Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Doch man kann den inneren Schweinehund auch besiegen, wenn man will. Stammkneipe? Lieblingsclub? Ohrenschmeichler? Forget it! Das Laufband des Lebens ist keine ewig gleiche Tretmühle. Einen Tipp, um sich die weihnachtlichen Kekse wieder abzutrainieren hat Julia Melcher aufgegabelt.
Kürzlich erst wurde das Wort des Jahres gekürt. "Fremdschämen". Wo das jetzt genau ins ohnehin schon unübersichtliche Gefühlsspektrum eingeordnet werden soll, darüber denke ich einstweilen noch angestrengt nach. Also darüber, ob es sich jetzt warm und gelb oder eher fies violett anfühlt. Und darüber, ob das Wort "Veranstaltungsformat" nun auch ein Wort oder eher ein Unwort ist.
Veranstaltungsformat
Ein neues Veranstaltungsformat gibt es jedenfalls in Graz. Und im Kontrast zu meinem Namensvetter, nämlich Murmur aus London, der seine Post-NYE-Party am ersten Jänner (passend) No-Fit-State nennt, haben zwei Jungs aus Graz, nämlich Dorian Pearce und DJ Dizzy, das Motto ihrer Party zum stilsicheren Workout erhoben: Physically Fit! Es findet einmal im Monat statt, im "neuen" Univiertel-Club, dem Kottulinsky. Das Kottulinsky hat übrigens auch etwas mit London gemeinsam: die Überwachungskameras an der Wand, die uns Gäste nicht daran hindern legale Drogen an der Bar zu konsumieren, und die Kellner nicht, den Gästinnen auf den Arsch zu klapsen. Smile, you´re on Kottu-TV! Warum eigentlich dort Party machen?
Die beiden Resident DJs Dorian Pearce und Dizzy spielten unabhängig voneinander ihre Sets im Club, dessen Wände die Graffittis des Street Art Collectives Permanent Unit zieren, und beschlossen irgendwann gemeinsame Sache zu machen. "Die Soundanlage dort bietet einen der höchsten lokalen Standards, ebenso wie der Support durch die Club-Besitzer, ohne die unsere Veranstaltungsreihe nicht diesen Erfolg genießen würde," so die DJs. Seitdem gibt es das DJ/Producer-Duo und die gleichnamige Veranstaltungsreihe Physically Fit.
Drüben um die Uni-Ecke
Aber im Univiertel? Das Viertel genießt einen etwas speziellen Ruf in Graz. Zumindest unter Leuten mit Musikgeschmack und einem Blutalkoholspiegel unter 3 Promille. Um diesem Ruf zu trotzen, haben Dizzy und Dorian von Anfang an darauf bestanden, sich keiner musikalischen Zensur zu unterwerfen. Die beiden spielen sich quer durchs Gemüse mit UK Funky, Dubstep, Garage, Tropical Funk und … Kraut und Rüben importiert von internationalen Dancefloors. Und das Konzept geht voll auf, obwohl sich die DJs hier beim Stammpublikum, sowohl als auch beim Uni-Viertel Laufpublikum eher auf unüblichem Terrain bewegen!
Wie sie das machen?
"Volle, verschwitzte Clubs bergen unglaublich viel Energie in sich. Diese Energie muss man als DJ freisetzen, dann läuft der Abend erfolgreich. Außerdem haben wir wirklich gelernt, dass es letztendlich nicht darauf ankommt wer zu deiner Musik tanzt, sondern wichtig ist nur dass der oder diejenige sich auf die Musik einlässt und zu Fühlen beginnt."
Klingt wie eine musikalische Mission, ist auch eine: "nämlich, den musikalischen Horizont des Publikums zu erweitern. So hat man Leute im Club, die wegen der Begeisterung zur Musik kommen, das ist ungefähr die Hälfte, und man hat die Leute im Club die sowieso dort wären. Diese Hälfte zu erreichen und sie vor allem dazu zu bringen sich emotional auf die Musik einzulassen ist eine große Herausforderung."
Eine Herausforderung, die für die zwei Musiksammler, Produzenten und Experimentierfreudigen eine neue Leidenschaft zu sein scheint. Immerhin konnten sie im vergangen Herbst bereits internationale Gäste, wie die Round Table Nights, an ihren Turntables begrüßen. Für das kommende Jahr haben sich auch schon Guest Acts angekündigt, wie zum Beispiel DJ Solo, Hat & Hoodie, oder Crazy Sonic.
Grenzüberschreitungen
Dieses "Veranstaltungsformat" ist nun deshalb so wichtig für Graz, weil es sich endlich einmal über die Grenzen des ewig gleichen Einheitsbrei hinaus bewegt und auch die altbekannten Veranstalter-Hierarchien durchbricht. Hier wird etwas anders gemacht, weil Grenzen bewußt überschritten werden: die zwischen den musikalischen Genres (die DJs lehnen sich auch hier gekonnt aus dem Fenster), aber auch die zwischen Musik und Publikum. Es mag befremdlich sein, sich plötzlich nicht mehr in einem Club mit dem Grazer Stammpublikum der elektronischen Musikszene zu befinden, sondern umgeben von völlig neuen Gesichtern, die johelnd auf und ab springen. Aber ob man sich die Freude am Bass nun mit feucht-fröhlichen Fremden oder mit den üblichen DarstellerInnen der Kleinstadt-Seifenoper teilt: sobald man sich im schicken Club aklimatisiert hat, ist das wirklich egal!
Weihnachtsparty am 25. 12. 2010 im Kottulinsky mit Dorian und Dizzy!
Open Doors: 9 pm