Konservative Korrekturen

Ein Sammelband mit Texten konservativer Vordenker legt wertebewahrenden Gehirnschmalz in die Waagschaale und versucht die ideologische Gegenreformation der österreichischen Politik. Juliane Alton, Grüne Vorarlberg, holt in The Gap zur Kritik an der Kritik aus.

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Der Sammelband will Schwach- und Bruchstellen des politischen Systems erörtern und „zeigt, wie mit einem Rekurs auf konservative Tugenden Demokratien und Wirtschaft wieder prosperieren können.“ (Vorwort) Die derzeit vorherrschende Politik wird als „utilitaristischmaterialistisches Einheitsdenken“ denunziert, das unter der kulturellen Hegemonie der Linken entstanden sei. Schon im Vorwort wird somit eine Untugend praktiziert, die keineswegs ein Privileg konservativer Denker/innen darstellt: die eigene Position wird als Alternative zu einem entgegengesetzten, einheitlichen Mainstream gesetzt. Die Gesellschaft und ihr politischen Strömungen sind aber wesentlich vielfältiger, und was als Einheitsbrei imaginiert wird, ist ein Geflecht von vielen widerstreitenden Ideen und Interessen.

A. Tafelsilber für die Waagschale – C. S. Moser

Der Artikel ist keine „kritische Bestandsaufnahme (…) einer metapolitischen Debatte“, er ist vielmehr eine wütende Polemik. Das zeigt sich zunächst an der verwendeten Terminologie, die ohne Definition und ohne Einbettung in die Literatur als Kampfbegriffe werden:

⁃ Der „ökologisch-sozialindustrielle Komplex“ (S. 13) mag lustig gemeint sein. Der Einfluss der einschlägigen Einrichtungen ist mit jenem des militärisch-industriellen Komplexes (vor dem Präsident Eisenhower – kein Linker – schon gewarnt hat) in keiner Weise zu vergleichen. Moser unterliegt auch dem Missverständnis, die in Sozial- und Umwelteinrichtungen arbeitenden Menschen würden ihr Tun als ein altruistisches begreifen. Nein, da geht es schlicht um Aufgaben, die zu erledigen sind und die großteils auch bezahlt werden.

⁃ Moser schreibt konsequent von einer „Kulturrevolution von 1968“. Das kann nicht lustig gemeint sein, wenn auf die chinesische Viererbande und die dortige zerstörerische Kulturrevolution angespielt wird. Es wurden gesellschaftspolitische Reformen durch die 68er Bewegung ausgelöst, welche für die Mehrheit der Bevölkerung überaus positive Wirkungen entfalteten, insbesondere für die Frauen, die davor – so sie verheiratet waren – nicht selbst bestimmen durften, ob sie z.B. erwerbstätig sein wollten oder nicht.

⁃ In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Feminismus als „special Interest“ Thema, als Partikularinteresse beschrieben wird. Und ja: laut Moser gibt es seit 1968 „Abtreibungsfreiheit“. Die gibt es aber bis heute nicht. Es erstaunt mich, dass sich immer Männer moralisch über „Abtreibung“ entrüsten, sie haben es ja in der Hand, Abtreibungen zu verhindern. Sie müssten darauf verzichten, sexuellen Druck auf Frauen auszuüben, sie müssten ihren Anteil an Verhütungsarbeit übernehmen oder ihren Anteil an der Kindererziehung – ist das so schwer, konservative Männer?

⁃ Und was ist mit „Massendemokratie“ gemeint? Soll es Demokratie nur für wenige geben, wenn diesem Begriff ein negativer Beiklang gegeben wird? Oder fehlt es hier einem Konservativen an schlichtesten Sprachkenntnissen des Altgiechischen? „Kratein“ = herrschen soll „Demos“ – das Volk!

Der Artikel ist von hoch emotionaler Ablehnung alles „Linken“ getragen und lässt sich so zu wirklichen Unkorrektheiten hinreißen. Es werden ohne Quellenangaben „Linke“ zitiert: Die Grüne Jugend verlange „das Ende der unsäglichen Subventionierung der heterosexuellen Liebe durch das Ehegattensplitting“ (S. 12) – vielleicht, aber wo finde ich diese Aussage? Ähnliches gilt, wo die Autoren Mark Terkessidis und Tom Holert („Mainstream der Minderheiten“) als „Konservative“ reklamiert werden – eine Zuschreibung, der sie sich selbst wohl kaum anschließen würden.

