Legoland ist überall

600 Milliarden Legosteine soll es weltweit geben. Doch die Masse allein ist es nicht, die Lego so allgegenwärtig macht. Kreativität und Kapitalismus, Popkultur und Plastik, Steckverbindung und »Star Wars«: Lego ist das passende System für unsere Welt.

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Coca-Cola kann man grauslich finden, Disney banal. Aber gibt es jemanden, der Lego nicht toll findet? Die drittbeliebteste Marke der Welt (laut einer Studie von Young & Rubicam) ist de facto unangreifbar. Sie steht für Machen, Utopie, Spiellust und grenzenlose Kreativität – und mühelos vereint sie Widersprüche, wenn man entweder nach Bauplan oder zufällig und wild wuchernd bauen kann. Lego ist nicht nur Kinderspielzeug, sondern wird bei Therapien eingesetzt oder bei Personalfragen, in der Kunst, in Musikvideos, als Baumaterial für technische Geräte oder als sympathische Lizenzmaschinerie, die von den »Simpsons« und »Harry Potter« über »Toy Story« und »Sponge Bob« bis hin zu »Star Wars« reicht. Und es ist dabei »pädagogisch wertvoll«. Man kann damit vor allem nicht nur Wirklichkeit simulieren, sondern tatsächlich herstellen. Wie in dem Sandkasten-Game »Minecraft«, nur im echten Leben. Die Liste seiner fabelhaften Eigenschaften lässt sich beliebig fortsetzen.

»Leg godt« – »spiel gut«: Firmengründer Ole Kirk Christiansen hätte keinen passenderen Namen finden können. 1932 begann er im dänischen Dorf Billund mit der Produktion von Holzspielzeug, Ende der 40er Jahre kamen die ersten Bausteine auf den Markt, die aus Zelluloseacetat bestanden. Der Durchbruch gelang allerdings erst 1958 mit dem Kunststoff ABS. »Natürlich hat es davor eine lange Geschichte der Baukästen gegeben«, so der Kulturwissenschaftler Ernst Strouhal, Professor an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und profilierter Spieleforscher. »Doch erst Lego war so unheimlich praktisch, weil es so leicht und zugleich unzerstörbar ist.« Die stabile und leicht wieder zulösende Steckverbindung aus Noppen und Röhren sowie die Präzision der Produktion erwiesen sich als der entscheidende Erfolgsfaktor.

Die unendliche Kombinierbarkeit ist nicht nur aus Sicht des Spielenden ein Geniestreich: Je mehr Steine, desto besser – auch für den Umsatz. Mit nur wenigen Formen stand Lego in der Tradition der Reformpädagogik (von Fröbel bis Montessori) und der Bauhaus-Moderne (Kreis, Dreieck, Quadrat), so Ernst Strouhal, der auf einen weiteren Aspekt von Legos Anfangszeit hinweist: »Beim Baukasten ist das Aus- und Einräumen Teil des Spiels. Hier griff die kleinbürgerliche Disziplinierung mit ihrem strikten Ordnungssystem, in diesem Fall nach Farben und Bausteinformen.« So modern Lego war (und ist), seine Stärke bezog es auch aus der Fähigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders idealtypisch abzubilden: Das archetypische Haus, die properen Straßen, die ordentliche Stadt – all das lässt sich wunderbar mit Legosteinen bauen. Aber nicht nur, denn »die differenzierte Verwendung ist dem System Lego eingeschrieben«, so Ernst Strouhal. Das ist auch heute nicht anders: Kinder bauen Lego-Sets zwar oft mit den Eltern nach Bauplan zusammen. Doch erst wenn das fertige Teil wieder demontiert und »kaputt« ist, geht der Spaß so richtig los.

