Über den gleichermaßen beunruhigenden wie passenden Soundtrack zur neuen Staffel von »Twin Peaks« anlässlich deren Veröffentlichung auf DVD und Blu-Ray.
Angelo Badalamenti findet schließlich in der sechsten Folge zurück an die Regler. Die herzzerreißende, von atemberaubender Traurigkeit durchzogene Unfallszene mag erdrückend lang inszeniert erscheinen, findet mit Badalamenti aber einen Komponisten, der die Dynamik der gesamten Sequenz in einem hermetisch geschlossenen Behälter einfängt und die dargebotene Tragik mit rasiermesserscharfen Synthesizerspitzen bis zur völligen Auflösung treibt. Es ist eine untrennbare Widersprüchlichkeit zwischen Nähe und Distanz, von der im Anschluss daran nur noch vereinzelt-verstreute Fragmente übrig bleiben.
Überschäumende Tragik
Die achte Folge zeigt über lange, tief bewegende Minuten einen Atombombentest von 1945. Während sich die Kamera langsam aber beständig immer weiter auf den Atompilz zubewegt, um irgendwann in den Rauchschwaden unterzugehen, hört man im Hintergrund ein nervenaufreibendes Rauschen, das durch das Einsetzen dissonanter Klänge unter der Regie von Krzysztof Pendericki (»Threnody To The Victims Of Hiroshima«) zur psychoakustischen Zerreißprobe wird. Die Sequenzen sind von solch überschäumender Tragik durchzogen, dass es unmöglich ist, den Blick auch nur für einen kurzen Moment davon abzuwenden. Es sind beeindruckend beängstigende Bilder, die in Kombination mit der Musik (direkt übergehend in Beethovens »Mondscheinsonate«) ihre unheimliche Erhabenheit entfalten können.
Allerdings gelingt es David Lynch durchaus auch, die weniger tragischen und bisweilen sogar einzig auf ihren karikierenden Zweck reduzierten Einstellungen passend musikalisch zu untermalen. Es ist –wie in Folge vier – schlicht unfassbar komisch, Dougie Jones (Kyle MacLachlan) in einem viel zu großen, froschgrünen Sakko und einer Krawatte über dem Kopf dabei zuzusehen, wie er zu Dave Brubecks swingendem Jazz-Klassiker »Take Five« den verzweifelt-katatonischen Versuch unternimmt, einen Pancake zu essen und sich an heißem Kaffee verbrüht.
Außerdem zeigt sich ein gewisser Johnny Jewel (von der Band Chromatics) geradezu in verspielter Synth-Pop-Laune, wenn es darum geht, die süße Erinnerung an Julee Cruises Serientitelstück »Falling« aufleben zu lassen. Seine Zusammenarbeit mit David Lynch führte letztendlich auch zu seinem, im letzten Jahr erschienen großartigen Album »Windswept«, dessen Stücke in mehreren Folgen Verwendung finden.
Epizentrum Twin Peaks
Apropos Chromatics: Die Synth-Pop-Band aus Portland hat, wie manch andere Band auch, ihren szenischen Auftritt im fiktionalen Roadhouse, der Bang Bang Bar. Lynch entschied sich nämlich dafür, einen Großteil der Folgen jeweils auf diese Weise zu beenden. Au Revoir Simone, die grandiose, auf eine lose Zusammensetzung reduzierte Band Trouble (mit Dean Hurley, Alex Zhang Hungtai aka Dirty Beaches und Riley Lynch) sowie die wunderbare Sängerin Sharon Van Etten, die Industrial-Rocker rund um Nine Inch Nails und Hudson Mohawke performen als Gäste in der Serie. Obwohl diese dramaturgische Idee zu Beginn eher als fader Stilbruch wirkt, macht die Entscheidung mit zunehmendem Voranschreiten der Staffel durchaus Sinn. Denn mit den Konzertaufnahmen aus der Bar konzentrieren sich die abschließenden Minuten letztlich doch einmal mehr auf Twin Peaks – ein mitunter überbewerteter aber für die Serie sicherlich nicht unwesentlicher Ansatz, der darüberhinaus deutlich macht, wie wichtig die Stadt, ihre BewohnerInnen und deren Geschichte für die verstreuten Verstrebungen der Serie sind. Außerdem eröffnet sich Lynch mit den Gastauftritten einem breiteren musikalischen Spektrum, lässt behaglich neue Einflüsse in die Serie und hat – man kann es sich förmlich vorstellen – großen Spaß dabei. Das Epizentrum jedenfalls ist und bleibt Twin Peaks, ganz egal, in welch abgelegenen geografischen Gefilden man sich kurz zuvor noch befunden haben mag. Die Handlung nimmt von dort aus ihren Lauf und wird wohl auch an selber Stelle zu ihrem Ende finden.
Die dritte Staffel von »Twin Peaks« mag in vielerlei Hinsicht eine kinematografische Verstörung sein. Gleichzeitig war die Verbindung von Musik und Film selten passender, selten beunruhigender und doch selten eindrucksvoller gewählt als in diesen abschließenden 18 Folgen. Diese stellen mehr als die solide Weiterführung einer Serie dar, die sich damit in großen Teilen neu erfindet und auch neu erfinden muss, um sich wie ein erweiterter Rausch im Lynch’schen Universum anzufühlen. Das Spätwerk eines Meisters. Abstrakt, verstörend und allen subversiven Köpfen wärmstens ans Herz gelegt.
»Twin Peaks – A Limited Event Series« ist am 29. März 2018 samt ausführlichem Bonusmaterial auf DVD und Blu-Ray erschienen. Unerschöpfliche Infos zu »Twin Peaks« finden sich hier, unsere »10 Dinge über ›Twin Peaks‹« hier.