Interessant hätte der Artikel werden können, wo eine Allianz der 68er mit dem Kapitalismus beschrieben wird (bedingungslose Bedürfnisbefriedigung jetzt sofort). „Das Wesen der Kulturrevolution manifestiert sich in der Vorrangstellung des Lustprinzips. Lust ist nicht länger der Lohn für eine Tätigkeit (…). Lust ist ein elementarer, natürlicher und jedem zustehender Akt – jederzeit abrufbare Befriedigung auf Knopfdruck.“ (S. 29) Ausgeblendet wird hier, dass z.B. eine frühe Manifestation der 68er Bewegung Kaufhausbrandstiftungen waren, die sich gegen kapitalistische Bedürfnisbefriedigung durch Konsum wandten. Ebenso ausgeblendet wird die unter Linken weit verbreitete Identifikation von Erwerbsarbeit mit Sinnstiftung.

Den Linken wird generell ein „unverbindlicher Wertepluralismus“ (S. 29) unterstellt, es wird ihnen also jegliche Wertebasis abgesprochen. Im Gegensatz dazu gibt es laut Moser für Konservative eine unverrückbare Wertebasis, nämlich den Dekalog. Immerhin, doch ich würde behaupten, die gemeinsame Wertebasis der Linken wäre breiter und differenzierter, auch zeitgemäßer: die allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Wer wissen will, welche emotionalisierten Vorstellungen einige in der Wolle gefärbte Konservative von „Linken“ haben, kann diesen Artikel mit Gewinn lesen. Auch wer wissen will, welche Autor/innen als „Gottseibeiuns“ mancher Konservativer herhalten müssen (z.B. Robert Misik).

B. Der starke Staat als Ideal und Illusion – P. Plickert

Plickert ist ein fundierter Ökonom und guter Schreiber. Sein Artikel ist mit Gewinn zu lesen, seine Schlussfolgerungen sind weitgehend nachvollziehbar, wenn man sich mit seinen Grundannahmen identifizieren mag. Plickert sieht in einem Staat, der den privaten Akteur/innen am Markt die Haftung für Risiken abnimmt nur die Illusion eines starken Staates. Ein solcher Staat, der ständig interveniert durch Förderungen und Haftungen sei der Spielball von Lobbygruppen, die ohne Skrupel Gewinne einstreichen und Verluste sozialisieren. Stark sei vielmehr ein Staat, der ein klares Regelgerüst aufstellt und durchsetzt. Nur wer selbst für Risiken einstehen müsse, bringe die notwendige Sorgfalt und Disziplin auf, Entscheidungen über Investments vernünftig zu fällen.

Einige Grundannahmen dürfen allerdings hinterfragt werden:

– Ist die Ökonomie eine exakte Wissenschaft? Plickert versucht das glauben zu machen. Allein das Faktum, dass es für jedes Szenario eine Vielzahl von Modellen gibt, die einander widersprechen, schließt das aus. Modellrechnungen beruhen immer auf Grundannahmen, die ideologisch gefärbt oder schlicht falsch sein können.

⁃ Ist die FED (Federal Reserve System – Amerikanische Notenbank) staatlich? Auch wenn das Direktorium vom Präsidenten ernannt wird: die FED ist zu 100% im Eigentum der großen amerikanischen Privatbanken. Entsprechend gestaltet sie ihre Fiskalpolitik, die ihre Eigentümer durchaus begünstigt – auch mit der Politik des billigen Geldes, das Plickert als Politikversagen beschreibt. Seine Aussage: „Die staatlichen Akteure, die sich 2008/2009 als Feuerwehr betätigten, waren zuvor die Brandstifter.“ ist also zumindest zur Hälfte falsch.

– Ist Keynes schuld an der Misere? Er hat Deficit Spending nur für die Zeit schwerer Konjunktureinbrüche mit hoher Arbeitslosigkeit empfohlen. Das notwendige Polster hierfür sollte in Zeiten guter Konjunktur angespart werden. Das Ignorieren dieser Regel als Staatsversagen zu sehen, ist nachvollziehbar.