Lego vs. Sim City

Auf die einfachen Bausteine folgten später Themensets wie zur Eisenbahn, Burgen oder der Space Cruiser aus den späten 70er Jahren, als auch die ersten kleinen Lego-Figuren auf den Markt kamen. Anfangs noch ohne Gesicht, später dann immer gutgelaunt. Bereits Ende der 60er Jahre hatte man mit Duplo eine Bausteinversion für Kleinkinder geschaffen, die mit den Legosteinen kompatibel ist. »Lego musste ausdifferenziert werden«, so Ernst Strouhal. »denn jede kulturelle Praxis wird von Generation zu Generation jünger.« Sprich: Die Kinder spielten immer früher mit Lego. Manches ging schief: »Scala«, die erste Produktlinie für Mädchen, wurde wegen Misserfolgs vom Markt genommen. Ebenfalls kein Bestseller, wenn auch marketingtechnisch visionär, war »Fabuland«, inklusive Merchandise und eigener Fernsehserie. Der neue Lego-Film hat also Vorläufer (und nicht nur einen).

Trotz Rückschlägen war Lego bis in die 90er Jahre laufend gewachsen und bei seinem Kerngeschäft geblieben. Das Patent auf die Lego-Steine lief aus. Gegen Kopien ging man rechtlich vor, jedoch ohne Erfolg. Währenddessen veränderte sich die Welt radikal – Gameboy und Nintendo ließen Baukästen alt aussehen, Spiele wie »Sim City« transferierten die Faszination an der Konstruktion in virtuelle Welten. Was beinahe im Desaster geendet hätte, wie der Management-Professor David C. Robertson in seinem fesselnden Buch »Das Imperium der Steine« beschreibt, das zeitgerecht zum Lego-Film erschienen ist und die Geschichte der Marke mit Schwerpunkt auf die vergangenen 15 Jahre erzählt. Lego sei damals »selbstzufrieden und engstirnig« geworden, so Robertson.

Lego 2000: Passiv und panisch

Die Führung von Lego reagierte auf die Veränderungen passiv bis panisch. »Nur über meine Leiche bringt Lego jemals ›Star Wars‹ heraus«, zitiert das Buch die Reaktion des Firmenvorstandes auf den Vorschlag, sich mit Lucasfilm zusammenzutun. Das war 1997. Lego hatte noch nie die Ideen anderer aufgegriffen, sondern stets selbst welche entwickelt. Außerdem schien die kriegerische Welt nicht zum Saubermann-Image zu passen. Doch in den USA machten Lizenzprodukte auf dem Spielesektor bereits die Hälfte des Umsatzes aus, so Robertson. Die Lego-Konkurrenten Hasbro und Mattel waren bereits mit Disney verbandelt. Letztlich aber machte sich der »Sündenfall Star Wars« für Lego außerordentlich bezahlt, die Serie entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten der Firmengeschichte. Neben Modellen von Kampfschiffen, Droiden und Sternenzerstörern gibt es heute poppig-süße Videospiele, Comics, Kurzfilme, Langspielfilme und natürlich Unmengen an Fanvideos. Aber auch mit »Harry Potter« landete man große Erfolge.

Doch das waren die Ausnahmen. Lego verdreifachte die Anzahl der neuen Spielzeuge und führte viele neue Produkte ein. »Das Ergebnis war eine Menge Hektik, aber nur sehr wenig Gewinn«, so Robertson. Einem Turnaround-Experten gelang auch nicht viel. Viele neue Konzepte brachten wenig brauchbare Resultate. Selbst die »Star Wars«- und »Harry Potter«-Produkte stagnierten ohne Film-Nachschub. Man eröffnete Ableger von Legoland in Großbritannien, den USA und Deutschland und plante weltweit Flagshipstores. Das war allzu viel des Guten. Noch nie zuvor hatte es so viele Legoteile gegeben, die nicht zueinander passten. 2003 stand man vor der Firmenpleite.

Bild(er) © Thomas Albdorf, LEGO, SocImages (Twitter), LEGO / Disney / Lucasfilm, caffeineandaprayer.com, Campus
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