Während Lukas Lauermann einem breiten Publikum als gern gesehener Gast- und Studiomusiker bekannt ist, ist er solo erfolgreich im Grenzland zwischen U- und E-Musik unterwegs. Mit »I N« präsentiert er nun sein zweites Solowerk, just in jenem Jahr, in dem er sein persönliches Cello-Jubiläum feiert: Ein Vierteljahrhundert währt die Liaison zwischen ihm und seinem Streichinstrument nunmehr.
Mit »I N« knüpft Lukas Lauermann dort an, wo er uns mit »How I Remember Now I Remember How« zurückgelassen hat – oder besser: er knüpft weiter. Von einem Klangteppich sollte man aber nur dann sprechen, wenn man sich darüber im Klaren ist, wie viel nicht zuletzt künstlerische Arbeit in einem von Hand geknüpften Teppich steckt – wie viel handwerkliches Geschick, wie viel Kunstfertigkeit in der Wahl von Motiven, Farben und Stimmungen. Im Vergleich zum Vorgänger erscheint der zweite Streich noch kompakter und vereint unterschiedliche Zugänge zu einem großen Ganzen von 22 Stücken, die zugleich für sich selbst stehen können.
»Als Hintergrund für das erste Album habe ich viele Texte verwendet. Also alles Dinge, die für sich schon eine Aussage haben und an denen man Sachen aufhängen kann. Ich wollte mich aber nicht wiederholen und habe dieses Mal dann ohne dieses Sicherheitsnetz gearbeitet.« Es scheint fast so, als habe die bewusste Entscheidung, sich mehr Freiheit zu nehmen, auch gleichzeitig zu einem musikalisch größeren Zusammenhalt geführt. »Anders als beim ersten Album gibt es durchgehende musikalische Verbindungen – manche spannen sich über die gesamte Spieldauer. ›I N‹ ist als Kreis gedacht, der mehrere Einstiegsmöglichkeiten eröffnet, es ist stilistisch präziser und geschlossener.« Und das, obgleich einige Stücke als Improvisationen am Cello entstanden sind, andere als forschende Auseinandersetzung mit Kirchentonarten am Klavier. Dieses Instrument ist nun erstmals auch prominent in seiner Musik vertreten.
Das Cello dient auch auf diesem Album als Schallquelle, die klanglichen Möglichkeiten werden aber nicht mehr nur – wie beim Debüt – mit spieltechnischen Ansätzen ausgelotet. In einer radikalen Zuspitzung fungiert es phasenweise nur als Resonanzkörper und Tonabnehmer für das Klavier, aber auch als Stimmgabel und Synthesizer. Diese klanglichen und musiktheoretischen Forschungsarbeiten sind keine leidenschaftslose, kalte Wissenschaft. Es ist mehr eine Form von Klangalchemie, die behutsam mit dem Zauber der Musik umgeht – ihn in seinem Biotop beobachtet, anstatt ihn im Labor zu sezieren.
Lauermann beschreibt seine Musik selbst als »barrierefreie moderne, klassische Musik«. Behelfsmäßig könnte man das wohl als Ambient einordnen oder minimalistisch nennen, eine Reduktion, deren Ziel nicht das Aussparen ist. Es geht darum, sich zu vertiefen, in Klänge, Emotionen und Gedanken, Freiräume zu schaffen – um »I N«-trospektion, die die Einflüsse der Welt bewusst wahrnehmen will, um in einen Dialog mit ihr zu treten. Das ist Ausdruck einer Haltung, die Lukas Lauermann als Musiker, aber auch als Mensch auszeichnet.
Unkonventionell, aber nicht exotisch
»I N« ist nicht zuletzt auch Testament der fortwährenden Liebesbeziehung zwischen dem Musiker und seinem Instrument. Seine musikalische Laufbahn begann aber mit dem Klavier der Familie. Das musste noch vor dem ersten Klavierunterricht als Ausgangspunkt für die handfeste Erforschung von Klangwelten herhalten. Mit zehn Jahren trat dann das Cello in sein Leben – mehr prosaisch, denn spektakulär: »Ich wollte ein zweites Instrument lernen und habe mir deshalb ein paar angeschaut. Beim Cello bin ich dann geblieben.« So nüchtern die Entscheidung damals war, so innig ist die Beziehung zum Instrument, das er auch als Teil von sich beschreibt, heute. Da ist es fast selbstverständlich, dass es dem Cello manchmal nicht viel besser ergeht als dem elterlichen Klavier und dass es ordentlich »hergeritten« wird, wenn es der musikalische Ausdruck verlangt. Um diesen zu erweitern, hat er sich ein für ein Streichinstrument überraschend breites Klangrepertoire angeeignet. Dabei spielen Boden-Effektgeräte eine genauso große Rolle wie alternative Spieltechniken aus der Neuen Musik, die Lukas Lauermann ausdrucksstark, aber nicht effekthascherisch einzusetzen weiß. Besonders deutlich wird das bei seinen Soloaufnahmen.
