Kennst du das Land, wo Nirvana erstmals in Österreich aufgetreten sind? Das mit dem Kino Ebensee im Tourkalender mancher Indie-Größen auftaucht? Wo zwischen musikalischer Bildung, katholischem Umfeld und auf zahlreichen Bühnen im Hinterland Popphänomene erwachsen? Dessen Regiolekt vom Hamburger Hafen bis zum Wiener Praterstern Sprachbarrieren bricht? Wo die Kulturszene um ihre Zukunft bangt? Edith Huemer über die Rettung des Kulturlandes Oberösterreich.
Die künftige österreichische Regierungskoalition wird verhandelt. Am Tisch für die Kulturagenden sitzen:
Ein Psychoanalytiker. Er gibt neben seiner Arbeit als Coach und Consultant auch ein Magazin für jüdische Kultur und Politik heraus.
Eine Musikerin und Werbefachfrau. Sie organisiert den Opernball.
Ein erfahrener steirischer Kulturpolitiker.
Gegenüber sitzen:
Ein langjähriger FPÖ-Kultursprecher und deutschnationaler Burschenschafter.
Ein Zeichenlehrer.
Popkultur, Alternativkultur, Subkultur, Clubkultur, Netzkultur: Welchen Begriff Martin Engelberg, Christopher Drexler und Maria Großbauer (Verhandlungsteam ÖVP) sowie Walter Rosenkranz und Claudio Eustacchio (FPÖ) davon haben, lässt sich nur mutmaßen. Agnes Husslein wird ihnen auf diesem Gebiet kaum mit Expertise zur Verfügung stehen.
Ob der Enns den Gürtel enger schnallen
Ein Blick nach Oberösterreich lohnt sich dieser Tage. Subkultur und Hochkultur, Volkskultur und zeitgenössische Kultur, E- und U-Musik, globale Kultur und Heimatpflege, Goldhaubenfrau und Riot Grrrl: Sie alle sind Leidensgenossen und -genossinnen und dabei, eine Allianz zu bilden.
Seit 2015 regieren ÖVP und FPÖ im Land ob der Enns mit einem Arbeitsübereinkommen gemeinsam. Nach mehr als zwei Jahrzehnten hat Josef Pühringer 2017 das Amt des Landeshauptmanns an seinen Nachfolger Thomas Stelzer übergeben. Dieser kündigte eine „neue Zeit“ an. Mit dem geplanten Budget für 2018 wird die vermeintlich neue Politik nun in Zahlen gegossen. Die Finanzkrise glaubt man überstanden, die Wirtschaft wächst wieder. Man setzt jetzt aufs Sparen: auf einen schlanken Staat (geringe Abgabenquote) und auf Schuldenabbau. So werden die geplanten Kürzungen und Umschichtungen zumindest mehrheitlich rezipiert. Die Sparpolitik bestimmt den Diskurs. Während bei der Kultur empfindliche 6,7 Millionen Euro gekürzt werden, gibt man im Sicherheitsressort zehn Millionen mehr aus.
Letzte Rettung
Das Land Oberösterreich hat einen Kulturauftrag. Diesen erfüllt es einerseits mit den landeseigenen Institutionen – den Landesmusikschulen, der Anton Bruckner Privatuniversität, den Museen, der Landesausstellung, der Landesbibliothek und dem Landestheater. Ergänzend fördert das Land gemeinnützige Vereine, die flächendeckend dazu beitragen, den Kulturauftrag zu erfüllen – mit zehntausenden Engagierten und unzähligen ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden. Das sind: Volkskultur, Blasmusik, und Kulturinitiativen bis in den hintersten Winkel des Landes sowie Kunstschaffende verschiedener Sparten (Literatur, Film, Bildende Kunst, Theater, Kirche). Die Budgets der landeseigenen Einrichtungen werden für manche Häuser aufgestockt, bei anderen bis zu sechs Prozent gekürzt. Die zivilgesellschaftlichen Akteure und Akteurinnen tragen die Hauptlast der geplanten Kürzungen – wir sprechen hier von insgesamt minus 30 Prozent, manche Bereiche trifft es mit minus 35 Prozent.
Das betrifft auch das Crossing Europe in Linz. Christine Dollhofer leitet das Festival für europäisches Kino. Sie fragt sich: »Was haben wir denn falsch gemacht? – Nicht nur, dass die Zuwendungen in den letzten Jahren sukzessive stagnierten – von einer Wertanpassung ganz zu schweigen. Wir Kulturvermittler*innen haben ohnehin sparsamst und erfindungsreich gearbeitet und weisen auch ernstzunehmende volkswirtschaftliche Effekte vor. Uns wurde ob der Finanzkrise und Konjunkturschwäche Nachsicht auferlegt – sollen wir jetzt nochmals den Gürtel enger schnallen?«
#kulturlandretten
Die Kürzungen von unzähligen ehrenamtlich Engagierten und sehr prekär Arbeitenden treffen auf Widerstand. Mehr als 10.000 Menschen sind bereits dem Aufruf der Kulturplattform Oberösterreich gefolgt und haben auf www.kulturlandretten.at eine Petition an das Land Oberösterreich unterschrieben. Zahlreiche Kulturaktivisten und -aktivistinnen aus dem Umfeld des Röda in Steyr haben Landeshauptmann Stelzer bei der Eröffnung einer neuen Steg- und Hanggarage mit Transparenten empfangen: »Brücken bauen – Ja! Kultur beschneiden – Nein!« Bei der Eröffnung der Langen Nacht der Bühnen in Linz wurde Stelzer sogar ausgebuht. Eine Bewegung wurde angestoßen.
»Jetzt schreien sie wieder, dass sie zu wenig Geld haben!« »Hätten sie halt was Gescheites gelernt.« »Das brauchen wir doch eh nicht, warum sollen wir denen tausende Euro geben.« »Wer braucht das schon?« »Sollen sie sich halt Sponsoren suchen!«
Avantgarde und Status quo
Gerne bemüht die schwarz-blaue Landesregierung den Vergleich zu Wien als Negativfolie. Im Gegensatz zur roten Bundeshauptstadt werde man in Oberösterreich Schulden abbauen. 22 Millionen Euro investiert das Bundesland, um die Regionen mit Breitbandinternet zu versorgen. So will es sich ein progressives Antlitz verpassen. Doch Breitbandinternet allein hält die Jungen nicht von der Abwanderung ab. Die neu eingeführten Gebühren für den Nachmittagskindergarten ermutigen junge, gebildete Frauen nicht dazu, im Dorf zu bleiben.
Etliche Kulturaktivisten und -aktivistinnen wären hungrig auf eine Auseinandersetzung mit Kultur und Kulturpolitik. Welche Rolle kann Kultur in schrumpfenden Gemeinden spielen? Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen Kreativwirtschaft und Kunstszene? Welche Bedeutung kann Netzkunst für die demokratische Öffentlichkeit haben? Für solche Fragen findet man in der oberösterreichischen Landesregierung kein Gegenüber. Stattdessen kämpfen zeitgenössische KulturarbeiterInnen gemeinsam mit der Volkskultur und den landeseigenen Institutionen um den Erhalt des Status quo.
Unser Interview mit Thomas Diesenreiter, dem Geschäftsführer der KUPF, zur Petition »Kulturland retten!« könnt ihr hier nachlesen. In Linz findet heute um 17 Uhr eine Demonstration gegen die geplanten Kürzungen statt, alle Informationen dazu hier.