Im Schatten der schnellen, billigen Buchproduktion und des Digital Publishing entstehen faszinierende Nischen: In jüngster Zeit boomen etwa Literaturpublikationen, die auch gestalterisch etwas hermachen.
Mit jeder neuen Publikation überrascht auch der Leipziger Verlag Spector Books (und das nicht nur visuell): Bauhaus-Architektur, ein Foto- und Interviewband über abdriftende Teenager in Dresden, eine Studie über Äpfel und Analog-Fotografie (!), eine künstlerische Erkundung von Wolken – das Spektrum ist breit. Und wurde kürzlich um Literatur erweitert: Die Reihe "Volte" vereint essayistisch-erzählende Texte, die zwischen Realität und Fiktion changieren. Der erste Band versammelte "Monologe" des deutschen Jungdramatikers Wolfram Lotz, als Band zwei folgte Heike Geißlers fesselnde Doku-Prosa "Saisonarbeit" über die Arbeit bei Amazon zur Vorweihnachtszeit. Freilich: Autorenname und Buchtitel finden sich bei der "Volte"-Reihe nicht wie üblich am Cover, sondern auf der Rückseite. Die Vorderseite ziert eine schlichte Illustration, im ersten Fall ein "Monobloc"-Plastikstuhl, im zweiten Fall ein Einkaufswagen. Einprägsam, überraschend und einladend. Warum schafft das ein Großverlag nicht?
Gutes design kostet Zeit und Geld
Jan Wenzel von Spector Books hat darauf eine Antwort: "Gutes Design kostet Zeit und Geld, es ist notwendig, sich auf Inhalte einzulassen, um eine Umsetzung zu finden, die auf diese Inhalte reagiert. Viele große Publikumsverlage sind in den letzten Jahren sehr stark vom Marketing aus definiert worden. Das ist sicher ein weiterer Grund, die Furcht den Leser möglicherweise zu irritieren, wenn ein Buch anders daherkommt, als die Bücher die er bereits kennt." Und zum radikalen Cover-Design meint er: "Für eine Reihe ist es wichtig, eine wiedererkennbare Geste zu etablieren."
Der Gefahr, als Kunstpublikation "verkannt" zu werden, ist sich Wenzel bewusst: "Vermittlungsarbeit ist da sehr wichtig. Eine Erfahrung ist, wenn ein Buch ein Hybrid ist, zwischen verschiedenen Bereichen steht, fällt er bei den Buchhändlern leicht durch. Ein Buchhändler stellt ein Buch das im Bereich bildende Kunst und Literatur platziert werden könnte, nicht in beide Regale sondern lieber in gar keines von beiden. Das ist ein Reflex, gegen den wir in der Vermittlung der Bücher anarbeiten. Aber die Bücher helfen uns dabei – indem sie oft für sich selbst sprechen."
Jenny
Auch Jenny spricht für sich selbst. Jenny ist die Anthologie der Sprachkunstklasse an der Universität für angewandte Kunst in Wien, von der bereits zwei Bände (bei Birkhäuser bzw. im Ambra Verlag) erschienen sind. Jenny ist so schön, dass es in der Kategorie "Allgemeine Literatur" als "Schönstes Buch Österreichs" ausgezeichnet wurde. Gestaltet wurde die Publikation vom jungen Branding- und Designbüro "Studio VIE". Herkömmliche Anthologien sehen dagegen altbacken aus: Jenny ist gestalterisch aufregend und wirkt zugleich aufgeräumt, bietet viel Weißraum zum Innehalten und Nachdenken und legt den literarischen Texten kein enges Korsett an. Die Schweizer Broschur erlaubt ein perfektes Aufschlagen der Seiten, die Publikation ist ein Mittelding aus Buch, Zeitschrift und Reader.
Mythen schaffen
Doch was bedeutet Jenny? Christian Schlager, einer der Mitgründer von Studio VIE: "Jenny – wer das ist? Das weiß man nicht so genau. Unsere Auftraggeber, ein Redaktionsteam aus Studierenden des Instituts für Sprachkunst, haben Jenny beschrieben, als Person und wie sie mit dem Buch umgeht. Von Ausgabe zu Ausgabe kristallisiert sich das heraus. Aber es bleibt ein Mythos, wer Jenny ist." Zum Mythos tragen jene großzügigen Zitatseiten bei, die zwischen den einzelnen Texten für eine Rhythmusänderung sorgen: "Ob das Jennys Sprüche sind oder Texte über sie – man weiß es nicht."
Spielerisch wurde auch mit dem Cover umgegangen: Es gibt fünf verschiedene Umschlagvarianten (entsprechend der Textgattungen Prosa, Lyrik etc.), die visuell unterschiedlich gestaltet sind (mit Fotografien, Illustrationen usw.). Anouk Rehorek, ebenfalls Mitgründerin von Studio VIE: "Am Umschlag passiert die Bildwelt, der Kern konzentriert sich auf die rein typografische Gestaltung der Texte, die teilweise auch von den Künstlern vorformatiert geschickt wurden. Ein Text besteht z. B. nur aus Fußnoten. Da war es wichtig, ein Konzept zu entwickeln, das nicht mit einem fixen Raster arbeitet."
So aufregend kann also Literatur aussehen – man ist versucht, ein Paket mit Belegexemplaren an die großen Verlage zu senden, um ihnen die Sache schmackhaft zu machen. Einstweilen wachsen solche Blüten tendenziell noch im Verborgenen, entstehen dank des Engagements von Kleinverlagen und sonstigen Kreativen. Und sie alles wissen: Bücher sind eine verdammt sinnliche Angelegenheit. "Content" allein schmeckt schal.