– Ist staatliche Intervention grundsätzlich schlecht? Schweden, das gut dasteht, wird derzeit zwar „konservativ“ regiert. Die Konservativen regieren aber erst, seit sie das Konzept der „starken Gesellschaft“ von den Sozialdemokraten übernommen haben. Die Basis für die starke Gesellschaft legten die Sozialdemokraten unter Olof Palme in den 1970er und 1980er Jahren, als die Gleichstellung der Frauen wichtigstes politisches Thema mit weitreichenden (positiven) ökonomischen Folgen war (siehe dazu u.a. H. Berggrens Palme-Biografie). Auch in Österreich waren die 1970er Jahre mit all ihren gesellschaftlichen Reformen keineswegs eine Zeit, in der die Staatsschulden wuchsen, im Gegenteil: sie nahmen ab. Es kommt eben weniger darauf an, ob es staatlichen Interventionen gibt, sondern welche. Es macht einen Unterschied, ob Abfangjäger gekauft oder Universitäten finanziert werden.

– Dass die Sozial- und Quotenpolitik demokratischer Präsidenten der Grund für die Subprimekrise war, lässt sich zwar behaupten. Dass 50% der Kredite an „Arme“ vergeben werden sollten (Community Reinvestment Act) hätte nicht dazu führen müssen, dass Banken keine Bonitätsprüfungen mehr vornehmen und Ratingagenturen die Ramschkredite mit der selben Bonität einstuften wie deutsche Staatsanleihen. Im Gegenteil, die Privaten wären gefordert gewesen, Investments in den Klein- und Mittelbetrieben zu suchen, niemand hat sie gezwungen, Ninjas (No Income, No Job, No Assets) mit Krediten in der Höhe von 120% des aktuellen Werts ihrer Immobilien zu bedienen. Für Hypothekarkredite gibt es eine gute, konservative! Regel: Nicht mehr als 60% des aktuellen Werts mit einem Kredit zu unterlegen. Die wurde von privaten Akteuren (Banken und Ratingagenturen) gebrochen.

– Ein wichtiger Grund hierfür war die große Menge an Kapital, das so hohe Renditen suchte, wie sie in der Realwirtschaft nicht zu lukrieren sind, weder früher noch heute. So viel frei flottierendes Kapital in den entwickelten Ländern gab es aufgrund des Aufklaffens von sozialen Unterschieden und der Akkumulation großer Reichtümer in den Händen weniger. Hier gab es wohl einen Mangel an staatlicher Intervention, damit Gewinne und Lohnabschlüsse in einem sinnvollen Verhältnis bleiben. Das ist auch ein Versagen von Gewerkschaften, die im übrigen private Einrichtungen sind. Wenn in Frankreich die zu geringen Lohnabschlüsse in Deutschland kritisiert werden, ist es zynisch, dies als „nur wenig kaschierten Versuch, die Produktionskosten des Konkurrenten zu erhöhen“ zu beschreiben. Natürlich ist es ein Problem, wenn die „Konkurrenzfähigkeit“ der Unternehmen durch Druck auf soziale und andere Ressourcen „verbessert“ wird. Staatliche Intervention gab es hier zu wenige, nicht zu viel.

– Reichlich abstrus gestalten sich Plickerts Ausführungen zu Demographie und Zuwanderung, wenn er über die Abnahme der „autochthonen“ Bevölkerung schreibt. Abgesehen von Missverständnissen, wer denn autochthon sei, ist gerade die Zuwanderung ein Bereich, wo der Staat (auch die EU) klare Regeln vorgibt (Asylgründe der Genfer Konvention). Es ist unbestritten, dass es durch Zuwanderung mit verursachte Probleme gibt. Ausgelöst wurde die Zuwanderung durch private Akteure, die Heuerbüros in türkischen Städten betrieben und „Gastarbeiter“ als jederzeit verschiebbare Masse einzusetzen trachteten. Dass Menschen ohne Perspektive des Selbsterhalts durch Arbeit durch den Sozialstaat alimentiert werden, ohne solche Perspektiven zu eröffnen, ist das wirkliche Problem. Ebenso dass Banken ihre eigentlichen Aufgaben vernachlässigen (Kredite vergeben, nachdem die Bonität geprüft wurde; eine Sparquote bei der Bevölkerung zu erreichen) und unproduktiven oder zerstörerischen Beschäftigungen nachgehen.

– Es steht außer Frage, dass Familien den sozialen Zusammenhang stärken. Konservative haben jedoch stets die Schaffung von neuen sozialen Bindungen bekämpft, wenn es um andersartige soziale Strukturen ging (Patchworkfamilien, gleichgeschlechtliche Ehen…). Es geht nicht um die Alternative Kleinfamilie oder „hedonistischen, bindungsfeindlichen Individualismus“, es geht vielmehr darum, auch andere Formen der Bindung ernst zu nehmen. Die Familie wird deswegen nicht verschwinden.

