Kunst-Expansion

Die niederösterreichische Kulturlandschaft wächst stetig und das seit Jahren. Passt permanentes Wachstum überhaupt in unsere Krisenzeit? Absolut.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Es ist ein kulturpolitisch aufregender Sommer. Die Landesgalerie für zeitgenössische Kunst Niederösterreich wird mit zwei Standorten eröffnet. Seit 3. Juni sind in Krems die Werke des Bildhauers Manfred Wakolbinger zu sehen. Im Einzugsgebiet wird – man sieht es an den Plakatwänden – stark dafür geworben. Am 28. September folgt Standort Nummer Zwei in St. Pölten mit Werken von Hans Kuppelwieser. Vom Programm her ist die "Zeit Kunst Niederösterreich" Künstlern der Gegenwart mit Niederösterreich-Bezug und international anerkanntem Oeuvre gewidmet.

Kultur oder Wirtschaft, Kultur und Wirtschaft

Mit dieser jüngsten kulturpolitischen Expansion hält das Land Niederösterreich Kurs – trotz Krise und Sparzwang scheint dort das Kulturbudget kontinuierlich zu steigen, was sich am ersichtlichsten in der Gründung von Museen niederschlägt. Jean Monnet (1888-1979), französischer Unternehmer und Vordenker der europäischen Einigung, sagte einmal den viel zitierten Satz: "Wenn ich das Ganze der europäischen Einigung noch einmal zu machen hätte, würde ich nicht bei der Wirtschaft anfangen, sondern bei der Kultur." Kann denn die Kultur mehr bewirken als die Wirtschaft?

In Gegenwartskunst zu investieren ist derzeit – zumindest am wachsenden Kunstmarkt – en vogue, denn das Risiko des Wertverfalls scheint geringer als bei Immobilien oder Wertpapieren. Nach einer kleinen Delle zur Zeit der großen Bankenpleiten hat sich der Markt in den letzten Jahren als sehr krisensicher bewiesen und läuft derzeit allen anderen Sparten der Kulturindustrie den Rang ab. Die Furcht, es könnte sich dabei um eine Blase wie zu Dotcom-Zeiten oder am US-Immobilienmarkt handeln, scheint es nicht zu geben. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Niederösterreich ein konservatives, katholisches Kernland ist, scheint die Ausrichtung auf Gegenwartskunst dennoch mehr als fortschrittlich. Der Spagat zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen Tradition und Zeitgenössischem tut der Beliebtheit des regierenden Landeshauptmanns Erwin Pröll keinen Abbruch. Dabei wurden die lokalen Museen großteils vom Beamtentum befreit. Die Niederösterreichische Kulturwirtschaft, kurz NÖKU, gibt es seit dem Jahr 1999. Sie bildet die Dachgesellschaft für Veranstaltungs- und Ausstellungsbetriebe in Niederösterreich, hat eine Controlling-Funktion und ist vor allem auch für die Vermarktung der Standorte verantwortlich. In die NÖKU fließen neben Geldern von Land, Bund und Gemeinden auch die Gelder von privaten Sponsoren.

Hotspots für Gegenwartskunst

Die Kunstmeile Krems nahm hier im Jahr 1995 mit der Eröffnung der Kunsthalle Krems ihren Anfang. Im Stile eines internationalen Standorts wird dort Gegenwartskunst gezeigt. Derzeit sind Werke des deutschen Aktionskünstlers John Bock zu sehen, es folgt Elmar Trenkwalder (siehe auch Golden Frame). Erst kürzlich war Yoko Ono zu Gast, die einen Beitrag für die Ausstellung "Wunder" vor Ort ablieferte. Gleich nebenan folgeten das Karikaturmuseum, die Factory, das Forum Frohner und der Kunstraum Stein. Aber auch in Wien zeigt sich ein verlängerter Arm der Kunstlandschaft des größten österreichischen Bundeslandes. Der Kunstraum Niederöstereich, zentral in der Herrengasse im Ersten Bezirk und unmittelbarer in der Nähe von Kanzleramt und diversen Ministerien gelegen, ist zu einem Hotspot für junge Kunst geworden. Der Fokus liegt auf jungen Künstlern, ein renomierter Performance-Preis und gut kuratierte Gruppenausstellungen tun das ihre dazu. Das Programm des nicht minder mutigen programmierten Donauinselfestivals wird hier regelmäßig den Hauptstädten präsentiert.


Mit dem Art Brut Museum Gugging ist aber der vielleicht größte Coup gelungen. Der maßgeblichen Arbeit der dort ansässigen Künstler und deren Werk wurden nicht nur Rechnung getragen, sondern das Museum als internationales Forum für Art Brut auf ein gutes Fundament gestellt. Das Programm des Museums ist international orientiert, momentan ist eine umfassende Retrospektive des großen Gugginger Künstlers August Walla zu sehen.

Jedem Künstler sein Museum?

Die Expansion von "Zeit Kunst" in Krems und St. Pölten ist verglichen mit allen anderen Bundesländern ein fast utopischer Vorstoß. Die Ausrichtung muss aber gelegentlich hinterfragt werden. Mit dem Hermann Nitsch Museum und dem Arnulf Rainer Museum wurden zwei lebenden Künstlern ihre eigenen Museen gebaut. Bedenkt man, dass Museen hohe Kosten, etwa für Logistik, Werbung, Fachpersonal von der Restaurierung bis zu den Aufsichten verursachen, so stellt sich die Frage, ob einzelne Standorte auf Dauer Sinn machen. Ein eigenes Museum mag dem Künstler zudem nicht nur Vorteile bringen, sondern sogar andere Museen daran hindern, größere Personalen auszurichten.

Öffentlich-private Cluster für Kunst

Das privat finanzierte Essl Museum in Klosterneuburg ist eines der Zentren für Gegenwartskunst im internationalen Kontext geworden. Das Ehepaar Essl hat durch jahrzehntelange Sammlungstätigkeit (derzeit mehr als 7.000 Werke) und vor allem Durchhalten ihr Museum weitestgehend etabliert. Im mitteleuropäischen Raum war das Essl Museum eines der ersten privat finanzierten Sammlermuseen. Während aber in Deutschland die Sammlermuseen aus dem Boden schießen, kann in Österreich nur noch der Industrielle Herbert W. Liaunig mit seinem 2008 eröffneten Museum in Kärnten mithalten. Durch das Zusammenspiel mehrerer Museen entsteht dabei zumindest in Klosterneuburg mit Essl Museum, dem Art Brut Museum in Gugging und dem Stift Klosterneuburg ein Cluster, der gemeinsam Publikum anziehen will.

Rechnet man all das zusammen, so kommt man auf über 70 Standorte, was das Land sogar mit der kulturellen Dichte Wiens mithalten lässt. Die entscheidende Frage wird sein, wie sich das Kulturland Niederösterreich in Zukunft entwickeln wird. Zieht es tatsächlich auch immer mehr Künstler nach Niederösterreich? Werden die Museen auch von den Besuchern angenommen? Inwieweit lässt sich die zeitgenössische Kunst in der breiten Bevölkerung verankern? In Zeiten der Krise tut es gut, die Worte von Jean Monnet zu bedenken, lässt die internationale Ausrichtung der Gegenwartskunst den Tellerrand doch meist verschwinden.

Die Landesgalerie für zeitgenössische Kunst "Zeit Kunst Niederösterreich" eröffnet am 3. Juni mit "Up from the Skies" von Manfred Wakolbinger in Krems, es folgt "Reflections" von Hans Kuppelwieser am 29. September in St. Pölten.

Bild(er) © Gerhard Lindner
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...