Später sollte er noch Gitarre lernen. Sie stellte Eintrittsticket zum Banddasein dar, nicht aber zum musikalischen Durchbruch: Seiner Metal-Band war nur ein Auftritt beschieden. Dass das Cello damit wieder oberste Priorität hatte und gar eine spätere Karriere begründen sollte, war damit aber noch nicht klar: »Ich dachte immer, man muss 13 und ein Wunderkind sein, um ein Instrument zu studieren.« Fast hätte es ihn deshalb zum Puppentheater verschlagen – die zwangsweise theatrale Bühnenpräsenz, die die dafür notwendige Schauspielausbildung mit sich gebracht hätte, ließ ihn aber davon Abstand nehmen und es folgte ein Cello-Studium in Wien. Nach wie vor ist es aber so, dass er auf der Bühne lieber seine Musik, denn sich selbst ins Rampenlicht rückt.
Die Lust, in einer Band zu spielen, blieb weiterhin groß. Ein TV-Interview von A Life, A Song, A Cigarette bildete den Auftakt zum zweiten deutlich erfolgreicheren Band-Anlauf. Auf die Frage, was man sich denn noch an Instrumenten wünschen würde, antwortete die Band: »Naja, ein Cello wäre leiwand.« Zum großen Erstaunen wurde dieses dann in Form von Lukas Lauermann vorstellig. Die Band meinte zwar, das sei alles nicht ganz so ernst gewesen, aber er solle halt mal zu einer der Proben vorbeikommen. Das erste gemeinsame Konzert fand im Frühjahr 2006 im Künstlerhaus am Karlsplatz statt und es sollte diesmal nicht das einzige bleiben. Aus dem Unernst wurde damit das neue Bandmitglied und Lukas Lauermann einer größeren Öffentlichkeit und anderen MusikerInnen bekannt.
In unterschiedlichsten Konstellationen beweist er seitdem, dass er ein klassisches Instrument außerhalb klassischer Musik ohne Exotismus gleichberechtigt einzubringen weiß: von André Heller über Der Nino aus Wien bis Soap & Skin. Während Lauermann für Bands wie Tocotronic als Studiomusiker arbeitete, ist er etwa bei Donauwellenreiter fixes Mitglied und Teil des kreativen Prozesses: »Was für ein Glück, dass 2013 keiner der von uns angefragten Akkordeonisten zeitlich verfügbar war. So kam – etwas unerwartet – Lukas in die Band, und hat mit seiner ernsthaften und tiefgründigen Art die weitere Entwicklung wesentlich mitgeprägt«, sagt Maria Caffonara, Sängerin und Geigerin von Donauwellenreiter.
Schwer ist nicht gleich Schwermut
Es ist nicht nur die musikalische Ausdruckskraft, im technischen, wie im künstlerischen Sinne, die andere MusikerInnen und Publikum begeistert. Es ist auch die Haltung, aus der heraus Lukas Lauermann Musik macht: Die Melancholie, die seiner Musik innewohnt, sollte man aber nicht als bloße Traurigkeit, sondern mehr als Empfindsamkeit und Ernsthaftigkeit begreifen. Sie tritt gleichsam als Introvertiertheit zutage, die sich auch auf die Welt außerhalb der Musik erstreckt. Etwa, wenn man ihn in den Cafés und Bars seines geliebten Stuwerviertels alleine antrifft – und er dann oft auch dankbar dafür ist, wenn man ihn genauso belässt: mit einem Buch und einer Zigarette oder einfach nur beim Leuten-Zuschauen und Ideen-Niederschreiben, die dann darauf warten, am Klavier wieder ausgepackt und ausprobiert zu werden.
Ein Bild, das sich auch bei MitmusikerInnen festgesetzt zu haben scheint: »Ich stelle mir den Lukas, egal in welcher Lebenslage, immer rauchend, mit einem rätselhaften Blick in die Ferne blickend vor. Der stille Beobachter, der immer und überall seine Gedanken in einem Heft festhält. Er ist einer dieser Menschen, mit dem man gerne schweigend zusammensitzt«, sagt die Geigerin und Singer-Songwriterin Emily Stewart. Lauermann ist auf ihrem aktuellen Album »The Anatomy Of Melancholy« zu hören.
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