– Für mich in keiner Weise nachvollziehbar sind Plickerts Ausführungen, die einem (rückgebauten) Nationalstaat das Wort reden. Dass es eine Wettbewerbsordnung geben soll, in der keine Wirtschaftseinheit so groß werden kann, dass sie „systemrelevant“ wird und nicht mehr pleite gehen darf, ist sinnvoll. Im gleichen Atemzug supranationale Strukturen wegen der Frage der Haftungsgemeinschaft zu kritisieren, scheint mehr als blauäugig. Es wäre naiv zu glauben, dass haltbare Wettbewerbsregeln nicht auf supranationaler sondern auf nationaler Ebene geschaffen werden können.

Wahrscheinlich könnte Plickert mir zustimmen, wenn ich ein supranationales Regelwerk für die Wirtschaft fordere, das dazu geeignet ist, das Gewinnstreben der Menschen in produktive Bahnen zu lenken, sodass es sich nur in der Realwirtschaft, nicht in der Finanzwirtschaft verwirklichen kann. Auch wenn es weh tut, dass dies keine Forderung konservativer Denker/innen ist.

C. Achtundsechzig und wir – R. Freudenstein

Freudenstein beschreibt die Reaktion und die „Bewältigung“ von 1968 durch die CDU und CSU in Deutschland in drei Phasen: Ablehnung – Absorption – Realignment und kommt zum Schluss, dass 1968 den durchschlagendsten Erfolg bei seinen direkten Gegnern hatte, den bürgerlichen Parteien, die sich aufgrund der gesellschaftlichen Reformen modernisieren mussten. Von 1968 geblieben sei Rita Süssmuth, zitiert er Habermas.

Interessant ist die Wahrnehmung gegenseitiger Zuschreibungen durch den Autor: 1968er und CDU-Vertreter/innen hätten sich gegenseitig als totalitär wahrgenommen. An einer Stelle lässt sich der Autor zu einer persönlichen Kritk hinreißen. Es sei ihm unverständlich, wie junge, gebildete Menschen einen brutalen asiatischen (sic!) Diktator wie Mao Zedong hätten verehren können. Nun, dieser Diktator hat China mit seiner Bewegung aus einer patriarchalen, geschlossenen, bürgerlichen Diktatur (Chiang Kai-Shek) und Klassengesellschaft zu einer beweglicheren Gesellschaft gemacht, in der Frauen zu vollwertigen Bürger/innen wurden. Das mag in den Augen des Autors vernachlässigbar sein. Aus dem Blickwinkel der Betroffenen ist es das bestimmt nicht.

D. Volk ohne Volksparteien – C.S. Moser

In diesem Text beschreibt Moser das Schrumpfen der Volksparteien (Sozialdemokraten und Christdemokraten), denen er große Integrationskraft und damit eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt der Gesellschaft zuschreibt. Aufgrund der vielen gesellschaftlichen Gruppen, die in den Volksparteien als Teilorganisationen präsent seien, würden Konflikte zwischen verschiedenen Interessenslagen in der parteiinternen Diskussion abgeschliffen und so „sachverhalts- und zielorientierte Lösungen“ gefunden.

Die Oppositionsparteien Grüne und FPÖ beschreibt Moser als moralisierend und auf Partikularinteressen fixiert (Grüne) bzw. als monothematisch (FPÖ). Wieder bricht – vor allem in der Beschreibung der Grünen – die Emotion durch. Das (nicht nur) von den Grünen geforderte Rauchverbot in Lokalen bedient für ihn ein solches Partikularinteresse. Auch in der Förderung des nicht motorisierten Verkehrs und der Reduktion des MIV in Wien (!) ortet er ein solches. Er übersieht dabei die einfache Tatsache, dass es sich sowohl bei den Raucher/innen als auch bei den Autofahrer/innen um Minderheiten handelt und in Wirklichkeit er selbst sich für Partikularinteressen ins Zeug legt.

