in »Blue Velvet« und »Mulholland Drive« mit verwirrenden Szenenwechseln und einer surrealistischen Bildsprache verwob und akustisch immer weiter vertiefen konnte. Diese luzide, für Lynch so unverkennbare Formensprache in Verbindung mit brodelnden, alles untergrabenden und gerade deshalb so wichtigen Soundtracks, ist in all seinen Filmen präsent.
Gemeinsam mit dem Komponisten Angelo Badalamenti produzierte David Lynch auch die ikonische Unter- und Übermalung der beiden ersten Staffeln von »Twin Peaks« Anfang der 90er-Jahre. Die Musik, die die ZuseherInnen über insgesamt 30 Folgen begleitete, wandelte irgendwo zwischen erdrückend dichtem Jazz aus reaktionär verqualmten Kellerlokalen, träumerischen Synthesizer-Melodien und meisterhaft sphärischen, unendlich melancholisch anmutenden Streichertiraden. Sie diente nicht nur als essenzielle Stütze von Lynchs Filmkosmos – längst entwickelte der Soundtrack sein eigenes Leben über die Serie hinaus, wurde mehrfach ausgezeichnet und wirkt – mehr als 25 Jahre später – erfrischender und aktueller denn je. Mit der nun auf DVD erschienenen dritten Staffel von »Twin Peaks«, auch als »Twin Peaks: The Return« bzw. »Twin Peaks – A Limited Event Series« bekannt, gelingt den beiden Machern Mark Frost und David Lynch ein bisher kaum für möglich gehaltenes Revival, das die Mystik der Serie nicht nur aufzuleben, sondern auch überaus visionär weiterzuentwickeln vermag.
Bis hinein in die Provinz
Bereits nach den ersten Folgen der neuen Staffel zeichnet sich eine geografische Dezentralisierung der Storyline ab. Offenbar haben sich Frost und Lynch ganz bewusst dafür entschieden, die Geschichte über das kleine Städtchen Twin Peaks hinaus zu erweitern. Eine Entscheidung, die an unterschiedlichste Orte führt – von Las Vegas über New York, Buenos Aires bis hinein in die Provinz nach Buckhorn, South Dakota. Als ZuseherIn verbringt man dadurch relativ wenig Zeit in der titelgebenden Stadt selbst – auch wenn der Handlungsstrang immer wieder nach Twin Peaks zurückreicht. Allerdings sind diese, in unregelmäßigen Abständen auftretenden Szenen oft nichts weiter als unmittelbare Erinnerungen daran, dass jede noch so weit entfernte und skurril bis bizarr anmutende Szene offenbar direkt mit der kleinen Stadt im Nordosten von Washington in Verbindung zu bringen ist.
Dieser Umstand stellt schließlich auch die Schwierigkeit dieser Staffel dar. Sie würde in ihrer weit zerstreuten Zusammensetzung ungleich schwerer und unbeholfener funktionieren, wären da nicht die großartigen ambientösen Abgründe, die von David Lynch und dessen langjährigem Sound-Supervisor Dean Hurley aufgeworfen werden. Der Soundtrack ist in den seltensten Momenten auf seinen begleitenden Charakter reduziert. Vielmehr stellt er das Verständnis und die begreifende Verbindung her, um das Gezeigte überhaupt einordnen zu können. Er agiert quasi für sich allein und ist doch unablässig mit der Handlung verwoben. Die Musik und das Sound-Design sind die Show, sie funktionieren als entscheidender Schlüssel, der das Tor zu dieser verschrobenen und unnachahmlich verstörenden Kunst öffnet.
Dunkle Klänge, entferntes Rauschen
Was in dieser Hinsicht nach der ersten Folge am meisten auffällt, ist die Abstinenz der klassisch-charakteristischen Angelo-Badalamenti-Motive. Bis auf eine kurze, aber einigermaßen ergreifende Nummer (»Frank 2000«), die Badalamenti zusammen mit David Lynch als Thought Gang aufgenommen hat, wird vorerst gänzlich auf seine musikalische Unterstützung verzichtet. Der Soundtrack besteht dabei vordergründig aus düster-dunklen, gänzlich form- und gesichtslosen Klängen, die trotz ihrer Immaterialität bedrohlich angreifbar wirken. Wie elektromagnetische Spannung laden sie die Handlung im Hintergrund dramaturgisch auf. David Lynch und Dean Hurley lassen dadurch sukzessive ein knisterndes, beinahe überschäumendes Gemisch aus dunklen Klängen und entferntem Rauschen entstehen, das sich unmerklich ausbreitet und sich immer weiter zu einer fast unerträglich anstauenden Spannung (»Glasbox«) hochschraubt. Dabei entfaltet sich gleichzeitig auch die Genialität der Zusammenarbeit von Lynch und Hurley. Je weiter die Zeit in der Serie voranschreitet, desto mehr löst sich dieses elektrisch aufgeladene Surren und Summen im Hintergrund auf. Es verschwindet irgendwann unmerklich zur Gänze und wird durch die dynamische Beziehung aus musikalisch hervorgerufenen, nostalgischen Erinnerungen und der sicheren Erkenntnis, etwas völlig Neues zu erleben, abgelöst. Die Vergangenheit der filmischen Geschichte, so scheint es, wiegt allerdings unendlich schwer. Sie kann doch niemals vergessen werden.
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