Hast du schon einmal die Geschichte von wirklich ALLEM in 7 Minuten gesehen? Die Leute von »Kurzgesagt« haben genau das gemacht. Dabei sind sie mit ihrem äußerst aufschlussreichen Videos im deutschen Sprachraum die absolute Ausnahme. Warum eigentlich?
Schlauer jeden Tag, in wenigen Minuten
Bei »Minute Physics« erklärt uns Henry Reich, Master-Absolvent in Physik, komplizierte physikalische Phänomene. Die Relativitätstheorie oder die Frage, ob man schneller nass wird, wenn man gemütlich im Regen spaziert oder rennt, solche Dinge werden mit Stift und Papier in Stop-Motion-Videos kurzweilig besprochen. Begonnen hatte die Zeichnerei der putzigen Striche aus Lust und Laune. Mit 2,5 Millionen Abonnenten ist »Minute Physics« jetzt einer der beliebtesten Science-Vlogs auf Youtube. Auch im deutschen Sprachraum gibt es einige Stars in der Wissenschaft. Auf Youtube fehlt von ihnen allerdings jede Spur.
Seit 1994 werden in Österreich jährlich die »Wissenschafter des Jahres« gekürt. Dazu gehört beispielsweise Renée Schroeder, die 2002 für ihre Forschung in der Mikrobiologie ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit der Journalistin Ursel Nendzig veröffentlichte sie »Die Henne und das Ei. Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens« und wurde damit zum Wissenschaftsbuch des Jahres 2012 gewählt. Auch der Mathematiker Rudolf Taschner nahm den Preis entgegen. Sein Buch »Rechnen mit Gott und der Welt« wurde zum Buchliebling 2010 erkoren. Scheint, als würde sich einiges tun.
Im europäischen Vergleich wären wir jedoch eines der wissenschaftsfeindlichsten Länder, so Jörg Wipplinger, Medizinjournalist an der Donau-Uni Krems. Das bestätigt auch die Eurobarometer Spezialumfrage aus dem letzten Jahr, in denen 53% der Österreicher angaben, über wissenschaftliche oder technologische Themen weder informiert noch daran interessiert zu sein. Außerdem hätten wir in der Wissenschaft keine Diskussionskultur – hier wird Kritik nicht mit Argumenten begegnet, sondern mit Intrigen, kritisiert Wipplinger weiter.
»Bei uns gibt es eine andere Tradition von Wissensvermittlung. Das Lesen eines Textes hat einen höheren Stellenwert als der Vortrag«, so Peter Purgathofer, Professor für Informatik an der TU Wien. Der Karriereweg eines US-Amerikaners würde ihn vor allem mittels der Kunst des Vortragens an die Spitze bringen. Die rethorische Kultur sei viel stärker ausgeprägt als im deutschsprachigen Raum. US-amerikanische Wissenschaftler möchten ihr Wissen möglichst weit verbreiten. Bei uns jedoch herrsche in vielen Bereichen immer noch die Einstellung: Wer unverständlich ist, sei auch kompetent. Das würde sich aber allmählich verbessern. Jörg Wipplinger meint durchaus kritisch, wer versucht, Wissen unterhaltsam und verständlich zu transportieren, läuft schnell Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Dass Humor und Expertise zusammenpassen können, ist uns eher fremd.
Komplett hinterher ist man hierzulande allerdings nicht. Die »Science Busters« versuchen der Öffentlichkeit Wissenschaft mit Witz zu vermitteln. Die Physiker Heinz Oberhummer und Werner Gruber tun das gemeinsam mit dem Kabarettisten Martin Puntigam auch auf Bühnen, im Fernsehen und im Radio recht erfolgreich. Heinz Oberhummer glaubt aber, dass es vor allem Copyright-Gründe schwierig machen würden, Vlogs zu verwirklichen. Er selbst hatte das Bildungsprojekt »Cinema and Science« (CISCI) mithilfe von EU-Förderungen gestartet. Szenen aus populären Filmen sollten dort auf ihre Realisierbarkeit in der echten Welt hin untersucht werden. Die Lizenzkosten für die Filmszenen waren allerdings sehr hoch. Man hätte selbst professionelle Videos produzieren müssen, um ein Publikum zu erreichen. Es scheitere am Geld, erklärt Oberhummer.
Crazzahy Science Slams
Die Medizinstudentin Giulia Enders hat es mit ihrem Vortrag »Darm mit Charme« geschafft, auf dem Freiburger »Science-Slam« einen Youtube-Hit zu landen. Auch ohne anspruchsvoller Videoproduktion. Der Inhalt war ausschlaggebend. Bei den Kurzvorträgen geht es darum, das Publikum zu unterhalten. Seit 2010 findet auch der »Science Slam Vienna« statt. Auf Servus-TV gab es Versuche, wie mit dem Magazin »TM Wissen«, das jedoch Ende Juni dieses Jahres eingestellt wurde.
Wer kann dann Schwung in den Science Pop bringen? Impulse müssen von der Generation Y kommen, die mit Youtube aufgewachsen ist. Dafür braucht es Zeit und gute Ideen. Die Aussichten sind laut Jörg Wipplinger – der selbst mit seinem Blog diewahrheit.at nicht zum Super-Science-Star aufsteigen konnte – eher suboptimal. Ob es auf Deutsch überhaupt funktioniert, ist fraglich, da die englischsprachige Konkurrenz sehr groß sei.
Auch wenn man sich seit Kurzem mit Youtube verpartnern und darüber ein wenig Geld einnehmen kann, sollte man dafür schon recht bekannt sein. Außerdem spräche das wissensinteressierte Publikum ohnehin gut Englisch. Fast zu gut, glaubt auch Purgathofer. Alles in allem sei die Schwelle bei uns deutlich schwerer zu nehmen.
Allerdings bewegt sich etwas. In Mitteleuropa passieren Dinge eben oft näher an der staatlichen Zitze. Durch Mäzene, Stiftungen, öffentlich-rechtliche Journalisten etwa. Dafür ist Youtube nicht gemacht, aber dass es geht, beweist der Kanal »Kurzgesagt«, der uns wie viele andere hilft, aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit hinauszugehen. Wenn über eine Milliarde Menschen sich monatlich auf Youtube bewegt, warum dann nicht Bildung einen Klick entfernt anbieten.
Die Möglichkeit der Verpartnerung mit Youtube gibt es in Österreich seit cirka einem Jahr. Mehr unter youtube.com/features. Die Science Busters sind am 5., 6. und 7. Oktober im Theater Rabenhof zu sehen. Am 1. November findet die TedxVienna im Volkstheater statt.
Hier zu 10+x empfehlenswerte Wissens-Vlogs auf Youtube.