Man ist versucht, des Autors Beschreibung der FPÖ auf ihn selbst anzuwenden: „In der Emotion, nicht in der Kraft des sachlich richtigen Arguments liegt die Stärke des Rechtspopulismus.“ (S. 185)

E. Konservative Theorie – konservative Praxis – T. Kinzel

Wie C.S. Moser bezieht sich auch Kinzel auf den „Sachbuchautor Thilo Sarrazin“ der „mit seinen Aussagen zum Bildungssystem in vielerlei Hinsicht Recht“ habe (Seite 204). Kinzel geht davon aus, dass der linken Forderung nach einer Gesamtschule eine „unrealistischen Anthropologie“ zu Grunde liegt, die unterschiedliche Begabungen und Lerngeschwindigkeiten nicht anerkennen wolle. „Es kann aber kaum einem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass [in Deutschland] auch im Fall einer flächendeckenden Einführung integrierter Gesamtschulen eine massive Absenkung des Leistungsniveaus eingetreten wäre.“ (S. 199) – eine schwache Ansage, der gegnerischen Position schlicht und einfach die Vernunft abzusprechen, ohne die eigene Haltung zu begründen.

Nun gab und gibt es zweifellos Irr- und Umwege in den reformpädagogischen Ansätzen (z.B. Grammatik nicht mehr zu unterrichten, weil nicht alle Kinder Grammatik verstehen könnten in den 1980er Jahren in Schweden. Die Annahme und der Schluss daraus sind unzutreffend bzw. unzweckmäßig). Das Problem der Konservativen scheint jedoch zu sein, dass die Idee der Gesamtschule eine „Gleichmacherei“ wäre, welche „nützliche Hierarchien“ in der Gesellschaft aufhebe. Gleichheit sei nicht dasselbe wie Gerechtigkeit, die Gleichheitsbestrebungen der Linken führten im Gegenteil zu Ungerechtigkeiten und sogar Entdemokratisierung (S. 195). Als Beispiel hierfür nennt Kinzel die Frauenförderung an den Universitäten, wo „von willfährigen Hochschullehrern und anderen Mitläufern“ eine „so genannte Gleichstellungspolitik“ zu Ungunsten von Männern umgesetzt würde (S. 194). Das müsse zu einer Untergrabung des Vertrauens in die Legitimität der Rechtsordnung führen. Gefordert sei Sachlichkeit.

Nun darf gefragt werden, ob es sachliche Argumente und Kriterien waren, nach denen Frauen aus vielen Lebensbereichen ausgeschlossen wurden oder doch vielmehr die paulinische Haltung „mulier taceat in ecclesia“. Hier steckt eine der stärksten Triebfedern konservativen Unmuts: Die Emanzipation der Frauen und ihr Eindringen in alle beruflichen Bereiche bringt zweifellos kurzfristige Nachteile für einzelne Männer und widerspricht offenbar der „höheren Moral“ der Konservativen (S. 195). Der Gleichheitssatz der österreichischen Bundesverfassung gibt allerdings einen beweglichen Gleichheitsbegriff vor, der einerseits gebietet Gleiches gleich zu behandeln, Ungleiches jedoch nicht gleich. Zusammen mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gebietet diese Auffassung von Gleichheit Frauenförderung dort, wo Frauen aus unsachlichen Gründen ausgeschlossen wurden.

Nachdem das Buch sich bereits im 4. und 5. Kapitel zu wiederholen beginnt, erspare ich mir die Lektüre des letzten Artikels.

Was habe ich durch die „Konservativen Korrekturen“ erfahren?

⁃ Konservative grenzen sich teilweise scharf von neoliberalen Haltungen ab und fordern eine staatliche Ordnungspolitik (so wie das auch Grüne tun)

⁃ Die Theoriefähigkeit der Konservativen erweist sich insgesamt als schwach (wie Kinzel selbst meint S. 190). Dem von ihnen hoch gehaltenen Kanon mangelt es an Geltung, ein analytischer Umgang mit gegnerischen Positionen ist ihre Sache nicht, lieber beruft man sich auf christliche Werte.

⁃ Die wütende Abgrenzung von grünen Positionen ist erstaunlich, vertreten doch die Grünen keineswegs durchgängig „linke“ Positionen, sondern rekrutieren ihr Personal (und ihre Wähler/innen) durchaus auch aus dem „bürgerlichen Lager“. Dennoch stellt diese Abneigung das stärkste Band zwischen den unterschiedlichen Autoren dar.

⁃ Bei aller Sympathie für staatliche Ordnungsideen der Konservativen und der Forderung nach Eigenverantwortung des Menschen: Wer die Gleichstellung von Frauen und Männern will, kann sich insgesamt von der konservativen Ideenwelt nur scharf abgrenzen.

Juliane Alton war Obfrau der IG Kultur Österreich und ist seit Jänner 2011 Mitglied des Landesvorstands der Grünen Vorarlberg. http://alton.at/juliane

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